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ERP-System mit offenem Quellcode

Selbst programmiert am laufenden Band

Unternehmensspezifische Prozesse bieten ERP-Systeme meist erst nach Anpassungen. Mit dem richtigen System lassen sich aber sogar komplett neue Produkte ohne teure Unterstützung durch den Software-Anbieter relativ einfach abbilden.

Bild: IAS Industrial Application Software GmbHBild: IAS Industrial Application Software GmbH

Die HUEHOCO-Gruppe mit Hauptsitz in Wuppertal ist ein Global Player für die Veredelung von Metallprodukten. Die Gruppe beschäftigt über 1.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an 14 Fertigungsstandorten in Deutschland, Frankreich, Kanada, USA, Brasilien, Mexiko und China und liefert von dort in 40 Länder und über 30 Branchen. Vertretungen gibt es unter anderem in Hongkong und Südkorea. Durch die Vernetzung aller Unternehmen bietet die familiengeführte Unternehmensgruppe branchenübergreifende Systemlösungen für veredelte Metallbänder. In Wuppertal beschichtet die Firma seit über 100 Jahren Metallbänder im Coil-Coating-Verfahren. Heute veredeln etwa 170 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen rund eine Milliarde Meter Metallband pro Jahr. "Die Veredelung besteht darin, dass wir mit unserem Knowhow bestimmte Beschichtungsstoffe aufbringen. Die können dann etwa in einem Extrusionsprozess eine Haftung mit einem Kunststoff oder Gummi eingehen", erläutert IT-Leiter Klaus Peter Schönfeld das Kerngeschäft. Die Metallbänder - meist Aluminium-basiert, aus normalem Eisen oder Edelstählen - werden dann ab 1,7mm nach Kundenvorgaben längsgeteilt.

Standards der Autohersteller

Die fertigen Produkte kommen in ganz unterschiedlichen Branchen zum Einsatz. Größter Abnehmer ist die Automobilindustrie, wobei nicht die OEMs direkt beliefert werden, sondern deren Zulieferer. Auch als Tier 2- oder Tier 3-Lieferant unterliegt HUEHOCO natürlich den von der Automotive-Branche geforderten Standards. Daher sind alle deutschen Standorte nach IATF16949 zertifiziert. Weitere Kunden sind Elektronikfirmen und die Nahrungsmittelindustrie. Außerdem gibt es Nischenprodukte wie für die Tiermedizin, aus denen etwa Ohrclips für die Identifizierung von Tieren gefertigt werden.

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Viele Anforderungen an das ERP-System ergeben sich aus den Innovationen, die laufend für die Automobilindustrie entwickelt werden.

Die IT-Situation

Bis zum Jahr 2007 gab es beim Metallverarbeiter lediglich eine rein kaufmännische Software, die etwa einen Lieferschein oder eine Rechnung erzeugen konnte. Die baute man im Laufe der Jahre zwar immer weiter aus, aber etwa ab 2005 konnte das Programm die Anforderungen, die man an moderne Unternehmen stellt, nicht mehr erfüllen. Es war kaum möglich, die Daten in einen Gesamtzusammenhang zu bringen, also sich etwa mit den Themen Preisen und Disposition zu beschäftigen oder vorausschauende Planungen durchzuführen. In einem Auswahlprozess wollte man darum herausfinden, welche Anbieter mit einem geeigneten Software-Produkt es überhaupt gab. Damals hatte man die großen Anbieter wie SAP grundsätzlich ausgeschlossen, weil sich deren Systeme relativ starr präsentierten und man eher die eigenen Prozesse an das ERP-System angleichen musste als umgekehrt.

