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Interview Matthias Schagginger, Bachmann Electronic, zum Thema Multicore

"Nicht mit dem Rest auf dem Markt vergleichbar"

Multicore ist in der industriellen Steuerungstechnik nicht immer gleich Multicore. Das beteuert Matthias Schagginger im Gespräch mit dem SPS-MAGAZIN. Der Leiter des Produktmanagements bei Bachmann Electronic stellt anhand der neuen CPU-Generation auf Mehrkernbasis dar, welche Missverständnisse es rund um die Leistungs- und Echtzeitfähigkeit von Multicore-Steuerungen für die Fertigungswelt gibt.

Bild: Bachmann electronic GmbHBild: Bachmann electronic GmbH

Bachmann hat eine neue CPU-Generation für seine SPSen vorgestellt und setzt dabei erstmals auf Multicore-Prozessoren. Was steckt dahinter?

Matthias Schagginger: Die CPU-Oberklasse ist das Brot-und-Butter-Geschäft bei Bachmann und unser Modell MC210 wird in Stückzahlen von vielen tausend pro Jahr verkauft. Bei der Entwicklung eines würdigen Nachfolgers ist jetzt die CPU-Familie MC200 entstanden, die erstmals auf modernen Multicore-Prozessoren basiert. Insgesamt haben wir aber möglichst wenig verändert, gerade was das erfolgreich etablierte mechanische Grundkonzept unserer Steuerungen angeht. Das wissen unsere Kunden bei ihren Investitionsgütern mit Laufzeiten von zwanzig Jahren und mehr sehr zu schätzen.

Das Thema Multicore ist nicht sonderlich neu in der Automatisierungstechnik. Seit wann beschäftigt sich Bachmann damit?

Schagginger: Bachmann hat schon in den 1990er-Jahren Lösungen für Multiprocessing auf den Markt gebracht. Vorläufer der M1-Steuerung war solch ein hardwareparalleles System mit verteilten, über einen Bus verbundenen Prozessoren - heute würde man dazu ganz klar Multicore sagen. Damals war das System dem Markt jedoch zu exotisch. Zumal der Anspruch an Rechenleistung auch noch nicht besonders ausgeprägt war.

Ihre Entwicklung ist also übers Ziel hinaus geschossen?

Schagginger: Sozusagen. Zwar konnte eine Multiprocessing-Platine damals locker vier konventionelle SPSen ersetzen, aber Bachmann war damit einfach zu früh. Das hat sich am fehlenden Markterfolg abgezeichnet: Über ein paar wenige Anwender ist man leider nicht hinausgekommen.

Und dann? :

Schagginger: Dann hat man auf Technik gewechselt, die auch andere Automatisierer in den 90er-Jahren für sich entdeckt haben: Nämlich einen Hybrid aus PC und echter Hard-SPS auf Basis von x86-Prozessoren. Die ließen sich mit FPGAs und ASICs zu hart echtzeitfähigen Lösungen für die Industrie kombinieren. Und trotzdem konnte man einen Teil der bestehenden Toolchains und Betriebssysteme nutzen. Die folgenden Jahre haben bestätigt, dass dies auch der richtige Weg war - zumindest zum damaligen Zeitpunkt.

Heute aber nicht mehr? :

Schagginger: Nun, die Anwendungen und deren Ansprüche haben sich natürlich weiterentwickelt. Der Bedarf an Rechenleistung ist deutlich gestiegen, wenn auch nicht unbedingt für die ursprüngliche Aufgabe der SPS. Die ist in einem ähnlichen Rahmen geblieben, auch wenn der Rechenzyklus von ehemals 10ms auf unter 1ms geschrumpft ist. Es sind neben der Maschinenablaufsteuerung jedoch viele Funktionen hinzugekommen: z.B. Monitoring, Datenerfassung oder Security. Und das war für Bachmann letztendlich der Grund, bei der Rechenleistung noch eine Schippe draufzulegen.

Aber es gibt doch auch sehr leistungsfähige Single-Core-Prozessoren.

