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TSN und Open Source

Offene Lösungen für einen offenen Standard

Kaum ein Schlagwort prägt die aktuellen Diskussionen um die Zukunft der industriellen Kommunikation so stark wie Ethernet TSN. Der erste Teil dieser Artikelserie zur Steuerungstechnik aus der Cloud beleuchtet die Voraussetzungen für dessen Erfolg in der Automatisierung, wirft einen Blick auf bereits bestehende offene Ansätze für TSN und zeigt entsprechende Vorteile und Chancen für Anbieter und Anwender auf.

Bild: TeDo Verlag GmbHBild: TeDo Verlag GmbH

Kommunikation über alle Ebenen der Produktionspyramide hinweg - vom Sensor bis in die Cloud - ist Voraussetzung für viele Ansätze der zukünftigen Produktion. Die hierfür notwendigen konvergenten Netze, die IT- und Produktionsysteme integrieren, sind aber aufgrund der Vielzahl an zueinander inkompatiblen Feldbussen und dem mangelnden Determinismus von klassischen IT-Netzen nicht oder nur zu inakzeptablen Kosten realisierbar. Als entscheidender Enabler wird die momentane Erweiterung von Standard-Ethernet um Echtzeitfähigkeiten im Rahmen des Time Sensitive Networkings (TSN) gesehen. TSN ist ein Bündel an Standards, das verschiedene Aspekte eines deterministischen Netzwerks abdeckt, von der Zeitsynchronisation über das Scheduling des Datenverkehrs bis hin zur Konfiguration. Ein Teil der Standards wurde bereits veröffentlicht, andere befinden sich noch in den Gremien der IEEE. Obwohl TSN ursprünglich nicht von der Automatisierungsbranche getrieben wurde, gibt es einen breiten Konsens, dass TSN der Kommunikationsstandard der Zukunft ist. Das spiegelt sich sowohl in den Aktivitäten einzelner Unternehmen, in den Standardisierungsgremien, der starken Verknüpfung mit anderen künftigen Schlüsseltechnologien wie OPC UA oder 5G aber vor allem auch in der Tatsache wider, dass die meisten Feldbusorganisationen an der Adaption oder Integration mit TSN arbeiten.

Voraussetzungen für TSN-fähige Endgeräte

Obwohl TSN in der Industrie eine breite Akzeptanz findet, sind die Konsequenzen für die Hard- und Software der Endgeräte häufig unklar. Die Frage "Was benötigt ein Gerät, um TSN-fähig zu sein?" muss sehr differenziert beantwortet werden. Abhängig von den gewünschten TSN-Features und der Art der Anwendung kann die Antwort von "Nichts, was ein Standard PC nicht heute schon zu bieten hat" bis hin zu "Hard- und Software, welche frühestens nächstes Jahr auf den Markt kommen wird" ausfallen. Es lassen sich aber einige Grundfunktionen formulieren, die in verschiedenen Ausprägungen für Automatisierungsanwendungen als gemeinsame Basis angesehen werden können. Die wichtigsten Komponenten sind hierbei:

Zeitsynchronisation: Ein gemeinsames Verständnis von Zeit ist Voraussetzung für viele andere Mechanismen. Zur Zeitsynchronisation wird im Rahmen von TSN der neue Standard 802.1AS-Rev entwickelt. Da dieser noch nicht veröffentlicht ist, finden die Vorgängerstandards 802.1AS und 1588 Anwendung.

Scheduling des Datenverkehrs: TSN bietet verschiedene Standards zum Scheduling der Daten, unter anderem das Zeitschlitz-basierte 802.1Qbv.

Konfiguration: Zur Konfiguration der verschiedenen Mechanismen, z.B. der Schedules, sind entsprechende Funktionen und Interfaces notwendig.

Synchronisation mit der Applikation: Nicht Teil des TSN-Standards aber zwingende Voraussetzung ist eine Synchronisation der lokalen Applikation(en) mit der Zeit des Netzes und dazugehörigen Schedules. Hierbei muss sichergestellt werden, dass die lokale Applikation ihre Berechnungen so rechtzeitig abschließt, dass die Daten zum Sendezeitpunkt zur Verfügung stehen.

Die Funktionen können anwendungsabhängig als reine Softwarelösungen oder mit Hardwareunterstützung ausgeführt werden. Beispielsweise ist eine wesentlich genauere Zeitsynchronisation bei Nutzung eines Hardware-Zeitstemplers zu erreichen.

