Projekte richtig aufsetzen
MES ist mehr als Technologie
Ein Manufacturing Execution System ist die Basis für den Weg zur Industrie 4.0. Das kann man glauben oder auch skeptisch hinterfragen, aber vor diesem Hintergrund ist das Thema MES auf den Geschäftsführungs- und Vorstandsetagen vieler Unternehmen angekommen. Die Vielzahl an aktuellen Projekten deutet auf einen regelrechten Hype rund um MES-Anwendungen hin. Aber wie passen das Wunschdenken der Anwender und die Versprechen der MES-Anbieter mit der Realität in den Werken zusammen?
Zunächst die gute Nachricht: Zeitgemäße MES-Programme bieten heute weitaus mehr als digitale grafische Plantafeln zur Fertigungssteuerung oder Maschinen- und Betriebsdatenerfassung zur OEE-Ermittlung. Das Spektrum der Aufgaben, die heute von ME-Systemen abgedeckt werden, lässt sich sehr gut aus der überarbeiteten VDI-Richtlinie 5600 Blatt 1 vom Oktober 2016 ablesen und verschiedene Marktübersichten bieten einen guten Überblick über das Angebot und die Leistungsprofile der rund 200 angebotenen Systeme auf dem deutschsprachigen Markt. Funktional geht wirklich schon sehr viel und mit einer guten Checkliste beziehungsweise einem guten Lastenheft sowie einer professionell durchgeführten Systemevaluation lassen sich geeignete Lösungen finden.
Klare Ziel setzen
Die erste Herausforderung ist bereits die Zielsetzung. In der Regel sind die Motive und Ziele eines MES-Projekts vielschichtig; Ablösung von Altsystemen und Individuallösungen, Standardisierung und Harmonisierung der produktionsunterstützenden IT-Systeme, Reduzierung von IT-Kosten und die Zukunftsfähigkeit. Das sind legitime Anforderungen an ein MES-Projekt, bergen in ihrer Vielschichtigkeit aber die Gefahr des Scheiterns in sich. Hier muss jedes Unternehmen seinen Weg finden, aber es gibt natürlich grundlegende Aspekte, die man beachten kann. Jeder Standort und sogar jeder Produktionsbereich hat in der Regel eine andere Ausgangssituation, andere Randbedingungen, Produkte, Fertigungsverfahren, Prozesse und IT-Subsysteme und damit nachvollziehbar andere Anforderungen an ein MES. Darüber hinaus kommen häufig auch unterschiedliche Management- und Mitarbeiterinteressen und bei globalen Standorten Kulturunterschiede hinzu. Das heißt, sowohl der Weg zu einem MES als auch das 'Zielbild' werden unterschiedlich aussehen. Wenn dann noch die zentrale beziehungsweise globale IT-Organisation eigene, in größeren Unternehmen häufig durch die SAP ERP-Brille betrachtete Interessen in das MES-Projekt einbringt, wird es noch schwerer.
Wem gehört das MES?
Oft muss erst einmal geklärt werden, wer beim Thema MES im Unternehmen eigentlich den Ton angibt: Die IT, die zentrale Produktionsorganisation oder die einzelnen Standorte. Auch die Spielregeln der Zusammenarbeit im Projekt und das spätere Betreibermodell und die Supportorganisation sollten Firmen früh und verbindlich definieren. Der Aufbau der entsprechenden Organisation und deren Verankerung im Unternehmen stellt häufig schon eine größere Hürde dar, als die erste MES-Pilotinstallation erfolgreich zum Golive zu führen.
