Ein zentrales Nerven- system für Gebäude
Vernetzt, energieautark, anpassungsfähig und vor allem intelligent - so soll das Gebäude der Zukunft sein. Durch die voranschreitende Digitalisierung in der Gebäudetechnik wird diese Vision schon bald Realität.
Ob ICT, Automobil-, Medien- und Unterhaltungsindustrie, Finanzsektor oder Pharma - die digitale Transformation hat mittlerweile fast alle Branchen erfasst und mit neuen Wettbewerbern und Geschäftsmodellen begonnen, die Märkte zu verändern. Nun setzt sich die Digitalisierung auch in der Gebäudetechnik durch und verändert damit von Grund auf, wie Gebäude in Zukunft geplant, gebaut, genutzt und letztendlich auch bewirtschaftet werden. Wenn man nur den Energieverbrauch betrachtet, ist das Potenzial der Digitalisierung bereits enorm: Zum einen sind Gebäude für über 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und für einen Großteil des CO2-Ausstoßes verantwortlich und zum anderen sind sie einer der größten Aufwandsposten in der Bilanz von Unternehmen: Ihre Betriebskosten machen fast 80 Prozent der Gesamtkosten über den gesamten Lebenszyklus aus. Die automatische und effiziente Kontrolle sowie die Steuerung von Licht, Lüftung, Heizung und Sicherheitssystemen sind daher ein wichtiger Hebel und bei Neubauten bereits Realität. Doch die wahre Revolution findet im Hintergrund statt.
Der digitale Gebäudezwilling
Entgegen der heute üblichen baubegleitenden Planung wird beim Building Information Modelling - oder kurz BIM - das gesamte Gebäude mit allen Gewerken parallel und abgestimmt geplant und im virtuellen Digitalmodell simuliert, getestet und bei Bedarf korrigiert. So können Fehler und Unstimmigkeiten einfach in der Software geändert werden und müssen nicht mühevoll auf der Baustelle behoben werden. Das Gebäude wird also quasi zweimal gebaut: einmal virtuell auf dem Computer und erst dann physikalisch in der Realität. Man spricht hier von den 'Digital Twins', den Gebäudezwillingen. Die zeitgleiche Planung der verschiedenen Gewerke ermöglicht nun auch gewerkeübergreifende, koordinierte Lösungen, die in der Vergangenheit durch die Vergabepraxis nur selten realisiert werden konnten. Durch die virtuelle Planung und die Nutzung eines gemeinsamen Datenmodells können nun auch detaillierte Varianten in einer frühen Phase zur Optimierung des Gebäudes geprüft werden: Welche Auswirkungen hat die Wahl eines bestimmten Fassadentyps auf die Bau- und Investitionskosten sowie auf die spätere Wartung, Reinigung und die Behaglichkeit der Nutzer? Welchen Einfluss hat eine zusätzliche Tür auf künftige Evakuierungsszenarien, den Komfort oder die Heizkosten? Lassen sich solche Fragen bereits vor dem ersten Spatenstich exakt beantworten, können Bauvorhaben günstiger, einfacher und nachhaltiger sowie der Betrieb sicherer, komfortabler und effizienter werden. Bislang scheiterte die durchgängige Gebäudedatenmodellierung u.a. auch an den technischen Voraussetzungen. Mit Cloud Computing - praktisch unlimitierter Rechenleistung und Speicherkapazität sowie der permanenten Verfügbarkeit von Netzen und Endgeräten - steht der Umsetzung jetzt eigentlich nichts mehr im Wege - eigentlich. Denn eine breite Nutzung wird insbesondere durch die Kleinteiligkeit der Branchen mit ihren zahlreichen Akteuren und deren unterschiedlichen Interessen immer noch gebremst. Diese Büros, Betriebe und Personen, die einzelne Prozesse oder Gewerke des Gebäudes bearbeiten, agieren traditionell unabhängig voneinander. Die mit BIM erreichbare enge Kooperation ist neuartig und erfordert zum Teil auch angepasste Prozessschritte und Geschäftsmodelle. Hinzu kommen die vergleichsweise hohen Anschaffungskosten zur Einführung entsprechender Systeme, fehlende Standards und Schnittstellen sowie der Umstand, dass erst wenige Hersteller BIM-geeignete Daten für ihre Bauteile liefern können. Außerdem ist das derzeitige Vergabeverfahren problematisch, da die 'digitale' Planung und Simulation meist nicht budgetiert ist und auch noch durch keine Position in den geltenden Honorarordnungen vertreten ist. Nichtsdestotrotz wird jetzt schon deutlich, dass die BIM-konforme Gebäudedatenmodellierung bei öffentlichen Bau- und Infrastrukturprojekten zunehmend vorgeschrieben wird - auf EU-Ebene ist die Einführung dieser Methode bereits beschlossene Sache.
