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Reza Razavi von BMW Group über Musterbrüche und den schmerzhaften Prozess des Loslassens

"Erst einmal geht es um das Wollen"

Die digitale Transformation ist eines der beherrschenden Themen der Industrie. Während Newcomern das Potenzial zugeschrieben wird, ganze Branchen umzukrempeln, scheinen viele etablierte Unternehmen unruhig zu werden. Reza Razavi ist Spezialist für Culture and Transformation Management bei BMW und schildert, welche Zielbilder und Konzepte Unternehmen und Mitarbeitern einen Weg durch die Digitalisierung aufzeigen.

Bild: ©Wosilat Fotografie

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Der Autor Reza Razavi befasst sich bei der BMW Group mit den Schwerpunkten Unternehmenskultur und Führung, Wandel und Werte von Organisationen, Transformations- und Changemanagement, gibt dafür intern Culture Workshops und begleitet die Prozesse im Rahmen

Sie befassen sich intensiv mit Transformation - wie definieren Sie diese?

Reza Razavi: Change impliziert, dass sich manches ändert, während vieles gleich bleibt. Im Gegensatz lässt die Transformation eine Zukunft entstehen, die völlig neu ist. Sie hat die Eigenschaft, systemisch zu wirken. Dabei werden die Spielregeln und der Referenzrahmen des Systems selbst verändert. Es geht nicht mehr um eine Verbesserung des Bestehenden, sondern die Organisation, das Geschäftsmodell oder sogar das Weltbild wird neu erfunden. Wenn wir ein Fahrzeug immer besser, schneller, qualitativer und sicherer machen, dann bleibt es letztendlich doch ein Fahrzeug. Wenn wir Mobilität managen wollen, braucht es also andere Herangehensweisen.

Inmitten der digitalen Revolution arbeiten viele Unternehmen noch mit den bewährten Tools. Sie versuchen also, heutige Probleme mit alten Denkweisen zu lösen - doch gerade diese Methoden und Verfahren sind oft Teil des Problems. Wie betrachten Sie den Status Quo?

Razavi: Während wir den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft maßgeblich mitgestaltet haben, stehen Europa und erst recht Deutschland jetzt in der digitalen Transformation nicht so gut da. Die Entwicklung wird maßgeblich von China und den USA bestimmt. Auch wenn hierzulande Top Ingenieurswissen existiert: In Sachen digitales Verständnis sind die Unternehmen nicht gut vorbereitet und die Politik macht wenig. Es fehlen Zukunftsbilder und Visionen. Bisher haben wir in einer Welt des Standards gelebt. Doch jetzt plötzlich werden aus Menschen individuelle Personen mit Vorlieben und Bedürfnissen, wir bewegen uns raus aus dem Durchschnitt und werden sichtbar. Und wir stehen gerade erst am Anfang - das alles hat Auswirkungen auf unsere Identifikation, Kommunikation und Stimmungslage.

Gibt es in den Unternehmen zu viel Blockade?

Razavi: Viele machen sich noch immer keine Vorstellung davon, dass die Dinge massiv anders werden. Und stecken in ihrem konservativen und traditionsverhafteten Rahmen fest. Grund dafür könnte die deutsche Geschichte sein: Kriege, Katastrophen, Leid und Verlust sind die Grundpfeiler. Dass alles so funktioniert, musste man sich erst hart erkämpfen. Dass sich Deutschland nicht von heute auf morgen und ganz spontan und allumfänglich neu erfinden will, ist das Resultat. Ich nehme es keinem Manager übel, dass die Bereitschaft nicht so offenherzig gegeben ist. Schließlich gründet das heutige Ergebnis auf einer Erfolgsstory.

Was also können wir tun, damit die Transformation beginnt und gelingt?

Razavi: Erst einmal geht es um das Wollen. Dann ist es gut, Beobachter zweiter Ordnung zu sein - raus aus dem eigenen System zu treten und sich von außen zu betrachten. Reflexion ist eine fantastische menschliche Eigenschaft. Mache ich die Dinge noch richtig? Wie ist meine Einstellung? Wie sehen meine inneren Bilder aus - auf Kunden, auf Frauen, auf Menschen? Das kann jeder verändern!

Ist das so?

