Mit IT-Technik die Energiewende managen
Verteilnetz intelligent ausbauen
Beim Umbau des deutschen Stromnetzes sehen sie sich gleich zwei Mal als Verlierer: Die rund 880 Stadtwerke in Deutschland. Erst stellt die staatliche Subventionierung von EEG-Anlagen das Stromnetz auf den Kopf, dann kurbelt die Anreizregulierung der Bundesnetzagentur den Wettbewerb unter ihnen an. Um in diesem Spannungsfeld bestehen zu können, gilt es für Stadtwerke aktuell, das eigene Verteilnetz mit Köpfchen zu modernisieren.
Kaum war sie raus, die staatliche Einspeisevergütung als Teil des Erneuerbare-Energien-Gesetz, da schossen sie wie Pilze aus dem Boden, die Photovoltaik-Anlagen auf privaten Wohngebäuden, Stallungen oder inmitten der Landschaft. Für die Bundesregierung eine erfreuliche Entwicklung. Denn sie hatte sich zum Ziel gesetzt, den Strom in Deutschland bis 2025 zu 45% aus erneuerbaren Energien zu gewinnen - bis 2035 sogar zu 60%. Und mit der gesetzlichen Regelung stieg das Volumen an Energie aus regenerativen Quellen planmäßig. Diejenigen, die sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit dem Bau einer eigenen Photovoltaik-Anlage zu Nutze gemacht hatten, sollten Gewinner sein. Sie konnten nun nicht nur ihren eigenen Strombedarf decken, sondern die Energie, die sie selbst nicht benötigt haben, zu guten Konditionen ins Netz einspeisen. Keiner dieser sogenannten Prosumenten, also gleichermaßen Stromproduzenten wie Stromkonsumenten, musste sich Gedanken darüber machen, was mit dem passiert, was tausende kleiner Erzeuger in das Netz einspeisen. Übel aufgestoßen ist das an einer anderen Stelle - da allerdings im wahrsten Sinne des Wortes: in den Verteilnetzstationen der Stadtwerke. Denn dort kam der Strom nun nicht mehr aus einer Richtung, um in die andere Richtung weitergeleitet und verteilt zu werden, sondern der Strom kam nun aus zwei Richtungen.
Stromverteilung auf den Kopf gestellt
Bis zur Energiewende mussten Verteilnetzbetreiber dafür sorgen, die Hochspannung, die ihnen von Großkraftwerken geliefert wurde, in Mittel- und Niederspannung umzuwandeln und diese in ihrer Region an die Endverbraucher zu verteilen. Mit der Energiewende wurde dieser Prozess auf den Kopf gestellt. Der Strom, den es zu verteilen galt, floss nun nicht mehr in definierter Menge aus einer Richtung - also von den Großkraftwerken, sondern er wurde zusätzlich von kleinen EEG-Anlagen aus dem Verteilnetz an die Ortsnetzstationen geliefert - und das in sehr unregelmäßigem Volumen. Das Ergebnis: schwankende Spannungsqualität im Stromnetz und Überlastung von Betriebsmitteln bis hin zum kompletten Ausfall einzelner Ortsnetzstationen. Verteilnetzbetreiber in ländlichen Regionen traf es dabei vergleichsweise heftiger als die in urbanen Strukturen. Zum einen, weil ihr Versorgungsgebiet ausgedehnter ist als das städtischer Energieversorger, zum anderen, weil ein Mehr an landwirtschaftlich genutzter Fläche auch ein Mehr an Einspeisern erneuerbarer Energien bei gleichzeitig geringerem Energiebedarf bedeutet. Für die Verteilnetzbetreiber wurde es damit ungleich schwerer, die Balance zwischen Strombedarf und Stromangebot zu steuern - letztendlich waren ihre Ortsnetzstationen dafür ja auch gar nicht ausgelegt, ebenso wenig, wie ihre Verteilnetze. So richtig Wind bekamen von dieser Situation allerdings nur die Betroffenen selbst. Weil das Gros der Medien im Zusammenhang mit der Energiewende nämlich über Offshore-Windparks oder Überlandleitungen berichteten, erfuhr die Herausforderung, die Verteilnetzbetreiber in Deutschland zu meistern hatten, kaum öffentliche Beachtung. Zu Unrecht, wie Thomas Klein von den Stadtwerken Völklingen findet: "Auch wenn uns die Berichterstattung der Medien etwas anderes glauben machen will - die Energiewende findet hauptsächlich in der Mittel- und Niederspannung statt." Dort nämlich gelte es, die Infrastruktur des Stromnetzes dafür zu ertüchtigen, die Auswirkungen der Energiewende zu kompensieren, damit Verteilnetzbetreiber auch weiterhin für eine zuverlässige Stromversorgung der Endverbraucher sorgen können. Und mit der Überzeugung, dass das keine einfache Aufgabe ist, ist Thomas Klein nicht allein.
