Drehgeber-Expertenrunde ´Functional Safety´ - Teil 1/2
Sichere Drehgeber
Bereits zum dritten Mal fand die Drehgeber-Expertenrunde des SPS-MAGAZINs statt. Dabei diskutierten Experten von Baumer, BiSS Association, Fraba, Kübler, Hengstler, iC-Haus und Sick über das Thema ´Functional Safety´. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Johann Pohany, Geschäftsführer der Medidtcine Consultants. Im ersten Teil geht es darum, wo Safety-Drehgeber bereits im Einsatz sind, und ob SIL2 oder SIL3?
Dr. Johann Pohany (Medidtcine): In welchen Branchen und Applikationen sehen sie Safety-Drehgeber?
Jonas Urlaub (Kübler): Die Frage ist eher, wo nicht. Safety-Drehgeber haben mittlerweile in nahezu jeder Anwendung oder Branche Einzug gefunden. Wind, Verpackungsmaschinen, mobile Automationen, überall dort sehen wir bereits, dass sich die Anwender nicht nur intensiv mit der Thematik beschäftigen, sondern sie bereits aktiv umsetzen.
Heiko Krebs (Sick): Auch im Zuge von Mensch/Maschinen-Kooperationen entstehen neue Anwendungsfelder, bei denen Safety Motion eine große Rolle spielt. Aber auch in anderen Bereichen, wie z.B. Logistik, Stichwort AGV (Automated Guided Vehicles), kommen Safety-Drehgeber zum Einsatz.
Klaus Matzker (Fraba): Wir haben schon vor zehn Jahren mit Stand-Alone-Gebern im Safety-Bereich für mobile Maschinen angefangen. Mittlerweile agieren wir auch in der Fabrikautomation, allerdings dort mit anderen Schnittstellen.
Dr. Heiner Flocke (iC-Haus): Bei Safety für Cobots sehen wir große Chancen. Für uns ist dieser Bereich derzeit der Schwerpunkt.
Marko Hepp (BiSS Association): Cobots sind ein Wachstumsmarkt. Nicht nur viele Kleinunternehmen sind dort bereits unterwegs, sondern auch etablierte Player haben das Thema nicht nur auf der Agenda, sondern sind es bereits komplett angegangen.
Daniel Kleiner (Baumer): Auch in Segmenten, wo Safety bisher nicht notwendig war, gibt es mittlerweile Regularien, die nicht nur vom Gesetzgeber kommen. So hat sich z.B. Singapur bei Port Equipment entschieden, zukünftig mehr mit Functional Safety abzusichern.
Auf der letzten SPS IPC Drives habe ich nur noch wenige Safety-Drehgeber auf den Ständen gesehen. Verstecken sich die Drehgeberhersteller hinter den Antriebstechnikherstellern und lassen sich dann zu einer Lösung ziehen?
Flocke: Die SPS ist eine Verkaufsmesse und das Thema 'Functional Safety' ist zwar neu, aber nicht mehr der große Hype.
Matzker: Wir hatten schon vor zehn Jahren einen Safety-Drehgeber und damals das Problem, dass wir ein fertiges Produkt hatten, aber die Steuerungshersteller noch nicht so weit waren. Auf der Bauma im April werden sie aber sehen, dass Safety zunehmen wird. Allerdings müssen wir dabei zwischen Stand Alone und integrative bzw. Feedback-Geber unterscheiden.
Krebs: Safety ist nicht weniger wichtig, sondern mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.
Trägt ein Safety-Drehgeber seine Entwicklungskosten?
Kleiner: Safety-Geber sind sehr aufwendig in ihrer Entwicklung. Dadurch, dass man aber die Effizienz durch wiederverwendbaren, geprüften Softwarecode verbessert, kommen wir in einen Bereich, wo sich das Verhältnis umdreht. Das heißt, es lässt sich auch mit Safety-Drehgebern und -Sensoren Geld verdienen.
Johann Bücher (Hengstler): Kurzfristig kann man mit einem funktional sicheren Drehgeber derzeit noch kein Geld verdienen. Daher ist es notwendig, dass sich eine Firma langfristig für das Thema entscheidet, das heißt Investitionen in ein Functional Safety Management steckt, und weniger in Komponenten und Produkte.