Das Kernobjekt verstanden

So blieben schließlich drei kleinere Anbieter übrig. Alle drei mussten ihr System im Führungskreis präsentieren, wobei sie die Lösung einer ungewöhnlichen Hausaufgabe zeigen sollten, die Schönfeld so beschreibt: "Bei uns dreht sich im wahrsten Sinne alles um das Coil. Das ist das Kernobjekt in unserem Unternehmen. Zeigt uns mal, was ein Coil ist." Das haben auch alle drei gemacht, ein Anbieter allerdings machte mehr. Er öffnete bei seiner Präsentation ein Testsystem und zeigte, dass es bei einem Coil ganz viele Dinge gibt, die man betrachten kann. "Die haben uns direkt eine Transaktion präsentiert, die in der Lage war, bestimmte Merkmale eines Coils, die über eine Warenwirtschaft hinausgehen, zu beschreiben. Etwa mechanische Werte oder die chemische Zusammensetzung. Man konnte schon Werte erfassen und in Testate schreiben. Mit einem Wort: Die hatten verstanden, was wir wollten", fasst der IT-Leiter die Präsentation zusammen. Sie war dann ein wesentlicher Grund dafür, sich 2007 für die ERP-Lösung caniasERP von IAS Industrial Application Software GmbH aus Karlsruhe zu entscheiden.

Anpassung in Eigenregie

Sofort sammelte man aus allen Abteilungen des Unternehmens Stimmen, was vom neuen System erwartet wurde, und schrieb die Ergebnisse in ein Lastenheft. Eines der wichtigen und ausschlaggebenden Auswahlkriterien bestand darin, dass die IT-Abteilung mit diesem ERP-System selbst in der Lage wäre, die Lösung zu gestalten, zu verändern und zu verbessern, Neuprogrammierungen zu machen und Anforderungen aus dem Lastenheft zu gegebener Zeit selbst zu realisieren. "So projektierten wir das Programm ein Jahr im Voraus, so wie wir es uns vorstellten", schildert Schönfeld diese ersten Schritte. Zu Beginn haben die Partner des IAS-Projektteams die meisten Anpassungen programmiert und der IT-Abteilung zum Testen übergeben, damit kleine Fehler beseitigt werden konnten.

Individuell ausgeprägt

So entstand von Beginn an schon so etwas wie eine Individualprogrammierung. Dazu gehörten die Rückmeldungen an den Maschinen, die eigentlich keine Softwarelösung im Standard darstellt, denn alle Parameter der Produkte, die dort entstehen, lassen sich mit einer Standardlösung gar nicht so darstellen, wie von HUEHOCO gefordert. Mike Schirrmacher, der seit dieser Zeit den IT-Leiter unterstützte, weiß noch, dass man selbst zum Programmieren gar keine Zeit hatte: "Wir waren damals vor allem Mittelsmann und Dolmetscher zwischen den Abteilungen und dem Projektteam, um Unternehmenssprache und IT-Termini gegenseitig verständlich zu machen und eindeutige Begrifflichkeiten herzustellen." Bald konnten sich Schönfeld und Schirrmacher auch intensiver mit der Programmierung beschäftigen und eigenständige Lösungen entwickeln. "So haben wir schließlich den ersten Meilenstein unserer neuen Kalkulation übergeben. Da wir direkt in caniasERP entwickelten, konnten wir die dort schon vorhandenen Daten und Werte nutzen, etwa die Einkaufspreise der verwendeten Materialien", nennt Schirrmacher ein Beispiel. Und der IT-Leiter ergänzt: "Wenn sie mal in unsere Transaktionsliste schauen, stellen sie fest, dass die Anzahl der Neuentwicklungen inzwischen größer ist, als die der Standardfunktionalitäten. Es ist ein absolutes Highlight für uns, dass wir über den gesamten Source Code inklusive der Prüftabellenwerte, die hinterlegt sind, verfügen."

