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Von der Think-About-Karte zur Augmented-Reality-Anwendung

Software und Geschäftsmodelle für AR

Ob kürzere Montagezeiten oder neue After-Sales-Dienstleistungen: Augmented Reality bietet neue Möglichkeiten, Prozesse zu vereinfachen. In den Projekten Glass@Service und Across ermitteln Forscher, wie sich die Technologien einfacher integrieren lassen.

Bild: ©ipopba/stock.adobe.com
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Dass der Durchbruch von Augmented Reality in der Industrie bisher ausblieb, hat vor allem zwei Ursachen: Auf der Hardwareseite sind verfügbare AR-Brillen, deren Technologie häufig aus dem Consumer-Bereich stammt, den Anforderungen in der Industrie nicht gewachsen. Auf der Softwareseite stellt die Zusammenstellung von AR-Komponenten und deren verlässliche Einbindung in bestehende IT-Systeme gerade für mittelständische Betriebe eine Herausforderung dar. Mit zwei Projekten des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Technologieprogramms Smart Service Welt wird Vorarbeit für den AR-Einsatz in der Industrie geleistet.

Eine Brille für die Industrie

Im Projekt Glass@Service wurde beispielsweise eine Datenbrille entwickelt, die industrielle Standards hinsichtlich Robustheit, Ergonomie, Arbeitsschutz und Datensicherheit erfüllen kann. Integriert sind etwa Eye-Tracking-Kameras, eine 3D-Tiefenkamera zur Gestenerkennung und eine Szenenkamera. Damit werden neue Interaktionsmöglichkeiten wie Augen- und Gestensteuerung ermöglicht. Mitarbeiter können so z.B. in Dokumenten scrollen oder virtuelle Buttons ansteuern und haben währenddessen beide Hände frei. Das System wurde unter anderem in der Kommissionierung in der Produktion bei Siemens in Fürth erprobt. Außerdem kam die Brille im Siemens-Elektronikwerk Amberg beim Bereitstellen von SMT-Bauteilen und dem Rüsten von Automaten zur Bestückung von Leiterplatten zum Einsatz. Die Lösung wurde dabei mit einer Smartwatch kombiniert, wodurch die Mitarbeiter für anstehende Aufträge benachrichtigt wurden. Am Automaten wurde die auszuwechselnde Bauteilrolle durch AR-gestützte Objektverfolgung visualisiert und über einen kabellosen Barcode-Scanner auf Bluetooth-Basis quittiert. Alle Schritte werden auf der Datenbrille anbgezeigt, wodurch Fehler vermieden werden.

Einfache Entwicklung

Die Entwicklung von AR-Anwendungen zeit- und kosteneffizienter zu gestalten, stand im Fokus des Projekts Across. Die darin entwickelte Plattform soll vor allem mittelständischen Industrieunternehmen Ansätze für die Entwicklung und den Betrieb von AR-Lösungen liefern. Die Plattform ermöglicht es, Softwarebausteine zu erstellen, die verschiedene AR-Komponenten abbilden können. Diese Bausteine können in einer Bibliothek abgelegt und über einen Editor auch ohne Expertenwissen zu einer neuen AR-Anwendung kombiniert werden. Zur einheitlichen Beschreibung der Bausteine wurde eine Referenzarchitektur entwickelt. Der Datenaustausch zwischen der AR-Hardware und den anderen Komponenten basiert auf dem MQTT-Standard. Zum Einsatz kam die Plattform bisher bei der Fehlersuche für Maschinen zur Druckplattenbelichtung. Über die Datenbrille wird den Mitarbeitern eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Instandsetzung eingeblendet. Der Einsatz von externen Servicetechnikern kann so reduziert werden. Auch für die Montage von Baugruppen sind so keine zusätzlichen Papierunterlagen mehr nötig, da Informationen und Anleitungen im Blickfeld eingeblendet werden. Die Dokumentation der Arbeit erfolgt per integrierter Kamera und Sprachsteuerung direkt über die Datenbrille.

Fragen beantworten

Erwägen Unternehmen die Einführung von AR-Technologien, sollten zuerst sinnvolle Einsatzbereiche identifiziert werden. Als Hilfsmittel dafür wurde im Projekt Across ein Katalog mit generischen Anwendungsszenarien erarbeitet. Im Anschluss ist es wichtig, das bestehende Geschäftsmodell mit Blick auf Augmented Reality zu erweitern oder ein neues zu entwickeln. Dabei können sogenannte 'Think about'-Karten behilflich sein, auf denen typische Herausforderungen von AR und exemplarische Lösungsansätze beschrieben sind: Beispielsweise ist der Einsatz von Datenbrillen mit hohen Investitionen verbunden - Leasingmodelle können hier helfen. Auch der Einsatz von alternativen Visualisierungsmöglichkeiten als Brückentechnologie wäre denkbar. Nimmt das AR-Projekt konkrete Formen an, sollten die potenziellen Anwender eingebunden werden. Eine Nutzerbefragung im Rahmen des Projekts Glass@Service ergab etwa, dass digitale Assistenzsysteme eher akzeptiert werden, wenn möglichst wenige Geräte bedient werden müssen. Für geplante After-Sales-Dienstleistungen können solche Befragungen auch dazu genutzt werden, um die eigenen Annahmen über Kunden und deren Erwartungen zu prüfen. Bei der Auswahl der Hardware kommen Bewertungskriterien ins Spiel, die über technische Fähigkeiten hinausgehen. Beispielsweise spielen auch der Tragekomfort, die Ergonomie, die Abmessungen und die Akkulaufzeit eine Rolle. Auch die Wärmeentwicklung sollte nicht unterschätzt werden. Aus diesem Grund wurde im Projekt Glass@Service ein Teil der aktiven Technik an den Hinterkopf verlagert und das Design so gestaltet, dass die Verlustwärme durch Wärmeleitung und Konvektion nicht in Richtung Kopf, sondern an die Umgebung abgeführt wird.

In bestehende Systeme einbinden

Sobald AR-Anwendungen über Demo-Szenarien hinausgehen, müssen sie den Anforderungen an einen Produktiveinsatz genügen. Das macht eine verlässliche und sichere Anbindung an bestehende Systeme wie der ERP-Software notwendig. Die von Glass@Service entwickelte Softwarearchitektur nutzt dafür den Middleware-Ansatz: Die Brille kann über die Middleware abgesichert per WLAN mit verschiedenen Systemen im Unternehmen kommunizieren. Nicht weniger wichtig für den Einsatz ist die Digitalisierung von analogen Dokumenten und Prozessen, was eine andere Art der Informationsdarstellung erfordert. So überlagern einerseits Text- und Sprachinformationen die reale Umgebung. Andererseits sollen Datenbrillen hochkomplexe dreidimensionale Modelle mit Millionen von Polygonen darstellen. Gelingt das, kann betriebliches Wissen innovativ genutzt werden. Im Projekt Across wurde etwa das implizite Instandhaltungswissen von erfahrenen Mitarbeitern in Form sogenannter Fehlerbäume digitalisiert. Damit war es möglich, ihre Expertise standortübergreifend verfügbar zu machen.

Bundesministerium für

Dieser Artikel erschien in INDUSTRIE 4.0-MAGAZIN 18 2019 - 12.09.19.
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