Die Lösung: Ein Verteilnetz, das kommuniziert
Eine Lösung sieht Matthias Pfeffer, Kopf des Ingenieurbüros Pfeffer, ebenso wie viele seiner Branchenkollegen in der kommunikativen Verbindung von Einspeise- und Übergabepunkten innerhalb des Stromnetzes. Aus einem 'analogen'Stromnetz soll so ein digitales, intelligentes werden: das viel zitierte Smart Grid. "Intelligent bedeutet an dieser Stelle, dass das Netz kommunizieren kann", erklärt Matthias Pfeffer, "und das in alle Richtungen." Es ermögliche gezielt einzugreifen, wenn es darum geht, Energieangebot und -bedarf aufeinander abzustimmen. Und hier kommen auch die Ortsnetzstationen ins Spiel, für die neue Technologien gefordert sind, um sie zu intelligenten Ortsnetzstationen (iONS) um- oder aufzurüsten. Herausforderung ist dabei die betriebssichere, normenkonforme Abstimmung der Primär- und Sekundärtechnik-Komponenten. Funktionen wie Monitoring, Fehleridentifikation, Spannungsmanagement und Fernsteuerung werden die dezentral verteilte Netzsteuerung unterstützen sowie den Netzausbaubedarf und die Komplexität in der Leitwarte reduzieren. Die Projektierung der zusätzlichen Funktionen: Messen, Steuern, Regeln, Fernwirken und Visualisieren bedarf der Analyse der Netze sowie der Abstimmungen mit den Netzbetreibern und den Komponentenherstellern. Gemeinsam mit Wago und anderen Partnern hat das Ingenieurbüro Pfeffer so eine intelligente Ortsnetzstation auch schon auf die Beine gestellt. Die komplette Automatisierungstechnik der intelligenten ONS steuert Wago bei: ein PFC200 XTR-Controller auf der Mittelspannungsseite sowie die Steuerung PFC200 aufseiten der Niederspannung, das Panel e!display zur Visualisierung der Mess- und Steuerungsdaten direkt an der ONS selbst sowie die komplette Anschlusstechnik. Die mit Codesys frei programmierbaren Steuerungen von Wago sammeln dazu über digitale und analoge Signale sowie beispielsweise über Modbus RTU alle Daten der unterschiedlichen Systeme der Station ein, übersetzen sie in die vom Versorger benötigten Kommunikationsprotokolle, wie beispielsweise IEC60870-5-101/ -104 oder IEC61850, und schicken sie über eine Datenleitung zur Leitwarte. In der entgegengesetzten Richtung kann von der Leitwarte über die Controller auf die Systeme der Station, wie die Mittelspannungsschaltanlage, Schutzgeräte oder die Messsysteme zugegriffen werden. Vor unautorisierten Zugriffen wird der Datenfluss dabei über die Wago-Controller geschützt - zum einen durch die Verschlüsselung der Daten mittels TLS1.2, zum anderen durch speziell gesicherte Verbindungen, wie IPsec oder openVPN gemäß BDEW-Whitepaper.
Modernisierung auf wessen Kosten
Rund 600.000 Ortsnetzstationen verteilen sich über das gesamte Bundesgebiet. 20% von ihnen müssen Experten zufolge schlau werden, damit Verteilnetzbetreiber die Energiewende meistern können. Für Verteilnetzbetreiber bedeutet das in erster Linie eines: Investitionen - und die in nicht unerheblicher Höhe. Investitionen in Mess- und Steuerungsintelligenz, die weder honoriert noch subventioniert werden, wie Thomas Klein findet, der sich durchaus darüber ärgert, dass deutschen Verteilnetzbetreibern die politische Lobby zu fehlen scheint: "Während der Staat mit der Einspeisevergütung in den Ausbau regenerativer Energien investiert hat, vergaß er offenbar gleichermaßen den Ausbau der Technologien im Verteilnetz zu unterstützen", klagt er. Aus seiner Sicht werden deutsche Verteilnetzbetreiber damit gleich zwei Mal zum Verlierer der Energiewende: Erst seien sie gefordert ihre Infrastruktur dafür zu ertüchtigen, die Auswirkungen zu kompensieren, die sich durch die steigende Anzahl kleiner Energieerzeuger im Verteilnetz ergeben haben und dann könnten sie den hohen Investitionen, die sie dazu in ihre Infrastruktur tätigen müssen, keine höheren Erlöse aus dem Stromverkauf gegenüberstellen. Denn die würden durch die Anreizregulierung der Bundesnetzagentur gedeckelt: Seit 2009 gibt die Bundesnetzagentur über die Anreizregulierung vor, welche Gewinne Verteilnetzbetreiber mit ihrer Dienstleistung maximal erwirtschaften dürfen. Die Erlös-Obergrenze orientiert sich dabei an den Netzentgelten, die von den Branchenbesten aufgerufen