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Neue Technologien für neue Handling-Lösungen

Intelligentes Greifen

Das industrielle Greifen befindet sich im Umbruch: Waren Greifprozesse bislang primär auf eine hohe Produktivität und Prozesssicherheit getrimmt, rückt in Verbindung mit der smarten Fabrik nun zusätzlich die Flexibilität in den Fokus. Künftig, so der Plan von Schunk, sollen Greifer das Gesamtsystem mit umfangreichen Prozessdaten versorgen und flexible Operationen bis hin zu autonomen Handhabungsszenarien ermöglichen - je nach Anwendung auch Hand in Hand mit dem Menschen.

Bild: Schunk GmbH & Co. KGBild: Schunk GmbH & Co. KG
In einem Nutzentrenner erfasst eine Technologiestudie des intelligenten EGL-Parallelgreifers prozessintegriert in Echtzeit und ohne Einsatz externer Sensoren Angaben zur Größe des Bauteils, zu dessen Beschaffenheit und zu dessen Zustand.

Bislang ist das industrielle Greifen vergleichsweise starr gestaltet: Die Geometrie der Teile muss bekannt sein, ebenso die genaue Aufnahme- und Ablageposition. Auf Basis wiederholgenauer Teilezuführungen kann über fest vorgegebene Verfahrwege und die Vorgabe von Zielpunktkoordinaten ein prozesssicherer Handhabungsprozess gewährleistet werden. Um die idealen Greifparameter einzustellen, muss bekannt sein, welches Werkstück zu handhaben ist und wie dieses gegriffen werden kann, ohne es zu beschädigen oder während des Handlings zu verlieren. Konkret heißt das: Für jedes Werkstück und jedes Ausgangsmaterial sind Greifparameter festzulegen, manuell einzustellen und basierend auf dem Erfahrungshintergrund des Anwenders zu verbessern. Dazu zählt auch der Wechsel von Greiferfingern oder kompletten Greifern, wodurch die Verfügbarkeit von Fertigungsanlagen zum Teil empfindlich beeinträchtigt wird. Sensoren sind primär zur Wegmessung, Greifpositions- oder Endlagenerkennung eingesetzt.

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Mit KI identifiziert diese Fünffingerhand beliebige Objekte in beliebiger Lage und wendet daraufhin autonom entwickelte Greifstrategien an.

Smart Gripping: Vermessen, Identifizieren und Überwachen in Echtzeit

Im Zuge der Digitalisierung geht der Trend nun zu hochautomatisierten, vollständig vernetzten und autonom agierenden Fertigungssystemen. Vor allem die Kollaborationseffizienz der Systeme ist in der vernetzten Fabrik entscheidend. Closest to the part sollen Greifer eine Flexibilisierung der Prozesse sowie eine permanente Prozessüberwachung und -optimierung unmittelbar am Werkstück ermöglichen. Über ein Zusammenspiel IoT-fähiger Komponenten lassen sich neue Prozessszenarien realisieren. So zeigt Schunk in Technologiestudien, wie smarte Greifer, z.B. der EGL-Parallelgreifer mit integrierter Profinet Schnittstelle, im Teamwork mit smarten Spannmitteln kooperieren. Kaum hat der intelligente Greifer das Bauteil detektiert, passt der Kraftspannblock seine Parameter individuell darauf an: Backen werden vorpositioniert und Spannkräfte bei Bedarf reduziert, noch bevor das Werkstück das Spannmittel erreicht. Das reduziert die Zykluszeit und sorgt zugleich für eine größtmögliche Prozesssicherheit. Nach der Bearbeitung entnimmt der Greifer das Bauteil, vermisst es vollautomatisch im laufenden Handling-Prozess und legt es als IO- oder NIO-Teil ab. Mithilfe der App Gripconnect kann der Bediener sämtliche Prozessschritte nachverfolgen, definierbare Zeiträume auswerten und Zustandsdaten der beteiligten Komponenten abfragen.

