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Interview mit Giampiero Frisio, Leiter Business Line Smart Power bei ABB

After-Sales-Möglichkeiten erschließen

Schaltgeräte haben den Schritt in das Zeitalter des Industrial Internet of Things (IIOT) bereits vollzogen. Dies machte auf der zurückliegenden Hannover Messe unter anderem das Angebot am ABB-Stand deutlich. Der SCHALTSCHRANKBAU unterhielt sich auf der weltgrößten Industriemesse mit Giampiero Frisio, Leiter der Business Line Smart Power, unter anderem über die Möglichkeiten, wie Anlagenbauer unter Nutzung der modernen Hard- und Softwarelösungen ihre Zukunftsfähigkeit sichern können.

Bild: ABBBild: ABB
Bild 1 | Die Kompaktleistungsschalter der Tmax XT-Baureihe wurde 2018 in den Markt eingeführt und in diesem Jahr mit dem SCHALTSCHRANKBAU Innovation Award ausgezeichnet.

Herr Frisio, wie nur wenige andere Komponenten in einer Schaltanlage veranschaulichen Schaltgeräte den rasanten Fortschritt im Bereich der Digitalisierung. Weit über ihre ursprüngliche Funktion des Schaltens und Schützens hinaus, sind sie heute aufgrund ihrer integrierten Schnittstellen und Kommunikationsprotokolle z. B. auch für den Nicht-Fachmann einfach zu parametrieren oder übermitteln mittels ihrer Mess- und Analysefunktionen wichtige Informationen über den Anlagenzustand oder die Netzqualität. Wie sehen Sie bei ABB diese Entwicklung und welche Rolle spielen Schaltgeräte Ihrer Ansicht nach im digitalen Zeitalter?

Giampiero Frisio: In jeder elektrischen Energieverteilung hatten Leistungsschalter schon immer eine zentrale Bedeutung, da sie Menschenleben und die Funktionstüchtigkeit der Anlage schützen. Was ihre neue Rolle anbelangt, so verwende ich in diesem Zusammenhang gerne eine Analogie aus dem Consumer-Bereich: Das Mobiltelefon ist seit seiner Geburtsstunde ein wichtiges Hilfsmittel, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Seit es smart geworden ist, hat das Mobiltelefon zahlreiche andere Funktionen gleich mit übernommen und damit viele andere Geräte obsolet gemacht. Um Fotos zu schießen, benötige ich heute keine Kamera mehr, um meine E-Mails abzurufen, muss ich keinen Computer mehr einschalten, oder zum Musikhören muss ich keinen MP3-Player mehr bei mir tragen. Genau diesen Schritt haben wir mit der Einführung unseres ersten intelligenten Leistungsschalters, dem Emax 2, vollzogen: Wir haben ein sehr wichtiges zu einem smarten Gerät gemacht und darin Funktionen implementiert, die ursprünglich von anderen Anlagenkomponenten erledigt wurden. So haben wir z.B. unsere Leistungsschalter ertüchtigt, Mess-, Lastmanagement- oder Gateway-Funktionen zu übernehmen, die Datenqualität zu messen oder die Aufgaben einer einfachen SPS ausführen zu können. Diesen Weg werden wir zukünftig weiter beschreiten.

Ist der allseits beklagte Fachkräftemangel auch ein Faktor, den Sie bei der Entwicklung neuer Funktionen berücksichtigen?

Frisio: Definitiv. Im ersten Schritt war es uns wichtig, das Handling der Hardware so einfach wie möglich zu gestalten sowie zahlreiche Funktionen in die Leistungsschalter einzubetten. Um diese auch nutzen zu können, sind wir nun dabei, gewissermaßen unseren App Store, den ABB Ability Marketplace, aufzubauen. Sollte der Kunde eines Schaltschrankbauers also bei der Bestellung z. B. vergessen haben, dass er gerne die Datenqualität seiner Anlage überwachen möchte, so kann er diese Funktion mit dem Kauf einer bestimmten App bequem nachrüsten.

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Bild 2 | Die Clouplattform ABB Ability Electrical Distribution Control System (EDCS) ist ein Management-System zur Überwachung, Optimierung und Steuerung elektrischer Energieverteilungen.

Wie lange verfolgt ABB bereits dieses modulare Konzept?