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Sandwich-Produkte abbilden

Eben diese offene Verfügbarkeit des Quellcodes bietet dem Unternehmen jetzt Lösungsmöglichkeiten für neue Herausforderungen. Derzeit bestehen die fertigen Bänder aus einem Metallträger, der beidseitig mit einem Haftvermittler beschichtet ist. In der kundenseitigen Extrusion erfolgt die Applikation von Gummi oder Kunststoff. "Diese Produkte können wir mit unserem ERP-System natürlich mit allen Facetten darstellen, darauf sind wir eingerichtet", sagt Schirrmacher. Allerdings hat die Geschäftsleitung die Fertigung neuer Produkte beschlossen: "Gerade im Automotive-Bereich werden Produkte immer interessanter, die wir in unserem ERP-System noch gar nicht darstellen konnten, die sogenannten Sandwich-Produkte", schildert Schönfeld. So lassen sich dickere Gummibeschichtungen auf den vorhandenen Anlagen nur mit vielen Durchläufen herstellen, um mit entsprechender Belegung der Anlagenkapazität ein Coil fertigzustellen. Daher gibt es eine neue Anlage, die viel dickere Schichten in einem Durchlauf aufbringen kann. Das ließe sich zwar mit dem ERP-System noch darstellen, aber nun wird auf das erste beschichtete Metallband in einer sogenannten Hochzeit noch ein zweites Metallband appliziert, sodass ein Sandwich entsteht. Eine Gummischicht verbindet dabei die Metallbänder. Dieses Sandwich kann vierzehn bis sechzehn Schichten enthalten. "Da müssen wir unser System vom Punkt der sogenannten Hochzeit zweier Metallbänder an anpassen. Dazu gehören dann auch die Fertigungsplanung und am Schluss die Prüfung, ob die Beschichtungen mit dem Kundenauftrag übereinstimmen", erläutert Schirrmacher.

Alle Schichten rückverfolgbar

Mit den neuen Produkten wird HUEHOCO etwa die Hersteller von Shims und Getriebedichtungen ansprechen, also überall dort, wo es um akustische Entkopplung, Spaltdichtung oder Vibrationsdämpfung geht. "Die verwendeten Materialien für das entstandene Verbundprodukt anhand der Chargennummern darzustellen, ist relativ einfach. Aber die Beschreibung des tatsächlich entstandenen Aufbaus ist da schon anders", gibt Schönfeld zu bedenken. Der sogenannte Coil-Stamm beschreibt genau, wie so eine aufgewickelte Rolle aussieht, welches Metallband verwendet wurde, welche Beschichtungen appliziert wurden, die chemische Zusammensetzung und mechanischen Eigenschaften, Qualitätsprüfungen und Materialverluste. "Das alles lässt sich aus dem Coil-Stamm ersehen und das müssen wir im ERP-System jetzt für 'n' Schichten darstellen unter Wahrung lückenloser Rückverfolgbarkeit und Transparenz", betont Schönfeld.

Nutzen direkt aus der Quelle

Im Vergleich zu den bisherigen Produkten muss die ERP-Lösung also eine deutlich höhere Anzahl von Beschichtungsebenen darstellen und dann innerhalb der Sandwich-Produktion zwei Produkte zu einem verheiraten. Diese Möglichkeit gab es bisher gar nicht. "Jetzt mussten wir aus zwei bestehenden Metallbändern, die wir normalerweise verkaufen würden, ein Drittes machen. Dieses muss auch alle Informationen der Einsatzbänder tragen und auch im Bereich der Kalkulation und Disposition abgebildet werden. Das war komplettes Neuland", beschreibt Schirrmacher die Aufgabe. Dazu waren grundlegende Änderungen im System nötig, indem man etwa die Anzahl der Beschichtungen dynamisch ändern konnte.

Vorteil offener Quellcode

Das absolute Highlight ist für beide IT-Profis der Zugriff auf den kompletten Source Code. "Wir können alles abdecken, von der Fibu über die Anlagenbuchhaltung bis zur Konzernkonsolidierung erledigen wir alles in unserem ERP-System", freut sich IT-Leiter Schönfeld. Die gesamte Materialwirtschaft, Disposition, Produktionsplanung, Feinplanung, Rückmeldungen, Beschaffung, alle Kernprozesse und fast sämtliche Nebenprozesse bildet das System ab. "Man kann mit logischem und mathematischem Verständnis alles selbst programmieren, wir machen das lediglich zu zweit. Die Anpassungen, die wir bis jetzt schon programmiert haben, hätten wir mit keiner anderen Software realisieren können. Die Voraussetzungen dafür gibt es nur in so einem quelloffenen System", konstatiert Schirrmacher. Und Schönfeld resümiert: "caniasERP ist wirklich eine tolle ERP-Lösung. Und das tollste daran ist: Ich habe noch keine Grenzen entdeckt, die sich nicht mit eigenen Mitteln überwinden ließen."

IAS Industrial Application Software GmbH

Dieser Artikel erschien in IT&Production April 2019 - 08.04.19.
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