Modularisierung, Flexibilisierung und leistungsstarke Vernetzung

Ein wesentlicher Schlüssel, um in der smarten Produktion eine neue Qualität an Flexibilität zu erzielen, sind modular aufgebaute Produktionsanlagen. Hier können Fertigungsmodule jederzeit getauscht, beliebig kombiniert und ergänzt werden. Die Anlagenmodule und die eingesetzten Werkzeuge müssen eindeutig identifizierbar und für sich vernetzungsfähig sein. Nur so ist es möglich, dass sich smarte Produktionssysteme selbsttätig an das Produktionsprogramm anpassen. Eine wichtige Voraussetzung sind in diesem Zusammenhang standardisierte Schnittstellen und modulneutrale Steuerungsinfrastrukturen, aber auch intelligente Handhabungssysteme, die Anwender bei der Diagnose im Fertigungstakt und bei der vorausschauenden Wartung unterstützen. Durch den Einsatz smarter Automationskomponenten als Inline-Messsysteme wird die Prozesssicherheit bei variantenreicher Produktion bedeutsam verbessert. Ein zweites, zentrales Grundmerkmal der Digitalisierung ist die kostengünstige, schnelle und effiziente Vernetzung von Automationskomponenten, Qualitäts- und Produktionsmanagementsystemen im Fertigungsumfeld. Die Integration von Web-Servern in smarte Greifer erlaubt eine direkte Systemansprache und die Fähigkeit zur ferngesteuerten Diagnose und Parametrierung. Zudem ist die Vernetzung über intelligente Sensor-Aktor-Busse wie beispielsweise IO-Link oder über breitbandige Buskommunikationsprotokolle wie Profinet, Ethercat und Ethernet/IP möglich. Über OPC UA lässt sich zusätzlich die Cloud-Welt erschließen.

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Die smarten Greifsysteme und Spannmittel von Schunk vermessen, identifizieren und überwachen in Echtzeit gegriffene Bauteile und den laufenden Produktionsprozess.

Neues Datenverständnis

Im Mittelpunkt der Smart Factory steht ein grundlegend neues Datenverständnis. Es geht nicht mehr darum, Daten wie bisher einfach nur zu sammeln, sondern sie sollen analysiert und in werthaltige Informationen überführt werden. In smarten Schunk-Greifern werden die entsprechenden Daten über Inline-Messsysteme erfasst, dezentral ausgewertet und analysiert. So ist eine Closed-Loop-Qualitätskontrolle und eine unmittelbare Überwachung des Produktionsprozesses im Fertigungstakt möglich. Über eine Sensorfusion, indem also Daten von mehreren Sensoren aufgenommenen und verknüpfend analysiert werden, lassen sich Handhabungsprozesse detailliert überwachen sowie Systemzustände von Greifern und Zugriffssituation präzise bewerten. Sogar Greifobjekte können mit Sensorunterstützung erkannt werden, ebenso Störungen im Produktionsablauf wie beispielsweise differierende Rohstoffqualitäten, verschleißende Werkzeuge, Toleranzabweichungen oder Materialengpässe. Über Prozessanalyse in Echtzeit ist darüber hinaus eine proaktive Trendbewertung und deren umgehende Einbeziehung in die Qualitätsregelung des Fertigungsflusses möglich, beispielsweise auf Basis von Fähigkeitskennwerten. Über Korrelationsanalysen gelingt es, komplexe Zusammenhänge schneller zu erkennen und Fehler zu eliminieren.

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Mithilfe der App Gripconnect lassen sich die erfassten Prozess- und Greiferdaten über längere Zeiträume statistisch auswerten und visualisieren, beispielsweise zur Analyse eines einzelnen Auftrags oder einer Produktionswoche.

Edge Computing: Funktionsintegration am Ort des Geschehens

Mit dem Grad der Vernetzung und Digitalisierung ist ein rasanter Anstieg der Datenmenge verbunden. Es besteht die Gefahr, dass die Verbindungen in die Cloud-Rechenzentren die großen Datenströme nicht bewältigen können, so dass Ausfälle und hohe Latenzzeiten drohen. Eine Ausweichstrategie stellt das Edge-Computing dar: Dabei werden vor allem zeitkritische Daten unmittelbar im smarten Greifsystem nahe am Ort des Geschehens verarbeitet, wohingegen rechenintensive Aufgaben ohne Echtzeitanforderungen in einer Cloud erfolgen können. Aktuelle Entwicklungen bei der Prozessorleistung sowie die Miniaturisierung der Komponenten lassen das Embedded Computing heute unmittelbar in die Greifsystemkomponente vordringen. Damit steigen die Möglichkeiten für eine weitere Funktionsintegration sowie für ein Edge-Computing, das neuartige Echtzeit-Szenarien eröffnet.

