Interview mit Dr. Heiner Lang, Rexroth
"Fertigungsnaher Knotenpunkt"
Damit Anwender ihre Fertigung an das industrielle Internet der Dinge anbinden können, gibt es auf dem Markt ein wachsendes Spektrum an IoT-Gateways. Einer der Anbieter ist das Unternehmen Bosch Rexroth, das dem Thema einen ausgesprochen hohen Stellenwert beimisst. Warum, das erklärt Dr. Heiner Lang, CEO des Geschäftsbereichs Automatisierung und Elektrifizierung, im Gespräch mit dem SPS-MAGAZIN.
Was bedeutet es eigentlich genau, fit für das IoT zu sein, Herr Lang?
Heiner Lang: Letztendlich geht es darum, gut gerüstet in die automatisierungstechnische Zukunft zu gehen. Auf diesem Weg können wir unsere Kunden als Automatisierungsexperte bestmöglich unterstützen, da unsere eigene Mannschaft als auch unser Portfolio bereit für IoT-Einsätze sind. Die Umsetzung erfolgt Hand in Hand mit dem Anwender, was uns stetig wertvolle Impulse und Anregungen bringt.
Können Sie denn heute überhaupt schon wissen, wie sich das Internet der Dinge in der Industrie entwickeln wird?
Lang: So ganz genau weiß das niemand. Es wird aber sicherlich Parallelen zur Consumer-Welt geben. Und weil diese der Industrie in Sachen IoT zehn Jahre voraus ist, beobachte ich genau, was dort passiert. Was im privaten Umfeld längst selbstverständlich ist, darüber fangen wir in der Automatisierungstechnik gerade erst an zu denken. Adaptionen von IoT-Konzepten auf das Industrieumfeld können allerdings zu einem gewissen Bruch mit bestehenden Konventionen führen - so ist es beispielsweise bei der Auflösung der klassischen Automatisierungspyramide. Letztendlich arbeitet die Branche darauf aber schon länger hin, z.B. mit verteilter Steuerungstechnik oder intelligenten Antrieben. Solche Geräte kommunizieren ja heute schon oft selbstständig und ohne zentrale Schaltstelle untereinander.
Dafür bedarf es aber eine gewisse Offenheit, die in der Consumer-Welt längst kein Thema mehr ist.
Lang: Ja, in der Industrie tut man sich hier nicht leicht. Ein unbeschwerter Umgang mit dem Internet, wie wir ihn aus dem privaten Bereich kennen, ist im Industrieumfeld noch undenkbar - mehrheitlich aus Gründen von Security und Know-how-Schutz. Wir werden also weitere Sicherheitsmechanismen in unsere Lösungen einbauen müssen, damit wir den Endanwender von der IoT-Welt überzeugen können. Früher oder später wird das aber passieren. Spätestens dann, wenn das IoT entscheidenden Mehrwert für den Endanwender bereithält. Kurzum: Nur über konkreten Nutzen kann das IoT in der Industrie zu einem Erfolg werden.
Rexroth ist ja als Teil des Bosch-Konzerns sehr nah dran am Anwender. Sind die Fertigungswerke der Unternehmensgruppe schon entsprechend ausgestattet, was den Einsatz von IoT-Lösungen angeht?
Lang: Ja. Es gibt im Bosch-Verbund das geflügelte Wort des Leitanwenders. Und Rexroth ist der Leitanbieter. Natürlich testen wir neue Ansätze und Funktionen in den eigenen Werken, bevor wir uns an den kompletten Markt wenden. Dabei merken wir schnell, ob unsere Kollegen die jeweilige IoT-Lösung akzeptieren und deren angepeilter Benefit auch wirklich eintritt. Dann erst bieten wir die Lösungen unseren 30.000 Industriekunden an - und die Bosch-eigenen Werke dienen dabei als vorzügliche Referenz.
Es gibt aber doch deutliche Unterschiede zwischen den Anlagen in Ihren Fabriken und z.B. dem Serienmaschinenbau, den Rexroth mit seinen Produkten auch anspricht.
