Standardsoftware für Spezialisten
ERP-Systeme mit bis zu 90 Prozent Prozessabdeckung
Obwohl der Anteil individuell programmierter Geschäftssoftware insgesamt rückläufig ist, setzen speziell mittelständische Fertiger noch oft auf Individuallösungen. Dabei gibt es Alternativen, um Unternehmensprozesse weitaus effizienter und risikoloser abzubilden.
Viele Einzel-, Auftrags- und Variantenfertiger in hochspezialisierten Nischenmärkten setzen auf Individualsoftware, um zentrale Geschäftsprozesse wie die Angebotskalkulation oder die Produktionssteuerung abzubilden. Die Beweggründe dafür werden verständlicher, wenn man die dynamischen Geschäftsabläufe dieser Unternehmen mit den vorgegebenen Standardprozessen gängiger ERP-Komplettsysteme übereinanderlegt. Die Schnittmengen sind meist überschaubar. Insbesondere, wenn sich die Business-Logik dieser Softwareprodukte an den Anforderungen der Serienfertigung orientiert, was in neun von zehn Fällen so ist. Spezialisierte Mittelständler finden sich in diesen generalistischen Lösungen bestenfalls eingeschränkt wieder, was dazu führt, dass sie die einigermaßen brauchbaren Teilbereiche individuell anpassen und auf sich zuschneiden müssen. Der limitierende Faktor von Individualsoftware ist dabei weniger ihre Fähigkeit, Branchen- oder Individualprozesse abbilden zu können. Limitierend ist vielmehr die Abhängigkeit von einigen wenigen Wissensträgern im Unternehmen. Fast immer verantworten kleine Teams oder gar Einzelpersonen die Entwicklung von Individualsoftware - entweder sind es Spezialisten aus dem Anwenderunternehmen selbst oder es sind die Mitarbeiter kleiner Ingenieurbüros ohne Bedeutung für den Gesamtmarkt.
Risiko Individualprogrammierung
Diese Abhängigkeit macht die Weiterentwicklung der Systeme zu einem kaum kalkulierbaren Faktor. Wechselt der Softwareentwickler den Arbeitgeber oder geht in den Ruhestand, ist das Wissen meist verloren. Gerade mit Blick auf die exponentiell wachsenden Integrationsanforderungen im Rahmen von Vernetzungsprojekten bedeutet dies einen risikoreichen Weg. Doch ERP-Interessenten insbesondere aus dem Mittelstand bietet sich eine dritte Option. Neben generalistischen bzw. generischen Komplettanbietern und kleinen Programmierbetrieben finden sich speziell auf den Mittelstand spezialisierte Anbieter, die häufig schon seit mehreren Jahrzehnten einzelne Stammmärkte und -branchen bedienen. Diese Fokussierung befähigt sie teils, Prozessabdeckungsgrade von weit über 90 Prozent zu erreichen. Aus Sicht der Anwender kann dies in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft sein. Die auf Branchen spezialisierten Softwareanbieter versorgen eine wachsende Community ähnlich aufgestellter Unternehmen, die sich untereinander austauschen und dem Softwarelieferanten ihre aktuellen Prozessanforderungen ohne große Umwege mitteilen können. Für die jeweilige Branche interessante und notwendige Weiterentwicklungen lassen sich auf dieser breiten Basis viel schneller anstoßen und kostengünstiger finalisieren. Dabei können die Anwender die Entwicklungsrichtung aktiv mitbestimmen und profitieren gemeinschaftlich von neuen Funktionalitäten, die versionsweise in den Softwarestandard einfließen.
Datentausch mit offenen Systemen
Stichwort Standardisierung: Eine aktuell im Fokus stehende Anforderung an moderne ERP-Software gilt zugleich als eine der zentralen Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit mittelständischer Unternehmen: Der Einsatz von Industrie-4.0-Technologie. In diesem Zusammenhang ist vielfach von Standardisierung oder gar Standardisierungsdruck die Rede. Ohne Standardisierung sei eine übergreifende Vernetzung über Branchen und Industriezweige hinweg, zumal unter Einbeziehung von Partnerfirmen, Lieferanten und Kunden, nicht zu realisieren. Diese Annahme ist richtig, sie sollte jedoch nicht dazu führen, sich bei Themen wie Industrie 4.0 und Vernetzung allein auf Industriekonsortien oder die großen Softwarekonzerne und deren Standardisierungsbemühungen zu verlassen. Denn es existieren bereits praktikable Möglichkeiten zum Einstieg in diese Themenbereiche. Was funktionierende Industrie-4.0-Lösungen im Kern brauchen, ist ein standardisierter Informationsaustausch entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Hierzu müssen alle ERP-Anbieter ihre Softwarearchitekturen öffnen, ganz gleich, ob sie sich als Komplett- oder spezialisierte Branchenanbieter verstehen. Bewährt haben sich serviceorientierte Schnittstellen auf XML-Basis. Sie erlauben es den Wertschöpfungsteilnehmern, selbst zu entscheiden, über welche Endgeräte sie jene Daten erfassen oder weiterverarbeiten, die ins ERP-System einfließen. Ist es beispielsweise für mobile Servicetechniker sinnvoll, Materialbuchungen über die Kamera-App ihres Smartphones zu erledigen, dann werden diese Buchungsdaten über eine XML-Schnittstelle ins ERP-System überführt, wo der Auftrag entsprechend belastet, der Materialbestand aktualisiert und die Auftragsdokumentation angepasst wird. All diese Prozesse können vollautomatisiert ablaufen, sobald die zugrundeliegende Buchung in der Zentrale eintrifft. Ebenso wie mobile Devices lassen sich auch Maschinen und andere Produktionskomponenten anbinden.
