Interview mit Dr. Jochen Köckler
"Jetzt entscheidet sich, wer technologisch voran geht"
Die diesjährige Hannover Messe stellt unter anderem das Thema künstliche Intelligenz in den Mittelpunkt. Welche Potenziale sich hinter der Technologie verbergen und welche weiteren Trends im Fokus der Industriemesse stehen, erläutert Dr. Jochen Köckler, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Messe AG, im Interview.
Industrie 4.0 gelangte auf der Hannover Messe 2011 erstmals an die Öffentlichkeit. Was hat sich seitdem getan und an welchem Punkt steht die deutsche Industrie heute?
Dr. Jochen Köckler: Enorm viel hat sich seitdem getan. 2011 war Industrie 4.0 vor allem ein Zukunftsprojekt. Zwar zu konkret, um noch Vision genannt zu werden, aber wir standen am Anfang. Damals war es ein Erfolg, im höheren zweistelligen Bereich Anwendungsbeispiele auf der Hannover Messe zu zeigen. Seitdem sind die Themen digitale Transformation und Vernetzung erst in den Köpfen und dann auch in den Fabriken angekommen. Heute sind wir noch nicht so weit zu sagen, wir haben flächendeckend eine Industrie 4.0. Aber definitiv ist allen industriellen Branchen bewusst, dass es dort mit schnellen Schritten hingeht, weil sich nur diejenigen am Markt halten werden, die IT von Anfang an in all ihren Geschäftsprozessen integrieren und zusätzliche digitale Services anbieten. Wir sehen, dass nach der ersten Welle der Konzerne und großen Mittelständler jetzt die Kleineren nachziehen. Unterm Strich muss man sagen, dass sich die Industrie hier angesichts der kurzen Zeit als äußerst innovationsfähig erwiesen hat und weiterhin erweist.
In diesem Jahr steht die Messe unter dem Claim 'Industrial Intelligence'. Warum der Fokus auf künstliche Intelligenz?
Köckler: Weil im Kontext von Industrie 4.0 künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen aktuell die Entwicklungsbereiche mit dem größten Potenzial sind. Mit Hilfe von KI werden Produktionsanlagen vernetzt und Prozesse fortlaufend verbessert. KI ist in der Lage, Daten unterschiedlicher Quellen zu verknüpfen und daraus Erkenntnisse abzuleiten. Konkret heißt das: Fehler werden vorausgesehen und Probleme lassen sich schnell beheben. So steigen Qualitätsstandards genauso wie die Produktivität. Herstellungsprozesse werden flexibler und kosteneffizienter. Gerade auch für den Standort Deutschland ist das eine Riesenchance, denn genau jetzt ist die Zeit, in der sich entscheidet, wer hier technologisch vorangeht. KI schafft Raum für neue Ideen. Das können bestehende Produkte sein, die um digitale Services erweitert werden, oder auch komplett neue Geschäftsmodelle.
Ein weiteres großes Thema ist 5G. Was erwartet die Besucher in diesem Themenfeld und wie schätzen Sie den Bedarf der Industrie in Bezug auf 5G ein?
Köckler: Die Einführung von 5G wird ein Meilenstein sein, weil es die Basis für eine umfassende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft legt. Und für die Industrie gilt dies noch einmal im Besonderen, weil Zukunftstechnologien wie Machine Learning oder autonomes Fahren dadurch anwendungsreif werden. Kurz gesagt: Erst durch 5G wird die Industrie das ganze Potenzial von Industrie 4.0 heben können. Deshalb wird 5G auf der Hannover Messe eine wichtige Rolle spielen. Gemeinsam mit dem Netzausrüster Nokia errichten wir eine 5G-Arena. Das ist in Halle 16 zum einen ein 5G-Testfeld, in dem erste Anwendungen präsentiert werden. Zum anderen dient die 5G-Arena als Anlaufpunkt für alle Fragen der Industrie rund um den künftigen Mobilfunkstandard. Ein anderes Beispiel kommt aus unserem Partnerland Schweden. Ericsson bringt eine erste 5G-Antenne für die Produktion mit nach Hannover, um gemeinsam mit dem Fraunhofer IPT live zu zeigen, wie sich dezentral angesiedelte Produktionsbetriebe mit Hilfe von 5G vernetzen und gemeinsam arbeiten können.
Welche weiteren Trends stehen im Mittelpunkt?
Köckler: Es gibt zahlreiche Trends und Schwerpunktthemen, die einen Besuch der Hannover Messe lohnen. Leichtbau z.B. - mit dem ersten Leichtbaugipfel der Bundesregierung - oder auch der Einsatz von Cobots genauso wie Sektorkopplung und Hannover Messe steht auch nicht nur für die großen Themen und Schlagworte. Ihre Substanz und ihre Qualität macht am Ende aus, dass rund 6.500 Weltkonzerne, Mittelständler und Startups ihre Komponenten und Lösungen für die Industrieproduktion und Energieversorgung der Zukunft zeigen werden. Aus den Bereichen Automation, Robotik, Industriesoftware, Antriebs- und Fluidtechnik, Energietechnologien, Zulieferung sowie Forschung und Entwicklung sind alle führenden Unternehmen im April vor Ort.