Schagginger: Schon. Doch die werden sehr hoch getaktet, um mithalten zu können. Was wiederum thermisch nicht tragbar für Systeme ist, die viele Jahre wenn nicht Jahrzehnte durchgängig betrieben werden. Das Hauptkriterium lautet nach wie vor: Nicht ausfallen! Im Energie- und Infrastrukturbereich sowieso, aber auch im Maschinen- und Anlagenbau. Für die Basis, nämlich ein solides thermisches Design, bleibt dann ab einer gewissen Leistungsklasse nur noch der Weg über Mehrkernarchitekturen.

Wie haben Sie bei Bachmann den richtigen Zeitpunkt für Multicore-CPUs definiert?

Schagginger: Wir haben gemerkt, dass bei Schlüsselkunden die Auslastung unserer SPS-Systeme bereits in Bereiche um die 70 Prozent steigt. Um in solchen Fällen auch künftig ausreichend Reserven zu bieten, haben wir uns für Mehrkern-CPUs und damit für einen Schritt zu deutlich mehr Leistung entschieden. Letztendlich war es also kundengetrieben.

Warum haben andere SPS-Anbieter schon vor mehreren Jahren zu Multicore-Architekturen gewechselt?

Schagginger: Man muss unbedingt berücksichtigen: Multicore ist nicht gleich Multicore. Die frühen Lösungen auf dem Markt aus den Jahren 2014/2015 basierten zwar auf entsprechender Hardware, konnten Echtzeit aber nicht über mehrere Kerne abbilden. Die SPS lief samt ihrer Tasks nur auf einem Core. Alles drumherum konnte auf den anderen Kernen laufen - allerdings nicht in Echtzeit. Wir haben Marktbegleiter, die bieten solche Systeme heute mit zwölf Kernen an. Das ist aus meiner Sicht reines Marketing - jedenfalls kenne ich keine Anwendung, die das erfordert. Bachmann will das Potenzial der Multicore-Technik stattdessen vollständig ausnutzen und setzt auf symmetrisches Multiprocessing, kurz SMP, in Echtzeit. Das bedeutet: Alle Anwendungen können sich auf den Kernen frei bewegen. Und das ohne zusätzlichen Entwicklungsaufwand für den Anwender.

Das ist also der USP, mit dem Bachmann jetzt die Multicore-Bühne betritt?

Schagginger: Genau. Der Anwender kann auf diese Weise z.B. fünf SPSen mit 16 Tasks auf einer CPU laufen lassen, die sich flexibel auf vier Kerne verteilen. Auf diese Weise schaffen wir ausreichend Platz, um zusätzlich zu den SPS-Aufgaben und der Security auch das komplette Monitoring parallel mitlaufen zu lassen. Denn das SMP nutzt die vorhandenen Ressourcen bestmöglich und so kann es gut sein, dass man statt einem Vierkern-System nur zwei Cores benötigt. Das ist für die Anwender schlicht und einfach eine Kostenfrage. Zusammengefasst gibt es aus Bachmann-Sicht beim Thema Multicore zwei zentrale Kriterien: Wir hart ist die Echtzeit tatsächlich? Und wie gut werden die Rechenressourcen ausgenutzt?

Welchen Mehraufwand erwartet den Anwender bei der Programmierung?

Schagginger: Das Engineering verändert sich überhaupt nicht. Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass Anwender, die ihr Leben lang Automatisierungstechnik gemacht haben, jetzt nicht auf einmal in die Informatik wechseln müssen. Stattdessen müssen sie nur ein Häkchen setzen und können dann genauso arbeiten wie bisher - egal ob in IEC61131, in C und C++ oder in Matlab/Simulink. Unser Engineering-System übernimmt automatisch den Rest - zumindest bei 98 bis 99 Prozent der Applikationen. In den verbleibenden Einzelfällen legt der Anwender manuell fest, auf welchem Kern welcher Task laufen soll. Aber auch diese weiterführenden Schritte sind sehr einfach gehalten. Letztendlich muss aber niemand Multicore nutzen, nur weil es möglich ist. Das heißt auch für Retrofit-Projekte passen unsere neuen Steuerungen wunderbar.