Urlaub: Man benötigt eine gewisse Anzahl verschiedener Drehgeber, aber auch die Stückzahlen, damit sich ein Safety-Invest lohnt. Wir feiern auch 10-jahriges Jubiläum mit unserem Sinus/Cosinus Drehgeber und lassen ihn zum zweiten Mal nach SIL3 re-zertifizieren. Wir würden diesen Aufwand nicht betreiben, wenn es hierfür kein Businessmodell gäbe.
Matzker: Der Aufwand einer Implementierung ist bei SIL3 um ein Vielfaches höher, als bei SIL2, obwohl dies meist ausreichen würde. Ich empfehle daher beim Anwender nachzufragen, ob eine Applikation nicht auch durch organisatorische Maßnahmen auf SIL2 anstatt SIL3 kommen kann.
Für integrierte Servoanwendungen oder Anbaudrehgeber habe ich aber unterschiedliche SIL-Anforderungen?
Kleiner: Grundsätzlich sind die Safety-Anforderungen vergleichbar. Allerdings sehen auch wir für Servoantriebe SIL2 als ausreichend, obwohl unsere Hiperface-DSL-Schnittstelle bis SIL3 zertifiziert ist.
Hepp: Sowohl 'BiSS Safety over BiSS Line', als auch 'BiSS Safety' sind über den Black-Channel-Ansatz bis SIL3 standardisiert, können aber auch für SIL2 genutzt werden.
Bücher: Auch SCS Open Link erfüllt SIL3 nach dem Black-Channel-Prinzip. Es geht aber auch um die sicheren Anforderungen an ein Gesamtsystem, also Encoder, Sensorik, Kommunikation oder Auswerteeinheit.
Welche Trends sehen sie im Bereich funktionaler Sicherheit? Geht es dort eher in Richtung SIL2, PLd compliant oder SIL3?
Bücher: In den meisten Applikationen ist SIL2 ausreichend, wenn es um funktionale Sicherheit geht. Allerdings sind heute knapp 80 Prozent aller Anwendungen noch SIL-freie Applikationen. Wir beginnen derzeit mit der Integration der funktionalen Sicherheit in Servomotor-Feedback-Anwendungen, bei der Bahn- oder Bühnentechnik ist das bereits anders.
Urlaub: Hat man nur SIL2-Drehgeber in seinem Portfolio, begrenzt man sich zu sehr auf nur wenige Applikationen. Unsere Kunden erwarten aber, dass sie beide Lösungen bei uns kaufen können.
Krebs: Sicherlich ist der Großteil der Anwendungen SIL2, aber wir sehen auch Anwendungen mit speziellen SIL3-Anbaudrehgebern.
Haben wir bei heutigen Drehgebern andere Herausforderungen an die Software als früher?
Kleiner: Natürlich spielt die Software heute eine große Rolle, vor allem im Bereich der Differenzierung der Funktionalitäten. Wenn es um 'Functional Safety' geht, ist es aber für uns Hersteller eine Herausforderung entsprechend qualifizierte Mitarbeiter zu finden. In diesem Bereich haben wir viel investiert, und zudem unsere Toolchain so ausgerichtet, dass wir bestens unterstützt nach Norm entwickeln und eine Wiederverwendbarkeit des Codes für SIL2 und SIL3 sicherstellen können.
Bücher: Die Hardware bzw. Mechanik spielt zukünftig nur noch eine untergeordnete Rolle. Wo man sich wirklich vom Wettbewerb unterscheiden wird, ist die Software.
Urlaub: Software bietet auch für ältere Drehgebertechnologien neue Möglichkeiten. Dabei geht es nicht darum inkrementelle Signale auszugeben, sondern zusätzlich Geschwindigkeit und sichere Beschleunigungswerte zu erfassen. Dadurch ergibt sich ein höherwertiger Sensor. Wenn wir allerdings über die Entwicklungsaufwände sprechen, so liegen diese bei einem sicheren Drehgeber zu einem großen Teil in der Dokumentation und Test der Software versteckt, was die Safety-Produkte teurer und aufwendiger macht.