Razavi: Ich habe seit zwei Jahren ein Tier, eine Windhündin. Mein Verhältnis zu Tieren und sogar mein Essverhalten haben sich seither verändert. Ich esse weniger Fleisch - schon gar nicht, wenn ich weiß, dass die Tiere nicht artgerecht behandelt werden. Das ist nur ein Beispiel aus meinem Leben, das eines deutlich macht: Wir sind empathische Lebewesen und können sehr viel sensibler für unsere Umgebung werden. Manchmal sind es ganz kleine Stellschrauben, die schon Veränderungen bewirken. Meine Familie kommt ursprünglich aus dem Iran - ich war geprägt von dieser besonderen Mentalität und Kultur, von gesellschaftlichen Formen und Regeln, bin groß geworden mit bestimmten Ansichten, Meinungen und Verhaltensweisen. Doch ich habe mich geöffnet, weiterentwickelt und tue das jeden Tag aufs Neue - um auch andere Positionen wahrzunehmen, um andere Lebensweisen und Sichtweisen kennenzulernen. Das bietet so viele Chancen und Möglichkeiten. Da hat sich in meinem Kopf vieles getan. Und das kann wirklich jeder schaffen.

Was kommt nach der Selbstreflexion?

Razavi: Die Achtsamkeit - damit meine ich nicht die Suche nach Glückshormonen oder ähnliche esoterische Momente, sondern Kognition, Emotion und Intuition in eine gute Balance zu bringen. Dann sehen wir die Dinge nicht mehr trüb, sondern glasklar. Wir müssen allerdings lernen, uns das zu gönnen. Achtsamkeit heißt auch, einen sensiblen Blick auf sich selbst zu gewinnen. Wie trete ich auf? Bin ich arrogant, behandele Menschen von oben herab oder mache sie sogar fertig? Wenn ich so nicht sein will, kann ich das in eine neue Richtung lenken.

Sie sind ein großer Fan des Gehirnforschers und Quantenphysikers Joe Dispenza. Warum ist das so?

Razavi: Er ist ein genialer Vordenker! Er hat so recht damit, dass wir in unserem Kopf bestimmte Szenarien erzeugen, die wir dann erleben und die zu unserer Zukunft werden. Wenn wir also immer das Identische denken, stärken wir genau diese Pfade, auf dem wir bereits gehen - und werden nie anderswo hin gelangen können. Ich mag seinen Aufruf, dass wir doch mal andere Dinge ausprobieren sollen. Gerade die Europäer denken in dem Schema Entweder-Oder, Gut-Schlecht, Wenig-Viel. Doch besser ist es, eine gesunde Mitte zu finden und in Intervallen zu agieren. Dann sind Dynamik und Fortschritt genauso möglich wie Ruhe und Sicherheit.

Sie zeichnen das Bild von der Transformation wie die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling. Am Ende entfaltet sich etwas Wunderbares. Warum fällt uns Transformation so schwer?

Razavi: Loslassen ist oft genug ein schmerzhafter Prozess. Und das Denken in Optionen fällt nicht jedem so leicht. Der Physiker und Kybernetiker Heinz von Foerster hat einmal gesagt: Handele stets so, dass sich die Zahl deiner Optionen erhöht. Da liegt der Knackpunkt: Wir müssen heute schon überlegen: Was will ich? Anstatt viel zu spät und gezwungenermaßen zu fragen: Was muss ich? Wir sollten jetzt die Wege für die Zukunft ebnen, dann haben wir eine höhere Wahrscheinlichkeit, uns neu zu erfinden.

Wird es das bald das neue Berufsbild des 'Disrupters' geben?

Razavi: Das klingt mir zu sehr nach Zerstörung. Doch die Idee ist richtig: Ein System entwickelt sich erst dann, wenn es irritiert, gestört wird, wenn man raus muss aus Gewohnheiten und bekannten Mustern. Was gestern noch richtig war, kann heute falsch sein. Eine Unternehmenskultur entwickelt sich - erst recht, wenn sie eine gesunde Kultur als Basis hat, so wie ich es bei BMW erlebe. Die Menschen gehen anständig miteinander um. Gleichzeitig ist die Frage gestattet, ob alles, was vor 50 oder 100 Jahren etabliert wurde und seine Berechtigung hatte, noch passt, um lebensfähig zu bleiben. Bei der Transformation geht es also darum, die DNA mitzunehmen - genau wie es der Schmetterling macht.

BMW Group

Dieser Artikel erschien in IT&Production Dezember +Januar 2020 2019 - 13.12.19.
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