Künstliche Intelligenz

In diesem Kontext gewinnt auch der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) an Bedeutung. In Verbindung mit Kameras sind bereits erste Anwendungen kognitiver Intelligenz im Greiferumfeld möglich, die ein intuitives Trainieren durch Werker und eine selbstständige Erledigung der Greifaufgaben durch den Roboter ermöglichen. Anders als in Experimenten von Google Research, in denen Roboter mithilfe neuronaler Netze in die Lage versetzt wurden, das Greifen von Gegenständen selbstständig zu erlernen, setzt Schunk beim Einsatz von KI auf eine industrienahe Gestaltung der Handhabungsprozesse. Zweifelsohne belegt das Experiment von Google Research, dass Roboter durch die eigene Überwachung nach und nach in die Lage versetzt werden können, Greifvorgänge zu verbessern, eine eigene Hand/Auge-Koordination zu entwickeln und die Fehlerrate auf rund 18 Prozent zu senken. Für die industrielle Handhabung reicht dieser Zuverlässigkeitswert jedoch nicht aus. Der Ansatz von Schunk reduziert daher die Komplexität, indem die Zahl der Bauteilevariationen beschränkt wird und dies sowohl im Klassifikations- und Trainingsprozess als auch bei den abgeleiteten Lernstrategien Berücksichtigung findet. Damit verringert sich der Trainingsaufwand. Zugleich steigt die Prozessstabilität.

Autonomes Handling

In einem ersten Use Case, der Ansätze des Machine Learning zur Werkstück- und Greifprozessklassifikation nutzt, werden exemplarisch steckbare Bauklötze beliebig kombiniert und einem Leichtbauroboter in beliebiger Anordnung auf einer Arbeitsfläche zum Abtransport vorgelegt. Bereits nach wenigen Durchläufen steigt die Zugriffssicherheit rasant. Bis auf wenige Ausnahmesituationen kann sich der Roboter bei der Ermittlung der passenden Greifposition und Anfahrtsrichtung auf die Live-Daten einer 2D-Kamera und die selbstlernenden Fähigkeiten des Greifsystems stützen. Um die Bilddaten der über dem Arbeitsraum angebrachten Standardfarbkamera zu analysieren, nutzt Schunk ein neuronales Netzwerk, das die Bildpunktinformationen über mehrere Stufen separiert, nach Merkmalen bewertet und darauf basierend gewichtete Klassifizierungen beim maschinellen Lernen vornimmt. Dabei wird die Variationsbandbreite der Werkstückgeometrien und Kombinationsmöglichkeiten beschränkt, was der Realität in einem automatisierten Fertigungsprozess entspricht. Auf diese Weise sinkt die Zahl der Werkstücke, Werkstückpositionen und -kombinationen. Bekannte Geometrien und daraus abgeleitete Werkstück- und Greiflagen werden erheblich schneller erkannt. Schon nach wenigen Trainingsrunden klassifiziert das Netz, wie mit dem Wertevorrat an Werkstücken und den sich daraus ergebenden Kombinationsmöglichkeiten umzugehen ist. Hierbei verlässt sich der Greifer auf gelernte Erfahrungswerte, wie das Werkstück aufzunehmen und zu transportieren ist. Die intelligente Leistung des Algorithmus besteht darin, dass bereits nach kurzer Trainingszeit zukünftige Kombinationen und Anordnungen der Werkstücke selbstständig klassifiziert werden können. So ist das System in der Lage, Teile situationsgerecht und eigenständig zu handhaben. Indem die Algorithmen fortlaufend unter Nutzung von KI-Methoden angepasst werden, ist es möglich, bislang unerkannte Zusammenhänge zu erschließen und den Handhabungsprozess weiter zu verbessern.

Schunk GmbH & Co. KG

Dieser Artikel erschien in ROBOTIK UND PRODUKTION 5 2018 - 29.10.18.
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