Leitmesse Digital Factory
Am binären Puls der Produktion
Die Leitmesse Digital Factory dürfte erneut das Wachstum der Hannover Messe beflügeln. Der Grund sind vor allem die Anstrengungen der Fertigungsindustrie, sich digital zu transformieren. Neben bekannten Anbietern von Industriesoftware stellen deshalb beinahe alle Größen in KI und Cloud, Internet- und Datenwirtschaft hier aus.
Wer behauptet, dass Deutschland von den USA beim Thema künstliche Intelligenz längst abgehängt sei, kann ausschließlich Smartphones und mobile Computer im Kopf haben. Denn gerade die Internetkonzerne aus den USA drängen unter anderem in die Mitte der deutschen Industriemesse. Sie wissen wohl, dass sich die Zukunft von KI, Cloud und Big Data Analytics nicht über Smartphones, sondern in der Massenproduktion von Industriegütern entscheiden wird. In Hannover äußert sich das darin, dass fast alle führenden Anbieter dieser Branche mit großen Partnerständen mitten in der Digital Factory auftreten. Von Amazon Web Services über Google Cloud und IBM Watson bis zu Microsoft Azure und SAP Leonardo sind alle da, ebenso wie die chinesischen Konkurrenten Huawei und Haier, weitere Firmen aus Asien könnten 2019 folgen. Es äußert sich auch darin, dass immer mehr deutsche Industrieunternehmen ihre neuen Geschäftsfelder auf der Leitmesse zeigen, etwa die Phoenix Contact-Tochter Protiq oder Voith Digital Solutions. Die Industrie ist nicht nur Anwender von IT, sie zeigt zunehmend eigene Ideen, was sie mit der Digitalisierung anfangen will.
Engineering-Software dabei
Das Wachstum geht nicht auf Kosten der bisherigen Aussteller. Nach wie vor sind auch die Lösungsanbieter rund um CAD/CAM, PDM und PLM, um MES und ERP auf der Messe vertreten. Auch die Foren und begleitenden Veranstaltungen werden nicht weniger, sondern mehr. Die etablierten, wie das Forum Industrie 4.0, die bereits 11. MES-Tagung und das 5. Additive Manufacturing Forum werden 2019 durch eine neue Veranstaltung ergänzt: den Industrial Pioneers Summit, auf dem Vertreter von alten und neuen Industriepionieren sprechen. Er richtet sich an das Top-Management.
Der Wandel wird sichtbar
Die Industrie ist mitten in einem grundlegenden Wandel, und kaum irgendwo lässt sich das so gut beobachten wie auf der Hannover Messe. Während die einen behaupten, insbesondere der Mittelstand tue sich nach wie vor schwer mit Big Data und Cloud, hört man von einigen Cloud-Anbietern das Gegenteil: Gerade die kleinen und mittleren Industrieunternehmen begriffen sehr schnell, dass sie keine Chance in der digitalen Zukunft haben, wenn sie nicht auf die Angebote mit den riesigen Serverfarmen zurückgreifen. Und niemand könne so schnell reagieren wie diese kleineren Unternehmen, die eben nicht durch Abteilungshierarchien von tausenden Mitarbeitern gebremst würden.
Trends hin zu Plattformen
Tatsache ist, dass neben den reinen IT-Anbietern und Technologiekonzernen auch die Plattformen für Industrie-Apps wie Pilze aus dem Boden schießen. Auch wenn vielleicht in einigen Jahren nur ein oder zwei Hände voll übrigbleiben, derzeit gibt es deutlich mehr, und sie sind in der Messe nicht zu übersehen. Auch auf diesem Feld der noch jungen Plattformökonomie stehen die großen Konzerne wie Bosch und Siemens, aber eben auch zahlreiche kleinere, branchenspezifisch aufgestellte Cloud-Plattformen, teils von einzelnen Unternehmen, teils von Netzwerken, deren gemeinsames Ziel der Erfolg der Plattform ist.
Wer schöpft die Werte ab?