Lang: Natürlich gibt es hier Unterschiede, aber so ist es immer: Keine industrielle IoT-Applikation ist so wie die andere. Jede hat ihre speziellen Bedürfnisse. So wird es am Ende immer darauf ankommen, individuelle Auslegungen und Anpassungen für den Kunden vornehmen zu können. Darin steckt die große Herausforderung beim Wandel der Automatisierungstechnik. Es wird in Zukunft immer weniger Standardprodukte geben. Stattdessen erwarten die Kunden im Sinne individueller Lösungen, dass wir erprobte Standardkomponenten exakt passend für sie zuschneiden.
Dennoch muss die Technik bezahlbar bleiben. Wie lässt sich die Individualisierung realisieren ohne starke Auswirkungen auf der Kostenseite?
Lang: Ein Instrument, um dieser Herausforderung zu begegnen, liegt in der Entkopplung von Software und Hardware. Die Geräte werden mehr und mehr zum austauschbaren Faktor, während die darauf laufende Software den Unterschied macht. Als wichtigen Schritt auf diesem Weg entwickelt Rexroth eine neue Automatisierungsplattform. Damit forcieren wir genau diese Entwicklung: robuste, aber wirtschaftliche Standard-Hardware als Fundament, bei der die einzelnen Ausprägungen und Varianten vor allem über die Software abgebildet werden.
Wird diese Entwicklung alle Disziplinen umfassen? Steuerungstechnik, Antriebstechnik, Kommunikation ...
Lang: Ja, nicht nur, was das IoT angeht, sondern komplett durchgängig durch die Feldebene, beim Einsteigerprodukt genauso wie bei der High-End-Version. Stand heute ist das noch nicht gegeben, aber die Branche steht hier einem großen Bedarf gegenüber. Und genau deshalb arbeiten wir daran.
Kann der Anwender das neue System und das dahinterliegende Konzept heute schon einsetzen?
Lang: Nein, es sind bislang noch keine Geräte der Plattform am Markt verfügbar. Die Konzeptphase ist allerdings fertig, wir befinden uns bereits in der konkreten Entwicklung. Erste Produkte werden wir auf der kommenden SPS IPC Drives vorstellen und das Spektrum dann sukzessive erweitern.
Es wird also eine schrittweise Umstellung für den Anwender und kein plötzlicher Paradigmenwechsel?
Lang: Das bedeutet das IoT sowieso. Kein Anwender kann alle Maschinen und Anlagen auf einmal erneuern oder umrüsten. Aber die Innovationszyklen im Maschinen- und Anlagenbau werden immer kürzer und die Marktentwicklungen lassen sich kaum noch voraussehen. Auch wir als Automatisierungsanbieter können uns heute keine jahrelangen Entwicklungsprozesse mehr erlauben, sondern müssen neue Lösungen in einem viel engeren Raster planen und umsetzen.
Inwieweit nutzen Ihre Kunden das Internet der Dinge denn heute schon?
Lang: Wir sprechen bereits jetzt mit Maschinen- und Anlagenbauern vorwiegend über IoT-Themen: von Zustandsüberwachung und Fernzugriff bis hin zur totalen Prozesstransparenz in der Anlage. Und in der ein oder anderen Diskussion geht es auch schon um völlig neue Geschäftsmodelle. Ein gutes Beispiel liefert einer unserer Kunden aus dem Karosseriebau. Er überlegt, neben dem klassischen Verkauf seiner Schweißanlagen auch ein modernes Preismodell zu realisieren, bei dem der Endanwender nur pro realisiertem Schweißpunkt bezahlt. Das kann durchaus attraktiv sein, denn große Investitionen rechnen sich für den Produzent meist nur noch, wenn sie voll ausgelastet sind. Zudem stellt sich folgende Frage: Muss der Anwender hier unbedingt Herr des Prozesses und des Domänenwissens bleiben? Schweißpunkte setzen ist heute eigentlich kein USP für Karosseriebauer und so könnte er diese Expertise guten Gewissens seinem Lieferanten überlassen.
Solche Pay-per-Use-Geschäftsmodelle kennt man auch aus dem Triebwerks- oder Kompressorenbereich. Dennoch haben sie sich in der Industrie bisher nicht flächendeckend durchgesetzt. Ist hier künftig mit mehr Dynamik zu rechnen?