Alles wird kommuniziert und ausgewertet
Ein weiterer Grundpfeiler der Digitalisierung in der Gebäudetechnik ist die mittlerweile weit vorangeschrittene Vernetzung von Maschinen, Geräten, Komponenten, Sensoren, Aktoren und anderen Objekten zum sogenannten 'Internet der Dinge'. Diese Verschmelzung von realer und digitaler Welt legt zum einen die Basis für die Vernetzung der unterschiedlichen Gewerke, zum anderen aber auch für neue digitale Services und Geschäftsmodelle. Mit Remote-Service-Lösungen etwa können Probleme an verschiedensten Komponenten schnell und effizient aus der Ferne erkannt und behoben werden. Präventive Wartungskonzepte können Ausfallzeiten minimieren, indem die Komponenten dem Hersteller melden, dass sie nicht mehr einwandfrei funktionieren, und dies lange bevor ein Schaden tatsächlich auftritt und zur Unterbrechung führt. Die sogenannte 'Business Continuity' ist ein wichtiger Faktor bei der heutigen Geschäftsplanung. Sensoren, Aktoren und Co. liefern aber zuhauf weitere wertvolle Informationen, die heute allerdings noch weitgehend ungenutzt bleiben. Durch eine intelligente Auswertung mit 'Big Data'-Anwendungen könnten diese riesigen, unstrukturierten Datenmengen - bei Bedarf in Echtzeit - zu aussagefähigen Kennzahlen kombiniert werden: Intelligente Algorithmen werten Trends aus und erkennen Muster im Nutzerverhalten oder im Verbrauch. Damit bieten sie fundierte Entscheidungsgrundlagen, erlauben vorausschauende Strategien und eine kontinuierliche Optimierung. In Kombination mit cleveren Selbstoptimierungsfunktionen erhalten Gebäude auf diese Weise ein zentrales Nervensystem: Sie werden intelligent.
Das intelligente Gebäude erhöht die Produktivität und spart Energie
Diese Gebäudeintelligenz kommt insbesondere auch den Gebäudenutzern zugute. Durch die optimale Abstimmung der Umgebung bezüglich Licht, Luftqualität, Temperatur und Feuchtigkeit fühlen sich die Benutzer im Gebäude wohl, was einen positiven Effekt auf die Arbeitsproduktivität zur Folge hat. Neben diesem Effekt hat das intelligente Gebäude einen positiven Einfluss auf die Energieeffizienz. Dies wird umso wichtiger, da auf europäischer Ebene Rufe nach sogenannten 'Zero Net Energy Buildings' laut werden, also nach Gebäuden, die kaum noch externe Energie beziehen. Intelligente Gebäude kommen dieser Forderung nach - sie sind nicht mehr nur Energiekonsumenten, sondern - auch - produzenten mit lokalen Systemen wie Photovoltaik, Windkraft oder Blockheizkraftwerken- Stichwort: dezentrale Energieversorgung. Die so erzeugte überschüssige Energie speisen die Gebäude in ein allgemeines Stromnetz ein oder speichern sie selbst - beispielsweise in Elektro-Fahrzeugen, die mit dem Gebäude vernetzt sind und als temporäre Akkus genutzt werden, solange sie nicht für ihren ursprünglichen Zweck im Einsatz sind. Intelligente Gebäude ermitteln Verbräuche und aktuelle sowie vorausschauende Nutzerbedürfnisse, steuern sich selbst und beziehen Energie nur dann, wenn sie ausreichend verfügbar und entsprechend günstig zu haben ist. Auf diese Weise wird die Gebäudeintelligenz letztendlich auch zu einer Stabilisierung des gesamten Stromnetzes beitragen. Wichtige Ansätze dafür liefert Siemens bereits heute mit den cloud-basierten Gebäudemanagement- und Energiemanagementplattformen.