Was sagen Ihre Pilotanwender?:

Schagginger: Tatsächlich haben unsere ersten Tests bei Kunden für offene Münder gesorgt. Befürchtungen in Bezug auf zusätzlichen Aufwand bei der Multicore-Implementierung haben sich in Luft aufgelöst. Mit dem Feedback unserer Pilotanwender sind wir sogar dreifach zufrieden: in Hinsicht auf die Einfachheit und Kompatibilität im Engineering, auf das Echtzeitverhalten und auf die hohe Leistungsfähigkeit der Hardware. So bekommen die Kunden auch in Zukunft eine Lösung von Bachmann, die weit oberhalb des Standards liegt - und nicht mit dem Rest auf dem Markt vergleichbar ist.

Was bedeutet das konkret auf die Hardware bezogen?

Schagginger: Die neuen CPUs bieten z.B. bis zu vier 1,6GHz-Low-Power-Prozessoren, drei autonome Ethernet-Ports, zwei serielle Highspeed-Schnittstellen, einmal USB3.0 oder 4GB Onboard-Flash-Speicher. Sie bieten zudem eine sehr hohe Leistungsdichte sowie eine außergewöhnliche Architektur- und Systemeffizienz. Letztere können in Bezug auf die Leistung bei ein und der selben Hardware locker einen Unterschied um den Faktor zwei ausmachen. Das haben wir bei Bachmann sehr früh erkannt und uns auf die Fahnen geschrieben. So werden immer wieder Steuerungen unserer Marktbegleiter durch M1-Steuerungen mit vermeintlich weniger Performance ausgetauscht, weil die Leistungsreserven in der Praxis dann doch einfach höher sind.

Das heißt, Sie scheuen auch keinen Leistungsvergleich mit den Multicore-Pendants Ihrer Wettbewerber?

Schagginger: Nein, absolut nicht. Der Benchmark ist letztendlich der Markt. Und weil unsere Kunden hohe Ansprüche haben, sorgen wir bei unseren Steuerungen dafür, dass es noch Luft nach oben gibt. Man kann ja nicht verlangen, dass die Kunden Updates und neue Funktionen immer auf die Leistung hin optimieren. Sie sollen sich rein um die Wertschöpfung in ihrer Domäne kümmern.

Führt dieser Ansatz nicht zu einer Überdimensionierung der Leistung?

Schagginger: Nein, der Anwender hat immer die Wahl. Die unterschiedlichen Performance-Klassen unserer Steuerungen haben alle die gleichen Grundeigenschaften und Schnittstellen. Das Engineering erfolgt immer auf der gleichen Plattform. Wird die Leistungsklasse gewechselt, muss nichts mehr neu programmiert oder kompiliert werden.

Welche Branchen haben bei Bachmann den Ausschlag für die neue Multicore-Generation gegeben?

Schagginger: Das Segment Marine und die Erneuerbaren brauchen das Mehr an Leistung großteils noch nicht. Entsprechend kam die Forderung aus unseren Zielmärkten Maschinenbau und Wind. Die Premiumanbieter aus dem Windbereich fordern uns und unsere Technik ja eh permanent. Noch größer war die Nachfrage allerdings aus dem Maschinenbau als Leitbranche der Automatisierungstechnik. Hier sind die Anwender nicht nur innovativ, sondern - was die neue Technik betrifft - auch mutig und durchaus experimentierfreudig.

Wie wirkt sich die zunehmende Digitalisierung auf die CPU-Technik aus? Lag hier für Sie auch ein Grund für Multicore?

Schagginger: Verschiedene Aspekte von Industrie 4.0 spielen hier mit hinein - allen vorweg die Security. Die smarte Fabrik kann nur funktionieren, wenn man IT-Sicherheit und Datenschutz ernst nimmt. Durch unser Engagement im Energie- und Kraftwerksbereich widmen wir uns dem Thema bereits seit dem Jahrtausendwechsel sehr intensiv. In der klassischen Industrie ist es aber noch nicht wirklich angekommen, selbst wenn alle davon reden. Sicherheits-Features, die über Passwortschutz und Verschlüsselung hinaus gehen, sind hier meist noch böhmische Dörfer. Dabei ist es wirklich nicht kompliziert, mit Bachmann-Steuerungen ein ordentliches Maß an Sicherheit zu generieren. Ein weiterer Trend, der sich spürbar auf die SPS-Performance auswirkt, findet sich in der Datenerfassung und -auswertung.