Offene Lösungen für TSN

Zur Realisierung von TSN-Funktionen stehen heute verschiedene offene Lösungen bereit. Abhängig von der Plattform, ob PC, Embedded-Gerät mit oder ohne Betriebssystem, können verschiedene Lösungen genutzt werden. Soll eine Plattform mit Betriebssystem zum Einsatz kommen, stellt das Echtzeit-Linux-Projekt Preempt_RT Patches zur Verfügung, welche bestmögliche Unterbrechbarkeit und damit deterministisches Scheduling von Applikationen ermöglichen. Darüber hinaus gibt es für GNU/Linux bereits eine Vielzahl an Implementierungen von relevanten Protokollen und entsprechende Tools. Das Linux-PTP-Projekt bietet eine offene und stetig weiterentwickelte Implementierung zur Zeitsynchronisation mittels IEEE1588 bzw. IEEE802.1AS an. Durch eine Vielzahl von Konfigurationsoptionen ist von rein Software-basierten Instanzen bis zur Nutzung der Hardwareunterstützung vieler gängiger Netzwerkschnittstellen eine Anpassung an individuelle Applikationen möglich. Einen weiteren Synchronisations-Stack stellt die Avnu Alliance im Rahmen des Open Avnu Repositories zur Verfügung. Dieser ist sowohl innerhalb von Linux, sowie auf Systemen ohne Betriebssystem nutzbar. Momentan erhält eine weitere wesentliche Basistechnologie Einzug in den Linux-Kernel: Mittels einer Netzwerk-Socket-Option zur Spezifikation einer exakten Sendezeit (SO_TXTIME) sowie der entsprechenden Unterstützung im Netzwerk-Scheduler (Earliest Txtime First bzw. ETF) lassen sich deterministische Kommunikationsbeziehungen, beispielsweise für den TSN-Standard IEEE802.1Qbv, implementieren. Konzeptionell wird sichergestellt, dass entsprechende Funktionen bei identischer Anwendungsschnittstelle auch in Hardware ausgelagert werden können um größtmögliche Performance zu erreichen. Diese Entwicklung wird durch Hardware-Hersteller wie Intel maßgeblich mitgestaltet.

Modularer TSN-Treiber

Bereits heute liegen viele notwendige Bausteine für ein TSN-Endgerät als Open-Sourcelösungen vor. Um basierend auf diesen ein applikationsspezifisches TSN-Endgerät zu realisieren, bedarf es jedoch noch eines großen Aufwands sowie Implementierungen für die fehlenden Funktionen. Eine erste Referenzplattform wurde im Arbeitskreis TSN for Automation realisiert. Dies konsequent weiterzuentwickeln und eine generische Implementierung zu realisieren, ist Ziel des Projekts AccessTSN, an welchem das ISW der Universität Stuttgart, das IVESK der Hochschule Offenburg sowie die Firmen Linutronix und Hirschmann beteiligt sind. In diesem Rahmen wird ein modularer TSN-Treiber entwickelt, der eine applikationsspezifische Zusammenstellung der TSN-Funktionen erlaubt und dabei verschiedene Hardwareplattformen abstrahiert. Darüber hinaus sind insbesondere die Aspekte Applikationsintegration und Scheduling sowie die Konfiguration im Fokus des Projekts. Durch die Ergebnisse soll zukünftig eine effiziente Nutzung von TSN möglich sein, ohne dass sich Applikationsentwickler um die Feinheiten des Netzes oder des Schedulings kümmern müssen. Um sicherzustellen, dass die Anforderungen verschiedener Akteure berücksichtigt werden, befindet sich das Projekt in regem Austausch mit Hardwareanbietern, Netzwerkausrüstern, Endgeräteherstellern und anderen Open-Source-Initiativen. Das erfolgt beispielsweise im Rahmen von Testbeds, jedoch sind Interessierte stets eingeladen, sich in das Projekt einzubringen.

Offene Lösungen als Chance für Interoperabilität

Das Potential von TSN ist in der Branche unbestritten. Genauso unbestritten ist allerdings auch, dass eine problemlose Interoperabilität von TSN-Geräten für den Erfolg der Technologie essentiell ist und es keine Parallelentwicklungen geben darf. Verschiedene Organisationen und Testbeds sind bemüht, eine einheitliche Interpretation und Nutzung der Standards sicherzustellen. IEEE-Standards lassen jedoch stets einen gewissen Interpretationsraum, welcher für eine interoperable Lösung genau spezifiziert werden muss. Das kann rein anhand von Spezifikationen und Dokumenten erfolgen, jedoch bieten auch evaluierbare offene Lösungen ein großes Potential, hier einen Beitrag zu leisten. Das oben eingeführte Projekt AccessTSN sowie der Arbeitskreis TSN for Automation sollen diesen Prozess unterstützen und so früh wie möglich sowohl einzelne Unternehmehen bei ihrer eigenen Entwicklung hin zu interoperablen Geräten unterstützen, als auch der gesamten Community dienlich sein. Um einen engen Kontakt zu der Community zu pflegen, werden die Projektpartner sowohl auf der SPS IPC Drives als auch auf den Stuttgarter Innovationstagen vertreten sein.

Artikelserie Steuerungstechnik aus der Cloud

SPS-MAGAZIN 9/2018: Ethernet TSN und Open Source

SPS-MAGAZIN 10/2018: Künstliche Intelligenz mit OpenGym AI

SPS-MAGAZIN 11/2018: Tool für die virtuelle Produktion

SPS-MAGAZIN 12/2018: Ausblick: Stuttgarter Innovationstage 2019

3. Stuttgarter Innovationstage

Der revolutionäre Ansatz von Steuerungen aus der Cloud stand oft in Konflikt mit konservativen IT Vorgaben und stellte daher Partner mit großen IT-Infrastrukturen vor organisatorische Hürden. Um einen engen Austausch über verschiedene Fachbereiche hinweg zu fördern veranstaltet das Institut für Steuerungstechnik der Universität Stuttgart zum dritten Mal die 'Stuttgarter Innovationstage - Steuerungstechnik aus der Cloud'. Mit Vorträgen aus den Fachbereichen IT und klassischer Automatisierungstechnik, können Sie am 12. und 13. Februar 2019 in Stuttgart den nächsten Schritt zum interdisziplinären Wissensaustausch machen.

Inst. f. Steuerungstechn. der Werkzeugm.

Dieser Artikel erschien in SPS-MAGAZIN 9 2018 - 17.09.18.
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