Die Evolution des Gebäudes
Unter dem Strich bringt die Digitalisierung Gebäude in Sachen Effizienz, Sicherheit, Komfort und Behaglichkeit in eine neue Dimension. Durch die Allgegenwärtigkeit von Sensoren und der intelligenten Auswertung der von ihnen gelieferten Daten werden Gebäude künftig zu dynamischen Ökosystemen, die smart auf ihre Umgebung reagieren und ihre Vorteile langfristig auch im Verbund mit anderen Gebäuden und Infrastrukturen ausspielen (intelligente Verteilnetze oder 'smart grids'). Die digitale Transformation in der Gebäudetechnik bringt aber einen Paradigmenwechsel für die gesamte Branche mit sich: Es wird neue und sich verändernde Geschäftsmodelle geben. Software avanciert zum zentralen Faktor, Offenheit und Transparenz sind Trumpf, Verlierer sind in sich geschlossene und proprietäre Systeme. Aus diesem Transformationsprozess ergeben sich Chancen, die sich erst in der digitalen Welt entfalten können. Neue Geschäftsmodelle verändern aber bereits jetzt die Spielregeln des Marktes und können die Kräfteverhältnisse in den angestammten Märkten verändern. Dadurch werden traditionelle Konkurrenzsituationen abgelöst durch komplexere Konstellationen, in denen Unternehmen über ein Netz aus Partnerschaften und Allianzen in sogenannten 'Ecosystems' miteinander verbunden sind, aber gleichzeitig als Konkurrenten am Markt auftreten. Dabei gewinnen auch Partnerschaften zwischen traditionellen Industrieunternehmen und großen IT-Playern zunehmend an Bedeutung. Siemens und IBM haben mit ihrer Allianz darauf bereits reagiert.
Welche Hauptvorteile bringt die Building-Information-Modeling(BIM)-Methode - das Zusammenführen von Architektur und Ingenieurwesen, Haus-/Gebäudetechnik und Facility-Management in einem Computermodell - mit sich?
Die wichtigste Zielsetzung bei der Nutzung der BIM-Methode ist es, eine optimale Lösung im Errichtungsprozess zu erreichen - optimal im Hinblick auf Fehlervermeidung, Termintreue und Budgeteinhaltung. Daraus ergibt sich automatisch ein weiterer Vorteil: Wer mit der BIM-Methode baut, hat am Schluss konsistente Gebäudedaten vorliegen. Diese kann das Facility-Management direkt weiternutzen, um das Gebäude kontinuierlich zu optimieren.
Was ist der Grund für die zurückhaltende Anwendung von BIM in Deutschland? In anderen Ländern wird die Methode bereits in wesentlich größerem Umfang und bereits seit längerer Zeit praktiziert.
In der Tat sind u.a. die skandinavischen Länder oder auch Singapur derzeit führend bei der Nutzung von BIM. Der wichtigste Grund dafür, dass Deutschland noch nicht so weit ist, liegt in der heutigen Form der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure begründet, der sogenannten HOAI. Diese sieht die Leistungsberechnungen nach dem klassischen Prinzip vor, soll heißen: Der Architekt kümmert sich ausschließlich um die Architekturthemen, der Planer ausschließlich um die Planerthemen, und genau diese Aufwände werden auch vergütet. BIM weicht jedoch diese klassische Aufgabenteilung auf und verwischt die Grenzen. Der Architekt könnte beispielsweise schon gewisse planerische Aufgaben vorab übernehmen. Damit verschieben sich auch die Aufwände, doch diese werden durch das HOAI-Vergütungsmodell nicht abgedeckt. Die Lösung wäre, das traditionelle Vergütungsmodell aufzubrechen und es flexibler zu gestalten. Andere Länder planen und rechnen nicht nach so starren Schemata ab. Das ist ein Grund dafür, warum sie bei der BIM-Nutzung schon weiter sind als Deutschland.
Wie sollte ein Unternehmen vorgehen, wenn es BIM einführen möchte?