Als Basis für Analyse- und Big-Data-Lösungen?

Schagginger: Ja, doch glaube ich nicht an die Mär einer allmächtigen Cloud und unendlicher Bandbreite. Selbst unsere kleinste CPU schafft 10.000 Wertänderungen pro Millisekunde - welche Datenbank kann das überhaupt aufnehmen? Ein großes Rechenzentrum vielleicht. Aber das kann man ja nicht jeder Firma zur Verfügung stellen, die industrielles IoT machen will. In der Folge müssen die Steuerungen erfasste Daten schon intelligent vorverarbeiten. Das bedarf Algorithmen, die alles andere als trivial sind, und Steuerungen mit großer Rechenleistung und viel Speicher.

Bieten Edge-Lösungen hier vielleicht die bessere Alternative?

Schagginger: Bereits seit rund 15 Jahren sind Cloudlösungen von Bachmann im Serieneinsatz und durch unsere Erfahrung wissen wir: Man kann nie davon ausgehen, dass eine räumlich entfernte Anlage immer und ohne Latenzzeit erreichbar ist - egal ob über Festnetz oder Mobilfunk. In Folge dessen kommt Edge ins Spiel: Man implementiert einen Teil der Cloudsoftware und -funktionaliät bereits lokal. Auch hier bietet Bachmann schon lange Lösungen wie den M1-Portal-Treiber. Er speichert Daten bei einer Übertragungsunterbrechung zwischen und stellt sie später wieder zur Verfügung. Und zwar so, dass die Applikation davon nichts merkt. Das ist echtes Edge und dafür bedarf es deutlich mehr, als nur einen Industrierechner. Leider wird der Begriff Edge in letzter Zeit wild missbraucht und reiht sich damit in eine immer länger werdende Liste an Buzzwords ein.

Was meinen Sie damit? :

Schagginger: Wenn man Schlagworten wie Cloud, IoT oder Big Data auf den Grund geht und nach kommerziellen Argumenten sucht, stößt man in neun von zehn Fällen auf Predictive Maintenance. Hier liegt heute der wirkliche Mehrwert. Bei Bachmann gibt es dafür eine eigene Geschäftseinheit, die seit 20 Jahren Lösungen für moderne und intelligente Instandhaltung realisiert.

Gehört KI auch zu diesen Schlagworten?

Schagginger: Zum größeren Teil sicherlich. Ich halte selbstlernende Algorithmen und die Weiterentwicklung neuronaler Netze prinzipiell für eine fantastische Geschichte. Aber man muss gut überlegen, was man wie nutzt. Aufgaben in der Automatisierungstechnik sind in der Regel mit analytischer Vorwärtsalgorithmik schneller, effizienter und fehlerfrei lösbar. Selbst bei Codition-Monitoring-Lösungen. Nur bei sogenannten Multivariablenproblemen macht künstliche Intelligenz wirklich Sinn. Der Rest ist im Moment ein medialer Hype. Speziell wenn KI als Verkaufsargument für eine SPS herhalten soll.

Wie geht es nach der Vorstellung der neuen CPUs weiter? Stellen Sie Ihr Angebot komplett auf Multicore um?

Schagginger: Bis auf weiteres wird es Single- und Multicore im Bachmann-Steuerungsportfolio geben. Denn auch in Zukunft brauchen nicht alle Anwendungen Mehrkern-CPUs. Es lässt sich aber schlecht vorhersagen, ob auf dem Halbleitermarkt in absehbarer Zeit überhaupt noch SPS-taugliche Prozessoren mit nur einem Kern zu bekommen sind. So könnte es durchaus passieren, dass sich in Zukunft diese Frage gar nicht mehr stellt. (mby)

Bachmann electronic GmbH

Dieser Artikel erschien in SPS-MAGAZIN 6 2019 - 12.06.19.
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