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Was kommt nach der Wissensgesellschaft? Kompetenzmodelle in der Digitalisierung

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Nach Einschätzung des World Economic Forum könnten 65 Prozent der heutigen Schulkinder später in Jobs arbeiten, die heute noch nicht existieren. Es gibt Modellrechnungen, nach denen in den kommenden zehn Jahren durch das Internet der Dinge, Automatisierung und KI-Systeme je nach Branche die Hälfte der Arbeitsplätze entfallen könnten. Andere Studien prognostizieren deutlich geringere Folgen. Nach der Wissensgesellschaft rufen Bildungsforscher nun das Zeitalter der Kompetenzgesellschaft aus. Eine Erstqualifikation und daraus entstandene Fertigkeiten, Methoden und Fachwissen sind notwendige Voraussetzung für beruflichen Erfolg. Sie sind aus unternehmerischer Sicht aber heute nur noch nur ein Teilaspekt bei der Mitarbeiterentwicklung. Wichtiger ist das, was Mitarbeiter aus ihren Fähigkeiten machen, wie sie Problemstellungen in der Praxis angehen. Vor allem in komplexen Situationen, in denen die bekannten Regeln, die alten Kenntnisse und Fertigkeiten nicht mehr zur Problembewältigung ausreichen, müssen Mitarbeiter selbstorganisiert die unbekannte Herausforderung lösen können. Und genau dafür brauchen sie die entsprechende Kompetenz und das gleich auf mehreren Handlungsfeldern.

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Eine Erstqualifikation und daraus entstandene Fertigkeiten, Methoden und Fachwissen sind notwendige Voraussetzung für beruflichen Erfolg. Wichtiger ist jedoch das, was Mitarbeiter aus ihren Fähigkeiten machen, wie sie Problemstellungen in der Praxis angeh

Sich selbst der Lösung nähern

Trotz Wissens- und Erfahrungslücken müssen sie bereit und in der Lage sein, sich selbstlernend einer Lösung zu nähern und eine Entscheidung zu treffen. Handlungskompetenz setzt Eigeninitiative und Selbststeuerung voraus, nicht nur bei Managern, sondern immer häufiger auch in vermeintlich einfachen Positionen. Vor allem Teams müssen sich dafür Lernräume erschließen, in denen sie durch Reflektion ihrer Arbeit eine permanente Situation des Erfahrungslernens schaffen. Kompetenzmanagement und der Einsatz eines Kompetenzmodells ist deshalb für jedes Unternehmen mit Zukunftsperspektiven im Rahmen der digitalen Transformation ein wichtiges Mittel für die Weiterentwicklung der Organisation und seiner Mitarbeiter. Ein Kompetenzmodell beschreibt die im Unternehmen vorhandenen und benötigten Kompetenzen für alle Arbeitsprozesse und unterstützt die beständige Entwicklung der Organisation - sowohl bei der Personalentwicklung aktueller Mitarbeiter als auch bei der Gewinnung und Eingliederung neuen Personals oder der Änderung in kompletten Wertschöpfungsprozessen. Typisch sind im Kompetenzmanagement Cluster wie Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Persönlichkeits- und personale Kompetenz sowie Führungskompetenz.

Lohnenswert für die Zukunft

Für wen lohnt sich die Einführung von Kompetenzmodellen und das systematische Management von Kompetenzen? Für alle Unternehmen, die ein Interesse an ihrer Zukunftssicherung haben. Jedes Unternehmen muss für sich selbst ermitteln, welche Cluster sinnvoll und welche Kompetenzen für den Weiterbestand heute und morgen erforderlich sind. Teamfähigkeit beispielsweise hat bei Trapezartisten im Zirkus eine andere Relevanz als im Bäckerhandwerk.

Bild: TÜV Rheinland Consulting GmbH

Wie vorgehen?

Grundlage ist die Analyse und Definition von Einzelkompetenzbereichen und ihren Ausprägungen an der konkreten Aufgabe, Tätigkeit bzw. Jobrolle. Wichtige Erfolgsfaktoren sind neben der Entwicklung relevanter Kompetenzprofile die unabhängige Kompetenzfeststellung und -bewertung der Mitarbeiter sowie die Entwicklung von Programmen zum Schließen von Kompetenzlücken. Wer das notwendige Know-how nicht im Hause hat, ist mit externer Unterstützung gut beraten. Denn hinter jedem Kompetenzmodell sollte ein solides Informationsmanagement stehen: Wie wurden die Kompetenzen erhoben (Ableitung aus einer Formalqualifikation, Test, Fragebogen, Lernmodul oder Praxisbeurteilung)? Wie wurden sie bewertet und wie wurde ermittelt, dass die Kompetenzen tatsächlich individuell vorhanden sind? Transparenz zu diesen Fragestellungen liefern beispielsweise Personenzertifizierungen. Es handelt sich um einen unabhängigen Nachweis gegenüber Geschäftspartnern, Arbeitgebern und Kunden, dass die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten höchsten Anforderungen genügen. Wesentlich für das systematische Kompetenzmanagement im Unternehmen ist, dass neue Kompetenzen Eingang finden müssen. Das können Skills wie Social Media Intelligence und Design Mindset sein, ebenso wie Virtual Collaboration, Working out Loud, Resilienz oder Health and Wellness oder auch die persönliche Wertehaltung. Das Wissen um notwendige Kompetenzen und deren Ausprägungsgrade für eine Arbeitsstelle, Tätigkeit bzw. Jobrolle ermöglicht eine passgenaue Besetzung von Arbeitsplätzen sowie die Einführung und Pflege eines gültigen Kompetenzmessungs- und Bewertungsstandards in einem Unternehmen. Diese ermöglicht zudem, über Standorte weltweit mit unterschiedlichen Reifegraden hinweg Wirkung zu entfalten. Davon profitieren Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen.