Es sind mehrere Parteien, die zur Einführung von BIM beitragen: Zunächst der Auftraggeber - entweder die öffentliche Hand oder private Investoren -, der BIM als Anforderung in seine Ausschreibung aufnehmen muss. Danach müssen Architekt und Generalunternehmer die Projektunterlagen auf BIM-Basis erstellen. Die Subunternehmer müssen ihre Leistungen entsprechend anbieten, und die Komponenten- bzw. Produktlieferanten müssen alle ihre Produktdaten in einem BIM-konformen Datenformat beschreiben.
Welche technischen Anforderungen bzw. Voraussetzungen bestehen bei der Anwendung von BIM?
Die am Bauprozess verantwortlich Beteiligten müssen mit modernen 3D-CAD-Tools mit BIM-konformen Datenmodellen arbeiten und sie müssen diese Informationen zentral in einer Datenbank hinterlegen, um den Übergang zu einem durchgängig digitalen Prozess zu erleichtern. Ergänzend könnte es im Sinne der Qualitätssicherung sinnvoll sein, die heutigen Planungs- und Konstruktionsprozesse ebenfalls in diesen Tools abzubilden.
Wer übernimmt in einem Projekt das BIM-Management, der Architekt, der Bauunternehmer oder ein Gewerke übergreifender Systemintegrator?
Bei öffentlichen Aufträgen könnte man sich vorstellen, dass ein BIM-Manager gesetzlich vorgeschrieben wird. Im Idealfall setzt der Architekt oder der Generalunternehmer für sein BIM-Projekt direkt unter dem Projektleiter einen BIM-Manager ein. Seine Aufgabe ist es, sich um den Datenaustausch in allen Disziplinen zu kümmern. Die Rolle erfordert neben fundiertem Know-how in BIM-Technologie und IT auch praktische Kenntnisse in Baudesign und -ausführung.
Ist BIM nur für Großprojekte geeignet, oder wird das Thema in Zukunft auch interessant für kleinere Anwendungen?
In der Übergangsphase vom traditionellen Errichtungsprozess zur BIM-Methode wird BIM zu höheren Initialkosten führen, sodass die Methode zunächst nur für größere Projekte attraktiv ist. Wenn jedoch der Nutzen in Großprojekten sichtbar ist, ist zu erwarten, dass BIM zunehmend auch für kleinere Projekte eingesetzt wird. Für den Bau des Eigenheims wird BIM vorerst nicht relevant werden, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass BIM in absehbarer Zeit auch für mittelgroße Bürobauten genutzt werden wird. (hsc)
Vernetzt, energieautark, anpassungsfähig und vor allem intelligent - so soll das Gebäude der Zukunft sein. Durch die voranschreitende Digitalisierung in der Gebäudetechnik wird diese Vision schon bald Realität.
Ob ICT, Automobil-, Medien- und Unterhaltungsindustrie, Finanzsektor oder Pharma - die digitale Transformation hat mittlerweile fast alle Branchen erfasst und mit neuen Wettbewerbern und Geschäftsmodellen begonnen, die Märkte zu verändern. Nun setzt sich die Digitalisierung auch in der Gebäudetechnik durch und verändert damit von Grund auf, wie Gebäude in Zukunft geplant, gebaut, genutzt und letztendlich auch bewirtschaftet werden. Wenn man nur den Energieverbrauch betrachtet, ist das Potenzial der Digitalisierung bereits enorm: Zum einen sind Gebäude für über 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und für einen Großteil des CO2-Ausstoßes verantwortlich und zum anderen sind sie einer der größten Aufwandsposten in der Bilanz von Unternehmen: Ihre Betriebskosten machen fast 80 Prozent der Gesamtkosten über den gesamten Lebenszyklus aus. Die automatische und effiziente Kontrolle sowie die Steuerung von Licht, Lüftung, Heizung und Sicherheitssystemen sind daher ein wichtiger Hebel und bei Neubauten bereits Realität. Doch die wahre Revolution findet im Hintergrund statt.
Siemens Schweiz AG
Dieser Artikel erschien in GEBÄUDEDIGITAL 1 2017 - 09.02.17.Für weitere Artikel besuchen Sie www.gebaeudedigital.de