Frisio: Bereits mit der Entwicklung unseres ersten intelligenten Leistungsschalters vor vier Jahren, dem Emax 2, haben wir über die Einrichtung eines App Stores nachgedacht. Dieses Konzept haben wir dann im vergangenen Jahr mit der Markteinführung unseres Kompaktleistungsschalters, dem Tmax XT, der ja den SCHALTSCHRANKBAU Innovation Award 2019 gewonnen hat, fortgeführt. Um unseren Kunden bei der Transformation ins digitale Zeitalter optimale Lösungen bieten zu können, statten wir unsere Produkte zunächst mit möglichst viel Intelligenz aus. Ergänzend dazu bieten wir 'Software as a Service', wie z. B. unsere Cloudplattform ABB Ability Electrical Distribution Control System (EDCS), ein Management-System zur Überwachung, Optimierung und Steuerung elektrischer Energieverteilungen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Schaltanlagenbauer, die morgen noch konkurrenzfähig sein möchten, sich dieser Möglichkeiten bedienen und eine Evolution in Richtung Digitalisierung vollziehen müssen. Das heißt ihr Geschäft sollte nicht mit der Auslieferung der Schaltanlage enden, sondern sie täten gut daran, sich Plattformen wie die ABB Ability EDCS zunutze zu machen und neue Geschäftsfelder im Bereich 'After Sales' zu erschließen. So könnten sie z. B. Dienstleistungen in Sachen Energieeffizienzberatung oder vorbeugender Instandhaltung anbieten. Einige unserer Kunden nutzen diese Möglichkeiten bereits, aber das Gros übt sich eher in Zurückhaltung.

Als weltweit tätiges Unternehmen: Beobachten Sie in der Akzeptanz solcher Möglichkeiten regionale Unterschiede?

Frisio: Meiner Beobachtung zufolge sind unsere asiatischen Kunden besonders offen, wenn es um die Erschließung neuer Geschäftsfelder geht. In Europa, vor allem in Zentral- und Südeuropa, haben die Anlagenbauer diesbezüglich eine deutlich konservativere Haltung. In den skandinavischen Ländern ist diese wiederum etwas geringer ausgeprägt.

Mit den neuen intelligenten Produkteigenschaften der Leistungsschalter fällt gleichzeitig eine Unmenge an Daten an. Wie stellt ABB sicher, dass seine Kunden nicht von der Datenflut überschwemmt werden und unkompliziert die kritischen von den unkritischen Daten unterscheiden können?

Frisio: Tatsächlich ist die bereits erwähnte ABB Ability EDCS eine Datenmanagement-Plattform, die nicht nur die Rohdaten sammelt, sondern diese auch auf ihre Relevanz hin analysiert. So kann der Anwender exakt die Daten herausfiltern, die ihn interessieren. Wir bei ABB sind nun allerdings auch in der Pflicht, z.B. dem Schaltanlagenbauer diese Möglichkeiten aufzuzeigen und ihn im Sinne einer effizienten Datennutzung zu trainieren. Auf der diesjährigen Hannover Messe stellen wir darüber hinaus zur Erschließung neuer Geschäftsfelder noch ein Softwareentwicklungs-Kit vor, mit dem etwa der Schaltschrankbauer selbst zum Entwickler werden und seine eigene App für eine bestimmte Applikation kreieren kann. Er kann diese App dann im ABB Ability Marketplace zum Verkauf anbieten und so ein Zusatzgeschäft generieren. Wie bereits gesagt: Ich bin der festen Überzeugung, dass es keine Option ist, diese neuen Möglichkeiten, die natürlich auch eine gewisse Herausforderung darstellen, zu ignorieren. Unternehmen, die sich der Digitalisierung nicht stellen, werden mittelfristig vom Markt verschwinden. Mit ABB Ability bieten wir unseren Kunden ein offenes System, das sie für den Ausbau ihrer Geschäftsfelder nutzen und in das sie auch Lösungen anderer Anbieter mit einbinden können.

Welches zusätzliche Potenzial sehen Sie im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Leistungsschaltern in absehbarer Zukunft?

Frisio: Sicherlich gibt es noch zahlreiche weitere Funktionalitäten, die in Leistungsschalter eingebettet werden könnten. Ad hoc fällt mir etwa die Möglichkeit ein, Daten statt in der Cloud lokal in der Fabrik zu speichern - Stichwort Edge Computing. So wären diese rascher verfügbar, und darüber hinaus käme man Bedenkenträgern entgegen, die sich um die Sicherheit ihrer Daten in einer 'Wolke' sorgen.

ABB Stotz-Kontakt GmbH

Dieser Artikel erschien in SCHALTSCHRANKBAU 4 2019 - 04.07.19.
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