Hepp: Auch Chip-Designer brauchen mittlerweile eine Zusatzausbildung, da 'Functional Safety' einen nennenswerten Anteil ihrer Arbeit ausmacht.
Wird es von iC-Haus irgendwann Safety-Building-Blocks geben, mit denen ich Drehgeber funktional sicher aufbauen kann?
Flocke: Wir reagieren bereits auf entsprechende Nachfrage und haben auf der SPS IPC Drives entsprechende Lösungen vorgestellt, das heißt zwei diversitäre Encoder auf einem einzigen Chip. Es gibt bereits Systeme, um mit verschiedenen Ansätzen ein sicheres System zu bauen, indem man z.B. magnetisch mit optisch auf einer gleichen Welle kombiniert. Neu ist die Möglichkeit, dies mit einem einzigen Stück Silizium und derselben Codescheibe zwei Abtastungen hinzubekommen, die dann Common Cause vermeiden und zusätzlich Diagnosefunktionen bieten. Wir sind dabei diese Technik als Compliant Item mit TÜV-Zertifikat anzubieten. Das sind aber Entwicklungen, bei denen ein Kunde bereit sein muss, mit einem Implementation Handbook zu arbeiten. Er kann nicht einfach einen Drehgeber anschrauben und dann ein paar externe Bauelemente dazusetzen, um sein System sicher zu machen.
Bücher: Die Komponenten von iC-Haus sind ein Zeichen, dass der Trend in Richtung funktionaler Sicherheit geht. Im Sensorbereich sind wir natürlich dankbar, dass wir bereits solche Chips von iC-Haus haben. Wenn Sie sich aber umschauen, was renommierte Firmen im Halbleiterbereich heute bereits zum Thema 'Functional Safety' an Entwicklungswerkzeugen zur Verfügung stellen und was für Komponenten wie z.B. Microcontroller oder Halbleiter vorhanden sind, dann sind das Building Blocks, die man bereits heute verwenden kann, um eine sichere Entwicklung durchzuführen. Auf der anderen Seite wird es immer wichtiger, dass diese Anforderungen auch standardisiert werden. Ich bin froh, dass im Zuge der internationalen Standardisierung für sicherheitsrelevante Encoder derzeit eine weltweite Norm entsteht, um zukünftig eine standardisierte Entwicklung zu ermöglichen. Aktuell haben wir leider bei Zertifizierungen oder Berechnungen oft noch Individuallösungen, die auf spezifische Applikationen abgestimmt sind.
Oft möchte der Anwender keine zertifizierten Produkte haben, sondern PLd-compliant-Komponenten.
Kleiner: Gerade Anwender im Bereich der mobilen Automation gehen vom Zukauf zertifizierter Komponenten weg und möchten bewertbare Komponenten haben, um dann ihr System für sich bewerten zu können. Damit kaufen sie sich natürlich Flexibilität ein und können ihre Produkte permanent variieren.
Urlaub: Wir sehen ebenfalls diesen Trend, sind aber zwiegespalten. Software ist eine der wichtigsten Komponenten bei Drehgebern. Software bedeutet aber auch, dass ich einen veränderlichen Prozessor auf einem komplexen System habe und komplexe Systeme alleine dem Kunden zu überlassen ist schwierig. Einen Inkrementalgeber, der kaum Software hat, kann der Kunde als Black Box irgendwo anbauen. Einen komplexeren Safety-Absolutwert-Geber, der Prozessoren integriert hat, nicht mehr. Es mag Kunden geben, die zwar Safety beherrschen, aber die einzelnen Bauteile nicht kennen. Dann funktionieren auch Redundanzen über einen Zweitgeber nicht. Daher gehen wir den Weg der Zertifizierung auch für Performance Level d oder SIL2, weil es einfacher skalierbar ist und wir es anschließend auch weltweit verkaufen können.