Inwieweit wirkt sich das Ende der Cebit auf die Messe aus, gerade in Bezug auf die Digital Factory?
Köckler: Der Bereich Digital Factory boomt seit Jahren. Das gilt auch für 2019 und darüber hinaus. Und das ist auch kein Wunder, weil dort das Herz der digitalen Transformation der Industrie schlägt. Ich möchte kurz daran erinnern, dass die Cebit und die Hannover Messe mit der Digital Factory eine grundlegend unterschiedliche Ausrichtung hatten. Wer sich als IT-Spezialist an die Zielgruppe der Industrie wenden wollte, war schon in den zurückliegenden Jahren auf der Hannover Messe richtig. IT-Konzerne haben aber sehr unterschiedliche Branchen, die für sie relevant sind. Insofern waren beide Messen keine direkte Konkurrenz. Aber richtig ist natürlich, dass einige Themen der Cebit auch auf die Hannover Messe gehören. Das gilt etwa für Data Analytics, ERP und KI. Den ehemaligen Cebit-Ausstellern, die sich jetzt einem ausschließlichen Industriepublikum präsentieren wollen, bieten wir auf der Hannover Messe eine neue Heimat.
Schweden ist in diesem Jahr Partnerland der Messe. Das Land wird oft als ein Vorreiter im Bereich Digitalisierung genannt. Was kann die deutsche Industrie vom Partnerland lernen und welchen Fokus setzen die schwedischen Aussteller?
Köckler: Schweden steht wie kaum ein anderes Land für Innovationsstärke und Offenheit. Damit ist Schweden sicherlich ein Vorbild, nicht nur für die deutsche Industrie. Die Begeisterung für neue Technologien zeigt sich bei den Schweden beispielsweise in hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Und die zahlt sich aus. Gerade im Bereich IT finden sich im Stockholmer Raum sehr viele hochinnovative und erfolgreiche Startups. Das Klima stimmt. Gleichzeitig ist für Schweden klar, dass es alleine nicht geht. Deshalb präsentiert sich das Partnerland als starker Partner für internationale Wirtschaftsbeziehungen - im Bereich Smart Industry genauso wie in den Themenfeldern Energie, Mobilität, Zulieferung, Automation oder Smart City.
Wie geht es weiter bzw. was kommt nach 'Industrial Intelligence'?
Köckler: Da halten wir es wie die Schweden: Wir blicken offen und neugierig nach vorn. Wie das Leitthema 2020 heißen wird, ist erst nach der Hannover Messe 2019 ein öffentliches Thema. Aber die Frage nach der Zukunft treibt uns alle um. Deshalb haben wir auch den 'Industrial Pioneers Summit' aufgesetzt. Am Messedienstag wird dort über Digitalisierung, KI, Mensch-Maschine-Kollaboration und Plattformökonomie diskutiert. Es kommen Vordenker und Innovationstreiber aus Industrie, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Und es geht darum, Erkenntnisse, Meinungen und Theorien über Entwicklungen und Szenarien auszutauschen, die uns gemeinsam zu einer Vision für die Industrie im Jahr 2025 führen. (mst)
Die diesjährige Hannover Messe stellt unter anderem das Thema künstliche Intelligenz in den Mittelpunkt. Welche Potenziale sich hinter der Technologie verbergen und welche weiteren Trends im Fokus der Industriemesse stehen, erläutert Dr. Jochen Köckler, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Messe AG, im Interview.
Industrie 4.0 gelangte auf der Hannover Messe 2011 erstmals an die Öffentlichkeit. Was hat sich seitdem getan und an welchem Punkt steht die deutsche Industrie heute?
Dr. Jochen Köckler: Enorm viel hat sich seitdem getan. 2011 war Industrie 4.0 vor allem ein Zukunftsprojekt. Zwar zu konkret, um noch Vision genannt zu werden, aber wir standen am Anfang. Damals war es ein Erfolg, im höheren zweistelligen Bereich Anwendungsbeispiele auf der Hannover Messe zu zeigen. Seitdem sind die Themen digitale Transformation und Vernetzung erst in den Köpfen und dann auch in den Fabriken angekommen. Heute sind wir noch nicht so weit zu sagen, wir haben flächendeckend eine Industrie 4.0. Aber definitiv ist allen industriellen Branchen bewusst, dass es dort mit schnellen Schritten hingeht, weil sich nur diejenigen am Markt halten werden, die IT von Anfang an in all ihren Geschäftsprozessen integrieren und zusätzliche digitale Services anbieten. Wir sehen, dass nach der ersten Welle der Konzerne und großen Mittelständler jetzt die Kleineren nachziehen. Unterm Strich muss man sagen, dass sich die Industrie hier angesichts der kurzen Zeit als äußerst innovationsfähig erwiesen hat und weiterhin erweist.
Deutsche Messe AG
Dieser Artikel erschien in IT&Production März 2019 - 12.03.19.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com