werden. Die Anreizregulierung, die zum Ziel haben soll, den Wettbewerb unter den Verteilnetzbetreiber anzukurbeln und einen Anreiz für die Durchführung effizienzsteigernder Maßnahmen zu bieten, erzeugt dementsprechend auch Kostendruck. Anstatt in die zügige Modernisierung ihrer Verteilnetze zu investieren, sind Betreiber gehalten, ihre Ausgaben im Blick zu haben. Langfristig sei dadurch eher mit einer Verschlechterung der Versorgungsqualität zu rechnen, prognostizieren einige Netzbetreiber dementsprechend bereits heute. Im wahrsten Wortsinn düstere Aussichten - zu Recht oder Gejammer auf hohem Niveau? Aus Sicht der Bundesregierung vermutlich eher Zweites. Dort ist man nicht davon überzeugt, dass in Deutschland mittelfristig "die Lichter ausgehen" könnten, weil es rein statistisch in Deutschland keine Probleme bei der Stromversorgung gibt. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern oder den USA werden deutsche Endverbraucher überdurchschnittlich zuverlässig mit Strom beliefert. Die Bundesnetzagentur weist das mittels des SAIDI-Werts aus (System Average Interruption Duration Index). Der SAIDI-Wert gibt die durchschnittliche Versorgungsunterbrechung je angeschlossenem Letztverbraucher innerhalb eines Kalenderjahres an. Ihm zufolge blieb der Strom in deutschen Haushalten im gesamten Kalenderjahr 2014 lediglich durchschnittliche 12,28 Minuten aus. "Ein maßgeblicher Einfluss der Energiewende und der steigenden dezentralen Erzeugungsleistung auf die Versorgungsqualität ist auch weiterhin nicht erkennbar", kommentierte Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur diesen Wert.
Asset Management mit Köpfchen
Mit staatlichen Subventionen, die die Modernisierung ihrer Verteilnetze unterstützen, werden Betreiber dementsprechend auch mittelfristig wohl nicht rechnen können. Was ihnen schlussendlich bleibt, ist eine Modernisierung ihrer Infrastruktur mit Maß und Köpfchen. Gut ist das durch die Integration modularer MSR-Technik möglich. Sie kann in einem ersten Schritt mit wenigen Komponenten wie Controller mit integriertem Modem, 3-Phasen-Leistungsmessklemme und Rogowski-Spule als reines Messsystem ausgelegt werden und zu einem späteren Zeitpunkt durch die einfache Ergänzung einzelner Funktionsbausteine für das Steuern und Regeln innerhalb des Verteilnetzes ertüchtig werden. Anstatt also ad hoc enorme Summen in die Modernisierung ihrer Infrastruktur zu investieren, können Verteilnetzbetreiber so zuerst mit Hilfe des Messsystems valide Daten erheben, um auf Basis dieser Daten zu entscheiden, wie sie ihr Verteilnetz optimal auslegen; also wie groß Trafos dimensioniert werden müssen, welche Kabel eingespart werden können und an wie vielen und welchen Punkten die Integration von Steuerungsintelligenz sinnvoll ist, um das Spannungsband ihrer Ortsnetzstationen in der Balance zu halten. Verteilnetzbetreiber können so zielgerichtet und schrittweise in die Modernisierung ihrer Netze investieren ohne Bestandsinvestitionen zu gefährden: Heute messen, morgen regeln, übermorgen steuern.
Messen
Für welche Ortsnetzstation im Verbund ist eine Modernisierung überhaupt erforderlich? Können Kabel eingespart werden, wenn die Ortsnetzstation intelligent wird oder kann eventuell ein Trafo kleiner ausgelegt werden? Für ein zielgerichtetes Asset-Management benötigen Verteilnetzbetreiber zuverlässige Daten. Besonders pfiffig hat diese Herausforderung das Stadtwerk Völklingen gelöst. Dort wurde eine mobile Messbox eingesetzt, um an Stationen, die als neuralgische Punkte innerhalb des Verteilnetzes bekannt waren, temporär Daten zu erfassen, diese an die Leittechnik zu übertragen und dort zu analysieren. Die mobile Messbox ist für diese Aufgabe mit einem Controller PFC200, 3-Phasen-Leistungsmessklemmen und Rogowski-Spule von Wago sowie einem Modem ausgestattet. Die Stadtwerke Völklingen haben mit der Box unter anderem die Belastungswerte ihrer Trafos ermittelt und konnten so entscheiden, ob ihre Trafoleistung in bestimmten Stationen ausreicht oder größer ausgelegt werden muss. Die Belastung des Neutralleiters kann ebenfalls eingesehen werden, wurde dieser in der Vergangenheit doch im Querschnitt kleiner ausgelegt.
