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Trendumfrage Single Pair Ethernet

Ist weniger mehr?

Single Pair Ethernet, kurz SPE, für den industriellen Einsatz wird in der Branche aktuell kontrovers diskutiert. Tun sich hier wirklich neue Möglichkeiten in der Verbindungstechnik auf? Und werden diese von Markt und Anwendern angenommen? In einer Trendumfrage hat das INDUSTRIAL COMMUNICATION JOURNAL verschiedene Spezialisten um ihre Einschätzung gebeten.

Bild:TE ConnectivityBild:TE Connectivity
Eric Leijtens, Senior Product Manager und Managing Director

Wie ist der aktuelle Technologiestand bei Single Pair Ethernet (SPE)?

Eric Leijtens: Der große Erfolg in anderen Branchen macht SPE auch für Industriemärkte interessant. Mit dem zunehmenden Einsatz von 100MBit/s-Installationen entwickelt sich auch der 10MBit/s-Standard weiter. Letzterer wird besonders interessant für das IoT sein, da die Anbindung völlig unkompliziert ist und Ethernet-Verbindungen auch über größere Entfernungen bis zu 1km aufgebaut werden können.

Verena Neuhaus: Produktseitig steht Single Pair Ethernet noch am Anfang. Aktuell gibt es unterschiedliche Kooperationspartner, die Steckgesichter in die Normierung eingebracht haben und entsprechende Produktlösungen entwickeln. Das Ziel muss es aber sein, eine durchgängige Infrastruktur vom Sensor über die Büroebene bis in die Cloud sicherzustellen.

Simon Seereiner: Unsere Kooperationspartner entwickeln und unterstützen die gemeinsam in die Normierung eingebrachten Steckgesichter der IEC63171-2 und IEC63171-5 für die Büro- bzw. Industrieumgebung.

Uwe Widmann: Viele Firmen und internationale Standardisierungsgremien arbeiten an der Umsetzung, um SPE für den Endanwender nutzbar zu machen. Von IEEE802.3 wurden erste Standards für 100BASE-T1 und 1000BASE-T1 veröffentlicht, an weiteren IEEE-Spezifikationen wird gearbeitet. SPE unterstützt über den 2016 veröffentlichten Standard IEEE802.3bu auch PoDL. Es existieren zudem weit fortgeschrittene Normentwürfe für Leitungen und Streckverbinder.

Bild: BeldenBild: Belden
Uwe Widmann, Technologie und Standardizierung

Welche Vorteile bringt SPE für die Industrie und welche Nachteile müssen ggf. berücksichtigt werden?

Leijtens: Mit SPE konzentriert sich die Ethernet-Entwicklung jetzt auch erstmalig darauf, die Kosten pro Knoten zu senken, damit Ethernet-Netze auch zur Anbindung genutzt werden können. Kosten und Knoten, einfache Installation, flexible Verdrahtung mit nur zwei Adern sowie größere Entfernungen bei niedrigeren Bandbreiten sind die großen Vorteile. Dennoch hat SPE auch gewisse Einschränkungen: Bei 100MBit/s und 1GBit/s beträgt die maximale Entfernung 15 bzw. 40m.

Neuhaus: Die Datenverkabelung benötigt weniger Rohstoffe und weniger Platz. Geräteschnittstellen, Kabelsteckverbinder und Trassen können also kompakter ausgeführt werden oder auf dem gleichen Bauraum die bis zu vierfache Anzahl Teilnehmer anbinden. Die Anschaffungskosten sind im Vergleich geringer, Lager- und Logistikkosten können ebenfalls reduziert werden.

Seereiner: Die SPE-Technologie kann neben Daten auch Leistung bis zu 60W an der Power Source Equipment (PSE) zur Verfügung stellen. Normierte Steckgesichter ermöglichen zudem eine effiziente Verkabelung mehrerer Kommunikationsteilnehmer. So können Anwender die bestehende Verkabelung weiter nutzen und statt eines bis zu vier Geräte anbinden. Ein weiterer Vorteil: SPE ist umgebungsneutral. Feldgeräte, Sensoren und Aktoren können einfach in die bestehende Ethernet-Umgebung der Unternehmensebene eingebunden werden.

Widmann: SPE ermöglicht über die IEEE802.3-Standards ein durchgehendes Netzwerk von der Feld- über die Steuerungs- bis zur Unternehmensebene und wird mittelfristig die bestehenden Feldbusprotokolle ersetzen.

Welche industriellen Anwendungen und Branchen sind aus Ihrer Sicht für SPE besonders spannend? Wo ist der Einsatz nicht geeignet?

Seereiner: Neben Applikationen im Maschinen- und Anlagenbau lässt sich SPE auch in intelligenten Gebäudenetzen und IoT-Anwendungen vorteilhaft einsetzen. Überall dort, wo viele Sensoren auf engem Raum verbaut sind, bietet SPE Vorteile.