MES und ME-Layer
Ein weiterer Erfolgsfaktor für ein MES-Projekt ist es abzustecken, welche Aufgaben das MES überhaupt übernehmen soll. Zunächst gilt es in der Automatisierungspyramide aus Sicht des MES-Layers nach oben auf die ERP-Schicht abzugrenzen. Reichen die Materialbedarfsplanung im ERP-System oder die vielleicht vorhandene Feinplanungslösung (APS), um Fertigungsaufträge zu generieren, zu planen und zu steuern? Oder bedarf es einer gegebenenfalls ergänzenden Feinplanung und Steuerung beziehungsweise eines 'Dispatching' durch lokale, fertigungsnahe Leitstände? Ähnliche Fragen gilt es häufig für die Instandhaltung, Qualitätssicherung und etwa das Werkzeugmanagement zu klären. Auch in Richtung Scada-Ebene ist es sinnvoll, klar abzugrenzen. Ist etwa die Steuerung von automatisierten Fertigungslinien noch eine MES-Aufgabe oder eher eine der Automatisierungstechnik? Spätestens wenn als MES die SAP Manufacturing Execution Suite mit dem PCo-Modul ins Spiel kommt, können Konflikte entstehen. Darüber hinaus gilt es auf dem ME-Layer festzulegen, wie mit vorhandenen und zukünftigen Lösungen und Anforderungen verfahren wird. Hier ist zwischen zentral betreuten, unternehmesweiten Best Practice-Lösungen, lokalen Speziallösungen, Übergangslösungen und Ablösekandidaten zu unterscheiden. Erst daraus leitet sich ab, für was das neue MES zuständig sein wird. Es ist nicht sinnvoll und in der Praxis auch nicht möglich, alle Aufgaben auf dem ME-Layer für alle Standorte und Produktionsbereiche vollständig mit einem MES abzudecken.
MES-Entwicklungen
Zusätzlich sollten schon die neueren Entwicklungen in der MES-Welt mit den eigenen Anforderungen abgeglichen werden. Beispielsweise sollten sich ME-Systeme vor dem Hintergrund des Industrie 4.0-Trends in Bezug auf die Datenstrukturierung und Abbildung der Produktion von der ERP-Sicht emanzipieren - im Sinn eines digitalen Zwillings der Produktion. Klassische Stücklisten- und Arbeitsplanstrukturen mit Arbeitsvorgängen - häufig eher konstruktions- als fertigungsgerecht aufgebaut - reichen meist nicht, um eine digitalisierte Produktion abzubilden mit variantenreichen, serialisierten Teilen und Baugruppen in Losgröße Eins, hergestellt auf automatisierten Anlagen mit Online-Prüfschritten oder an Arbeitsplätzen mit digitalisierten Arbeitsanweisungen im Rahmen einer Online-Werkerführung. Ob das MES später als offene Integrationsplattform dienen soll, oder als klassisch modular aufgebautes MES, kann bei der Systemauswahl trotzdem entscheidend sein. Doch genauso wichtig ist es, einen Rahmen für das MES-Projekt zu schaffen, der den vielen Faktoren Rechnung trägt, die beachtet werden wollen. Ganz sicher wird kein Unternehmen der Weg zur Industrie 4.0 'so nebenbei' erfolgreich gehen.
Ein Manufacturing Execution System ist die Basis für den Weg zur Industrie 4.0. Das kann man glauben oder auch skeptisch hinterfragen, aber vor diesem Hintergrund ist das Thema MES auf den Geschäftsführungs- und Vorstandsetagen vieler Unternehmen angekommen. Die Vielzahl an aktuellen Projekten deutet auf einen regelrechten Hype rund um MES-Anwendungen hin. Aber wie passen das Wunschdenken der Anwender und die Versprechen der MES-Anbieter mit der Realität in den Werken zusammen?
Zunächst die gute Nachricht: Zeitgemäße MES-Programme bieten heute weitaus mehr als digitale grafische Plantafeln zur Fertigungssteuerung oder Maschinen- und Betriebsdatenerfassung zur OEE-Ermittlung. Das Spektrum der Aufgaben, die heute von ME-Systemen abgedeckt werden, lässt sich sehr gut aus der überarbeiteten VDI-Richtlinie 5600 Blatt 1 vom Oktober 2016 ablesen und verschiedene Marktübersichten bieten einen guten Überblick über das Angebot und die Leistungsprofile der rund 200 angebotenen Systeme auf dem deutschsprachigen Markt. Funktional geht wirklich schon sehr viel und mit einer guten Checkliste beziehungsweise einem guten Lastenheft sowie einer professionell durchgeführten Systemevaluation lassen sich geeignete Lösungen finden.
HIR Hoff Industrie Rationalisierung GmbH
Dieser Artikel erschien in IT&Production November 2017 - 08.11.17.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com