Beispiel Kompetenzprofil

Die T-Systems International GmbH lässt ihre Service-Manager weltweit beispielsweise nach einem internationalen Kompetenzprofil zertifizieren, das auf Basis deutscher Anforderungen entwickelt wurde und von TÜV Rheinland in verschiedenen Prüfungsmodellen abgeprüft wird. So ist sichergestellt, dass der Mobilfunkspezialist standortunabhängig stets gleichbleibende Service-Management-Level bieten kann. Die Erdölfördergesellschaft Saudi Aramco etwa ist darum bemüht, einheitliche Kompetenzprofile für interne wie externe Mitarbeiter anzuwenden. Vor diesem Hintergrund wurden für die Bereiche Elektrotechnik, Mechanische Instandhaltung, Metallbearbeitung etc. Mindeststandards entwickelt. Diese sollen sicherstellen, dass auch alle externen Mitarbeiter und Kontraktoren einem einheitlichen Qualifikationsprofil in den jeweiligen technischen Bereichen entsprechen. Gemäß dieser Kompetenzanforderungen hat TÜV Rheinland Prüfungssysteme entwickelt und umgesetzt, die die individuellen theoretischen und insbesondere praktischen Kompetenzen messen und bewerten. Auf Basis der Erhebung ließ sich der individuelle Qualifizierungsbedarf feststellen und anschließend mit entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen realisieren. Und hier kommen wir zur psychosozialen Komponente des professionellen Managements von Kompetenzen in Unternehmen, die nicht zu unterschätzen ist. Arbeitsunfähigkeit oder Burnouts, also die Überforderung am Arbeitsplatz, muss nicht von permanenter quantitativer Überlastung herrühren, sondern kann auch auf mangelnde Qualifikation am Arbeitsplatz zurückzuführen sein. Mit systematischem Kompetenzmanagement lassen sich Kompetenzlücken aktiv identifizieren - und gezielt schließen, z.B. über Auffrischungstrainings im Bereich fachlicher Kompetenzen oder durch Coachings am Arbeitsplatz. Der Mitarbeiter wird selbstbestimmter, sicherer und letztlich zufriedener in der Bewältigung seiner täglichen Aufgaben. Dadurch sichert der Unternehmer den Erhalt der Arbeitsfähigkeit.

Alle Macht den Lernenden

Berufliche Bildung bedeutet in der Kompetenzgesellschaft, dass sie die Fähigkeiten der Mitarbeiter zum selbstorganisierten und kreativen Lernen stärken und mit der Seminarunkultur brechen muss. Bildungsangebote müssen künftig darauf abzielen, dass Mitarbeiter dazu befähigt werden, Herausforderungen mit ihren ständig verfeinerten Kompetenzen künftig ebenfalls selbstorganisiert zu bewältigen. Kompetenzlernen lässt sich aber nicht mehr ausschließlich in Curricula vorgeben, sondern muss auch durch offene Lern- und Experimentierräume ermöglicht werden. Die Lernenden definieren darin selbst oder mit Hilfe externer oder interner Lernpartner und Coaches ihre Kompetenzziele. Was bedeutet das für die Anbieter beruflicher Bildung und Personalentwickler? Die Gestaltung von offenen Lernräumen bzw. frei wählbaren Lernwegen muss gefördert werden und einen idealerweise selbstinitiierten Bildungsprozess ermöglichen sowie die Lernbegleitung über professionelle, zeitgemäße Lernplattformen sicherstellen. Es gilt das Leitmotiv 'Alle Macht den Lernenden', die ihre Lernprozesse eigenverantwortlich organisieren. Das hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Didaktik, denn es sind auch nicht mehr Lehrer oder Trainer, sondern die Lernpartner im Team oder Coaches, die eine Ermöglichungsdidaktik für selbstorganisiertes Lernen zulassen und ermöglichen. Methoden und Inhalte orientieren sich dabei zunehmend an den realen Herausforderungen der Teams in ihrer Arbeit. Der enge Bezug zu realen Aufgaben sorgt, wie John Erpenbeck und Werner Sauter es treffend formulieren, für "eine emotionale Imprägnierung des Wissens durch Begeisterung, Leidenschaft, Engagement, Willen, Interesse, Neugier, Wissbegierde, Entdeckergeist und Phantasie". Seminare werden durch selbstorganisierte Lernformen in Blended Learning Arrangements, anwendungsnahem Lernen und kollaborativem Lernen in Projekten und am Arbeitsplatz, Social Work-Place Learning sinnvoll ergänzt. So gelebt, kann Kompetenzmanagement gleich mehrfach einen wichtigen Beitrag leisten: zur Zukunftssicherung der Organisation, zum betrieblichen Gesundheitsmanagement, zum Schutz vor technologischer Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt zur individuellen Karriereplanung und persönlichen Zufriedenheit.

TÜV Rheinland Consulting GmbH

Dieser Artikel erschien in Industrie 4.0 Magazin (I40) 01 2018 - 11.01.18.
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