Steuern
Dafür, dass das Stromnetz wegen eines Kurzschlusses ausfällt, gibt es mannigfaltige Gründe. Häufig sehr profane, wie eine vom Bagger durchtrennte Leitung. Im bestehenden Verteilnetz müssen Servicetechniker nach dem physischen Fehler suchen, bevor sie ihn beheben können. Im schlimmsten Fall kann das bedeuten, dass ein kompletter Netzverbund so lange ohne Stromversorgung bleibt, bis der Fehler gefunden und behoben ist. Im intelligenten Verteilnetz kann der Fehler aus der Leitzentrale detektiert und der Kurzschluss aus der Ferne freigeschaltet werden. Für den überwiegenden Teil des Netzes ist damit die Stromversorgung gesichert, während sich die Techniker gezielt und ohne zeitraubende Suche, der Fehlerbehebung widmen können. Das Wago-Messsystem aus Controller PFC200, 3-Phasen-Leistungsmessklemmen, Rogowski-Spule und Modem muss dafür durch eine Digitaleingangs- und -ausgangsklemme ergänzt werden. So lassen sich Zustände der Motorantriebe erfassen und im Bedarfsfall auch aus der Ferne beeinflussen. Die Integration von Kurzschlussanzeigern erfolgt über das gängige Modbus-RTU Protokoll, welches die serielle Schnittstelle des PFC200 unterstützt.
Regeln
Permanente Überspannung schadet auf Dauer dem Trafo einer Ortsnetzstation. Um das Spannungsband in der Balance zu halten, sind regelbare Trafos erforderlich, die dazu in der Lage sind, die Spannung dynamisch anzupassen. Weil regelbare Ortsnetztransformatoren über einen Schrittmotor verfügen muss das Wago-Steuersystem aus Controller PFC200, 3-Phasen-Leistungsmessklemmen, Rogowski-Spule, Modem und Digitaleingangs- und ausgangsklemmen um Analogeingangs- und ausgangsklemmen sowie Stepperklemmen ergänzt werden. Zusätzlich sind von Wago auch PT100/PT1000 Messkarten verfügbar, welche die Trafotemperatur und/oder die Stationstemperatur überwachen.
Beim Umbau des deutschen Stromnetzes sehen sie sich gleich zwei Mal als Verlierer: Die rund 880 Stadtwerke in Deutschland. Erst stellt die staatliche Subventionierung von EEG-Anlagen das Stromnetz auf den Kopf, dann kurbelt die Anreizregulierung der Bundesnetzagentur den Wettbewerb unter ihnen an. Um in diesem Spannungsfeld bestehen zu können, gilt es für Stadtwerke aktuell, das eigene Verteilnetz mit Köpfchen zu modernisieren.
Kaum war sie raus, die staatliche Einspeisevergütung als Teil des Erneuerbare-Energien-Gesetz, da schossen sie wie Pilze aus dem Boden, die Photovoltaik-Anlagen auf privaten Wohngebäuden, Stallungen oder inmitten der Landschaft. Für die Bundesregierung eine erfreuliche Entwicklung. Denn sie hatte sich zum Ziel gesetzt, den Strom in Deutschland bis 2025 zu 45% aus erneuerbaren Energien zu gewinnen - bis 2035 sogar zu 60%. Und mit der gesetzlichen Regelung stieg das Volumen an Energie aus regenerativen Quellen planmäßig. Diejenigen, die sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit dem Bau einer eigenen Photovoltaik-Anlage zu Nutze gemacht hatten, sollten Gewinner sein. Sie konnten nun nicht nur ihren eigenen Strombedarf decken, sondern die Energie, die sie selbst nicht benötigt haben, zu guten Konditionen ins Netz einspeisen. Keiner dieser sogenannten Prosumenten, also gleichermaßen Stromproduzenten wie Stromkonsumenten, musste sich Gedanken darüber machen, was mit dem passiert, was tausende kleiner Erzeuger in das Netz einspeisen. Übel aufgestoßen ist das an einer anderen Stelle - da allerdings im wahrsten Sinne des Wortes: in den Verteilnetzstationen der Stadtwerke. Denn dort kam der Strom nun nicht mehr aus einer Richtung, um in die andere Richtung weitergeleitet und verteilt zu werden, sondern der Strom kam nun aus zwei Richtungen.
WAGO Kontakttechnik GmbH & Co. KG
Dieser Artikel erschien in SCHALTSCHRANKBAU Sonderheft 2 2016 - 23.09.16.Für weitere Artikel besuchen Sie www.schaltschrankbau-magazin.de