Lang: Es wird sich schon in diese Richtung entwickeln, aber es ist schwer zu sagen, wie schnell. Es wird sich stets am Domänenwissen entscheiden. Wenn der Anwender darüber Alleinstellungsmerkmale generiert, sollte er auch in Zukunft alle Fäden in der Hand behalten und beim klassischen Anlagenkauf bleiben.
Zurück zum IoT. Inwieweit haben Sie denn das Rexroth-Portfolio bereits IoT-fähig gemacht?
Lang: Sofern es eine entsprechende Anbindung gibt, kann unsere Steuerungs- und Antriebstechnik längst schon Daten und Parameter über die Ethernet-Schnittstelle ins Internet schicken. Aber es geht ja heute vermehrt dahin, alle möglichen Zustandsgrößen zu monitoren und entsprechende Sensordaten online zu nutzen. Hier positioniert sich Rexroth mit seinem IoT-Gateway sehr gut. Dabei handelt es sich um einen kompakten Hochleistungs-Industrie-PC, der die jeweiligen Kenngrößen von beliebigen Steuerungs- und Sensortypen im Umfeld aufzeichnet, diese per Software vorverarbeitet und aufbereitet und dem Betreiber dann zur Verfügung stellt. Das IoT-Gateway bildet also einen fertigungsnahen Knotenpunkt für die Verarbeitung der Feldsignale sowie deren Anbindung an höhere Systemebenen. Darüber hinaus lassen sich auch event-, grenzwert- oder trendbasiert entsprechende Signale ausgeben. In unserer Lösung steckt also gerade in Hinblick auf Bestandsanlagen der Enabler für deutlich höhere Produktivität und Zuverlässigkeit. Und das Ganze ohne Spezialwissen: So zeigen wir auf der Hannover Messe, wie man mit dem IoT-Gateway innerhalb weniger Stunden eine in die Jahre gekommene Maschine Industrie-4.0-fähig macht.
Ist auch die Vorverarbeitung der Daten im IoT-Gateway ohne Big-Data-Expertise beherrschbar?
Lang: Auch das. Die besten Ergebnisse stellen sich aber natürlich ein, wenn man zusammenarbeitet und das vorhandene Domänenwissen der verschiedenen Seiten bündelt. Dann können wir z.B. die Verschleißmodelle unserer Motoren mit den spezifischen Nutzungsprofilen des Anwenders abgleichen, um die tatsächliche Lebensdauer zu berechnen oder Frühwarnmechanismen umzusetzen.
Aber das Domänenwissen ist aus analytischen Gesichtspunkten nur die halbe Miete.
Lang: Ja, es ist auch Methodenwissen nötig, um die Daten tiefergehend auszuwerten. Bei Bedarf lassen sich im IoT-Gateway sogar KI-Funktionen oder komplexe Algorithmen hinterlegen. Aber oft reicht es schon, das IoT-Gateway eine gewisse Zeit laufen zu lassen und Daten zu sammeln, um eventuelle Schwachstellen von Maschinen oder Prozessen zu erkennen. Dann kann der Anwender ohne großen Aufwand eine Fehler-Top10 ableiten oder deren Auslöser bzw. Ursachen dokumentieren.
Bei neuen Automatisierungskomponenten wird die IoT-Funktionalität immer tiefer integriert. Gibt es zukünftig überhaupt noch Teile in der Maschine oder Anlage, die vom IoT unbeeinflusst bleiben?
Lang: Ich denke nicht. Das Internet der Dinge zieht sich früher oder später komplett durch die Anlage. Selbst im Stahlbau und bei Gussteilen lassen sich heute Sensorik und Intelligenz so tief integrieren, dass der Anwender spürbaren Mehrwert erhält. Auch das zeigen wir auf unserem Messestand in Hannover: mit einem Maschinenbett, das bereits bei der Herstellung so mit Sensorik gegossen wird, dass Zustandskenngrößen wie Temperatur, Vibration oder mechanische Belastung generierbar sind.