Widmann: SPE-Komponenten werden überall dort schnell zur Anwendung kommen, wo Gewichtsreduktion und kleiner Bauraum eine große Rolle spielen.

Neuhaus: Mit SPE rücken die Übertragungsstrecken bis zu 1km bei Bitraten von 10MBit/s bis 1GBit/s in den Fokus. Damit erlaubt die reduzierte Verkabelung erstmals Einsatzgebiete und Anwendungen, die das konventionelle Ethernet bisher nicht zuließ. Aufgrund der begrenzten Datenraten eignet sich das SPE eher nicht für die Backbone-Verkabelung oder für Rechenzentren.

Leijtens: Ich erwarte, dass das Zweidraht-Ethernet besonders für die Sensortechnik sowie Anwendungen interessant ist, die hochflexible Lösungen erfordern.

Bild: Weidmüller Gruppe

Welche USPs lassen sich bei SPE besetzen? Welche Stärken kann Ihr Unternehmen als Anbieter dafür einbringen?

Widmann: Der alles beherrschende USP ist sicherlich die Gewichtsreduktion, deutlich kleinere Abmessungen und dies bei niedrigeren Leitungskosten. Der Anschluss wird durch die Zweidrahttechnik vereinfacht. Im industriellen Umfeld setzen wir auf die im Sensorbereich seit langem bewährte M8-Technologie.

Neuhaus: Unser Unternehmen bietet nicht nur einzelne Produkte für eine bestimmte Anwendung. Kunden erhalten von uns abgestimmte Lösungen für die durchgängige Verkabelung von der Feld- über die Leit- bis zur Unternehmensebene für Kupferstrecken und auch für Glasfaserleitungen.

Seereiner: Mit standardisierten Schnittstellen können ein- und vierpaarige Verkabelungskonzepte ebenso miteinander kombiniert werden wie IP20- und IP6x-Lösungen.

Leijtens: Für die erfolgreiche Einführung von SPE ist ein Ökosystem von standardisierten Komponenten notwendig, das ein umfassendes Lösungsangebot ermöglicht. TE Connectivity treibt diese Infrastruktur für das IIoT voran, um der Industrie eine zuverlässige Lösung zu bieten.

Gibt es schon SPE-Produkte in Ihrem Portfolio? Wenn ja, wo liegen dafür die aktuellen Einsatzfelder?

Widmann: Belden erarbeitet in internationalen Gremien die Standards für die SPE-Technologie und konnte Ende 2018 erste Serienmuster von Leitungen nach den neuen SPE-Standards IEC61156-11/-12/-13 präsentieren. Diese Leitungen eignen sich für die Fabrik- und Prozessautomation.

Seereiner: Fokussiert werden bei Weidmüller Steckverbinder für die Industrieumgebung in IP20 und IP67. Hier steht vor allem die Etablierung eines einheitlichen und applikationsunabhängigen Steckverbindergesichtes im Vordergrund. Es gibt aktuell verschiedene Ansätze, wobei Weidmüller die Lösung unterstützt, auf bereits etablierten Varianten aufzubauen.

Neuhaus: Unser Unternehmen wird im Frühjahr 2020 erste Kabel- und Gerätesteckverbinder für IP20 und IP67 vorstellen. Da die Zweidrahttechnik auch die Leistungsversorgung der Endgeräte mit bis zu 60W erlaubt, sind die Lösungen auch für die effiziente Gebäudeverkabelung gut geeignet.

Wie schätzen Sie die Verbreitung im Industriemarkt ein?

Seereiner: Die Industrie benötigt eine neue Infrastruktur, die mit möglichst wenig Leitungen viel bewirken kann. Auch der einfache Aufbau spricht für die Verbreitung der Lösung im industriellen Umfeld. Einfach gesagt: SPE ist derzeit einer der Megatrends in der industriellen Datenübertragung.

Neuhaus: Das Single Pair Ethernet kommt aus der Automobilindustrie, kann aber auch in anderen Bereichen bestehende Ethernet-Strukturen gut ergänzen. Akzeptanz und Verbreitung werden daher in den kommenden Jahren rasant zunehmen.

Leijtens: Mit SPE wird es technisch und wirtschaftlich möglich, die unterste Ebene der Automatisierungspyramide anzubinden. Wir erwarten, dass die Lösung zunächst im Bereich Edge Computing und bestimmten weiteren Anwendungen zum Einsatz kommen wird.

Widmann: Belden erwartet die ersten SPE-Projekte ab 2022. Infolge der vielen Vorteile im industriellen Sektor gehen wir von einer starken Durchdringung von SPE im industriellen Umfeld aus. (tkl)

TeDo Verlag GmbH

Dieser Artikel erschien in INDUSTRIAL COMMUNICATION JOURNAL 2 2019 - 15.05.19.
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