Matzker: Wir sehen zwei Trends: certified und non-certified Compliance. Wir haben beide Varianten im Programm; für Stand-Alone-Geber ab Stückzahl 50. Den Compliance-Trend sehen wir bei mobilen Maschinen. Allerdings herrscht dort auch ein erheblicher Kostendruck und mit den geringen Stückzahlen bei stand alone Safety-Gebern bekommen wir das derzeit noch nicht abgebildet. Wir setzen dort auf einen redundanten diversitären Ansatz, um PLd zu erreichen, ohne dass ich einen zertifizierten Ansatz benötige. Aber auch das Thema Verfügbarkeit ist wichtig. Viele Kunden sind überrascht, wenn sie feststellen, dass sie einen sicheren Zustand erreicht haben, aber das System nicht mehr kommuniziert. Es ist schön, wenn man 'Functional Safety' erfüllt, aber am Ende zählt nur die Verfügbarkeit der Systeme. (peb)
Bereits zum dritten Mal fand die Drehgeber-Expertenrunde des SPS-MAGAZINs statt. Dabei diskutierten Experten von Baumer, BiSS Association, Fraba, Kübler, Hengstler, iC-Haus und Sick über das Thema ´Functional Safety´. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Johann Pohany, Geschäftsführer der Medidtcine Consultants. Im ersten Teil geht es darum, wo Safety-Drehgeber bereits im Einsatz sind, und ob SIL2 oder SIL3?
Dr. Johann Pohany (Medidtcine): In welchen Branchen und Applikationen sehen sie Safety-Drehgeber?
Jonas Urlaub (Kübler): Die Frage ist eher, wo nicht. Safety-Drehgeber haben mittlerweile in nahezu jeder Anwendung oder Branche Einzug gefunden. Wind, Verpackungsmaschinen, mobile Automationen, überall dort sehen wir bereits, dass sich die Anwender nicht nur intensiv mit der Thematik beschäftigen, sondern sie bereits aktiv umsetzen.
Heiko Krebs (Sick): Auch im Zuge von Mensch/Maschinen-Kooperationen entstehen neue Anwendungsfelder, bei denen Safety Motion eine große Rolle spielt. Aber auch in anderen Bereichen, wie z.B. Logistik, Stichwort AGV (Automated Guided Vehicles), kommen Safety-Drehgeber zum Einsatz.
Klaus Matzker (Fraba): Wir haben schon vor zehn Jahren mit Stand-Alone-Gebern im Safety-Bereich für mobile Maschinen angefangen. Mittlerweile agieren wir auch in der Fabrikautomation, allerdings dort mit anderen Schnittstellen.
Dr. Heiner Flocke (iC-Haus): Bei Safety für Cobots sehen wir große Chancen. Für uns ist dieser Bereich derzeit der Schwerpunkt.
Marko Hepp (BiSS Association): Cobots sind ein Wachstumsmarkt. Nicht nur viele Kleinunternehmen sind dort bereits unterwegs, sondern auch etablierte Player haben das Thema nicht nur auf der Agenda, sondern sind es bereits komplett angegangen.
Daniel Kleiner (Baumer): Auch in Segmenten, wo Safety bisher nicht notwendig war, gibt es mittlerweile Regularien, die nicht nur vom Gesetzgeber kommen. So hat sich z.B. Singapur bei Port Equipment entschieden, zukünftig mehr mit Functional Safety abzusichern.
Auf der letzten SPS IPC Drives habe ich nur noch wenige Safety-Drehgeber auf den Ständen gesehen. Verstecken sich die Drehgeberhersteller hinter den Antriebstechnikherstellern und lassen sich dann zu einer Lösung ziehen?
Flocke: Die SPS ist eine Verkaufsmesse und das Thema 'Functional Safety' ist zwar neu, aber nicht mehr der große Hype.
Matzker: Wir hatten schon vor zehn Jahren einen Safety-Drehgeber und damals das Problem, dass wir ein fertiges Produkt hatten, aber die Steuerungshersteller noch nicht so weit waren. Auf der Bauma im April werden sie aber sehen, dass Safety zunehmen wird. Allerdings müssen wir dabei zwischen Stand Alone und integrative bzw. Feedback-Geber unterscheiden.
Krebs: Safety ist nicht weniger wichtig, sondern mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.
TeDo Verlag GmbH
Dieser Artikel erschien in SPS-MAGAZIN 3 2019 - 06.03.19.Für weitere Artikel besuchen Sie www.sps-magazin.de