Wenn wir schon dabei sind, vorauszublicken: Wie muss Rexroth seine USPs denn zukünftig positionieren, um sich weiterhin auf dem Markt zu behaupten?
Lang: Ich rechne hier der Kombination aus Geschwindigkeit und Flexibilität große Bedeutung zu, wenn es darum geht, die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen. Denn diese werden in Zukunft immer volatiler, sei es durch Marktentwicklungen oder durch schnelllebige Technologietrends. Dann müssen unsere Kunden richtig reagieren und lieferfähig bleiben können. Die Basis dafür liegt in einer flexiblen Produktionstechnik, die von uns maßgeblich mitgestaltet und zur Verfügung gestellt wird. D.h. auch wir müssen die gleiche Geschwindigkeit und Flexibilität vorweisen.
Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Lang: Das ist ein umfassender Prozess, der sich nicht an drei Punkten festmachen lässt. Auf jeden Fall wird hier auch ein Stück weit der kulturelle Wandel hineinspielen. Denn am Ende des Tages ist das IoT in der Automatisierungstechnik Teil eines Generationenvertrags. Es wachsen Mitarbeiter und Fachkräfte heran, die - was die Digitalisierung angeht - in einer komplett anderen Umgebung aufgewachsen sind, als die Generation zuvor. Für sie sind IoT-Themen eine Selbstverständlichkeit, wohingegen sie für uns vielleicht eher wie eine Fremdsprache klingen. Sobald diese Generation in den Fertigungen dieser Welt an den richtigen Hebeln sitzt, wird dort auch das IoT omnipräsent sein. Auf dem Weg dahin brauchen wir einen guten Mix aus Erfahrung und dem Mut zu neuen Dingen. Mit dieser Mischung und unserem Domänenwissen sehen wir uns bei Bosch Rexroth für eine neue Fertigungswelt gut aufgestellt - und diese Welt, soviel steht fest, ist digital.
Damit Anwender ihre Fertigung an das industrielle Internet der Dinge anbinden können, gibt es auf dem Markt ein wachsendes Spektrum an IoT-Gateways. Einer der Anbieter ist das Unternehmen Bosch Rexroth, das dem Thema einen ausgesprochen hohen Stellenwert beimisst. Warum, das erklärt Dr. Heiner Lang, CEO des Geschäftsbereichs Automatisierung und Elektrifizierung, im Gespräch mit dem SPS-MAGAZIN.
Was bedeutet es eigentlich genau, fit für das IoT zu sein, Herr Lang?
Heiner Lang: Letztendlich geht es darum, gut gerüstet in die automatisierungstechnische Zukunft zu gehen. Auf diesem Weg können wir unsere Kunden als Automatisierungsexperte bestmöglich unterstützen, da unsere eigene Mannschaft als auch unser Portfolio bereit für IoT-Einsätze sind. Die Umsetzung erfolgt Hand in Hand mit dem Anwender, was uns stetig wertvolle Impulse und Anregungen bringt.
Können Sie denn heute überhaupt schon wissen, wie sich das Internet der Dinge in der Industrie entwickeln wird?
Lang: So ganz genau weiß das niemand. Es wird aber sicherlich Parallelen zur Consumer-Welt geben. Und weil diese der Industrie in Sachen IoT zehn Jahre voraus ist, beobachte ich genau, was dort passiert. Was im privaten Umfeld längst selbstverständlich ist, darüber fangen wir in der Automatisierungstechnik gerade erst an zu denken. Adaptionen von IoT-Konzepten auf das Industrieumfeld können allerdings zu einem gewissen Bruch mit bestehenden Konventionen führen - so ist es beispielsweise bei der Auflösung der klassischen Automatisierungspyramide. Letztendlich arbeitet die Branche darauf aber schon länger hin, z.B. mit verteilter Steuerungstechnik oder intelligenten Antrieben. Solche Geräte kommunizieren ja heute schon oft selbstständig und ohne zentrale Schaltstelle untereinander.
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Bosch Rexroth AG
Dieser Artikel erschien in SPS-MAGAZIN Hannover Messe 2018 - 17.04.18.Für weitere Artikel besuchen Sie www.sps-magazin.de