Wer macht das Geschäft mit der Cloud-Plattform? Der Anbieter der Cloud-Infrastruktur und KI, der Anbieter der Industrieplattform oder die Anbieter der Industrie-Apps? Wo ist man als Industrie- oder Privatkunde besser aufgehoben? Welche Preise muss man künftig kalkulieren? Wie sicher sind die Dienste - und die eigenen Daten? Klar scheint, dass der größte Wert in der Plattformökonomie in den neuen Apps liegen wird, in denen das eigentliche Industrie-Knowhow steckt, das in der Produktionsanlage und Maschine, im Produkt und in der Anwendung die größte Wirkung zeigen wird. Aber es ist alles noch neu und unbekannt. Wer vorne dabei sein will, muss bereit sein, auch Entscheidungen zu treffen, von denen ihm noch niemand sagen kann, ob sie richtig oder falsch sind.
Digitale Zwillinge in Hannover
Ein vielfach diskutiertes Branchenthema ist der digitale Zwilling. Auch dazu wird es auf der Hannover Messe eine ganze Reihe von Informationsangeboten und Produkten zu sehen geben. Denn zahlreiche Fragen in diesem Zusammenhang sind noch nicht hinlänglich beantwortet. Wie lassen sich aus dem Meer von Daten der in den Unternehmen installierten Systeme die wirkungsvollsten digitalen Zwillinge bauen? Wie können sie mit der Cloud und dem Internet verbunden werden? Welche Geschäftsmodelle mit produktbasierenden Diensten sind am vielversprechendsten? Welche der anstehenden Aufgaben können selbst wieder Dienstleistern überlassen werden, welche muss das Unternehmen selbst lösen?
Mehrdeutiges Messemotto
'Integrated Industry - Industrial Intelligence' heißt 2019 das Messemotto. Damit müssen nicht nur die erwerblichen Angebote rund um KI gemeint sein. Es könnte die menschliche Intelligenz der Entscheider gemeint sein, in dieser schnelllebigen Zeit klug die für das Unternehmen am besten passenden Lösungen herauszusuchen. Dabei kann eine ganz andere Art der Nutzung von Internet und Digitalisierung herauskommen, als sie von den Giganten des Silicon Valley vorgelegt wurde. Und die industriell definierte Art könnte noch viel erfolgreicher sein. Vielleicht so erfolgreich, dass die nun in Hannover nach den künftigen Märkten Ausschau haltenden Größen aus den USA und China sich selbst neu orientieren. Schließlich ist gar nicht auszuschließen, dass die Industriefirmen in den kommenden Jahren wieder an die ersten Plätze der besten Unternehmen der Welt vorrücken, die seit den Zehnerjahren fast ausschließlich die Anbieter aus dem Daten- und Internetgeschäft besetzen. n Technologieanalyst und Autor.
Die Leitmesse Digital Factory dürfte erneut das Wachstum der Hannover Messe beflügeln. Der Grund sind vor allem die Anstrengungen der Fertigungsindustrie, sich digital zu transformieren. Neben bekannten Anbietern von Industriesoftware stellen deshalb beinahe alle Größen in KI und Cloud, Internet- und Datenwirtschaft hier aus.
Wer behauptet, dass Deutschland von den USA beim Thema künstliche Intelligenz längst abgehängt sei, kann ausschließlich Smartphones und mobile Computer im Kopf haben. Denn gerade die Internetkonzerne aus den USA drängen unter anderem in die Mitte der deutschen Industriemesse. Sie wissen wohl, dass sich die Zukunft von KI, Cloud und Big Data Analytics nicht über Smartphones, sondern in der Massenproduktion von Industriegütern entscheiden wird. In Hannover äußert sich das darin, dass fast alle führenden Anbieter dieser Branche mit großen Partnerständen mitten in der Digital Factory auftreten. Von Amazon Web Services über Google Cloud und IBM Watson bis zu Microsoft Azure und SAP Leonardo sind alle da, ebenso wie die chinesischen Konkurrenten Huawei und Haier, weitere Firmen aus Asien könnten 2019 folgen. Es äußert sich auch darin, dass immer mehr deutsche Industrieunternehmen ihre neuen Geschäftsfelder auf der Leitmesse zeigen, etwa die Phoenix Contact-Tochter Protiq oder Voith Digital Solutions. Die Industrie ist nicht nur Anwender von IT, sie zeigt zunehmend eigene Ideen, was sie mit der Digitalisierung anfangen will.
Ulrich Sendler
Dieser Artikel erschien in IT&Production März 2019 - 12.03.19.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com