Kaum ein Standard hilft allen
Als Beispiel dafür, dass eine seit langem bekannte Schnittstelle für den firmenübergreifenden Datenaustausch zwischen ERP-Systemen noch lange nicht als Standard für alle Unternehmen taugt, dient Edifact. Um zu verstehen, wo die Defizite liegen, lohnt ein Blick darauf, in welchen Industriebereichen sich EDI entwickelt hat. Entstanden und groß geworden ist dieses Integrationskonzept in der Serienfertigung, vor allem im Automotive-Bereich. In diesem Umfeld steht den Edifact-Meldungen am meisten belastbare Daten zur Verfügung. Sämtliche Fertigungsinformationen wie Stammstücklisten und Arbeitspläne sind bereits freigegeben und können in den Informationsaustausch einbezogen werden.
Anforderungen in der Einzelfertigung
Völlig anders gestaltet sich die Situation in der Einzelfertigung. Hier müssen die IT-Systeme des Wertschöpfungsnetzwerks zulassen, dass der volle Blick auf das zu fertigende Produkt erst sehr viel später möglich ist. Nicht selten steht das komplette Set an Informationen erst kurz vor der Endmontage zur Verfügung. Zuvor arbeiten die Unternehmen daher mit Auftragsstücklisten, die dem Projektverlauf entsprechend nach und nach heranwachsen. Die für Serienfertiger völlig irrelevante, für Einzelfertiger jedoch massiv prozessbeschleunigende Funktionalität der 'wachenden Stückliste' erlaubt es den Projektpartnern, die Beschaffungs- und Fertigungsabläufe zu einem Zeitpunkt zu starten, an dem die eigentliche Produktentwicklung noch in vollem Gange ist. Hieraus ergibt sich eine Auftragsverarbeitung, bei der die Mehrzahl der Wertschöpfungsprozesse parallel zueinander ablaufen und nicht nacheinander wie in der Serienfertigung. Die Integrationskonzepte der daran beteiligten IT-Systeme müssen mit diesen permanenten Veränderungen umgehen können. EDI hilft vor diesem Hintergrund allenfalls in Ansätzen. Stattdessen kommt es auf ein dynamisches Informationsregime an, das die fertigungsbegleitenden Konstruktionsänderungen fortlaufend erkennt und den unterschiedlichen Wertschöpfungspartnern in Echtzeit aufzeigt, welcher neue Handlungsbedarf auf ihrer Seite gerade entsteht.
Obwohl der Anteil individuell programmierter Geschäftssoftware insgesamt rückläufig ist, setzen speziell mittelständische Fertiger noch oft auf Individuallösungen. Dabei gibt es Alternativen, um Unternehmensprozesse weitaus effizienter und risikoloser abzubilden.
Viele Einzel-, Auftrags- und Variantenfertiger in hochspezialisierten Nischenmärkten setzen auf Individualsoftware, um zentrale Geschäftsprozesse wie die Angebotskalkulation oder die Produktionssteuerung abzubilden. Die Beweggründe dafür werden verständlicher, wenn man die dynamischen Geschäftsabläufe dieser Unternehmen mit den vorgegebenen Standardprozessen gängiger ERP-Komplettsysteme übereinanderlegt. Die Schnittmengen sind meist überschaubar. Insbesondere, wenn sich die Business-Logik dieser Softwareprodukte an den Anforderungen der Serienfertigung orientiert, was in neun von zehn Fällen so ist. Spezialisierte Mittelständler finden sich in diesen generalistischen Lösungen bestenfalls eingeschränkt wieder, was dazu führt, dass sie die einigermaßen brauchbaren Teilbereiche individuell anpassen und auf sich zuschneiden müssen. Der limitierende Faktor von Individualsoftware ist dabei weniger ihre Fähigkeit, Branchen- oder Individualprozesse abbilden zu können. Limitierend ist vielmehr die Abhängigkeit von einigen wenigen Wissensträgern im Unternehmen. Fast immer verantworten kleine Teams oder gar Einzelpersonen die Entwicklung von Individualsoftware - entweder sind es Spezialisten aus dem Anwenderunternehmen selbst oder es sind die Mitarbeiter kleiner Ingenieurbüros ohne Bedeutung für den Gesamtmarkt.
ams.Solution AG
Dieser Artikel erschien in IT&Production ERP CRM Wissen 2019 - 13.12.19.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com