Innovation bei der Oberflächenveredelung
Handgalvanik mit RFID-Turbo
Mit RFID-Technologie steuert, überwacht und dokumentiert die JentnerGroup die Produktion auf ihren Galvanisierungsstraßen. Schon im Pilotbetrieb verbesserte das System etwa Durchlaufen, Materialeffizienz und Vor-/Nachkalkulationen deutlich. Genug Gründe für Firmeninhaber Chris Jentner, das digitale Verfahren zum Patent anzumelden.
Bildhaft gesehen wird 'oberflächlich' mit banalem, ungenauem bis hin zu schlampigem Handeln gleichgesetzt. Ganz anders aus der Materialsicht, wo der Beschaffenheit von Beschichtungen eine besonders wichtige Bedeutung zukommt. Das gilt beispielsweise für die Medizintechnik, wenn etwa (mikro-)chirurgische Instrumente unzerbrechlich und abriebfrei, aber auch korrosions- und hitzebeständig sein müssen, dabei nicht haftend und keimresistent, möglichst einfach zu reinigen und für eine effiziente Dampfsterilisation geeignet. Wie hier gibt es auch im Automotive-Umfeld oder - noch deutlicher - in der Luft- und Raumfahrt zudem keine Chance für Nachbesserungen. Aber nicht nur in funktioneller, sondern auch in optischer Hinsicht steht die Oberfläche im wahrsten Sinne des Wortes im Vordergrund. Die Qualität der Veredelung über elektrolytische Verfahren ständig zu optimieren, ist daher ein ganz generelles Anliegen. Gleichzeitig stellt die Galvanik keine Ausnahme dar, wenn es um die gebotene Wirtschaftlichkeit geht. So können nur schlanke, automatisierte und fehlerfreie Produktions- bzw. QS-Verfahren die Wettbewerbsfähigkeit langfristig erhalten. Diese nüchterne Erkenntnis ist bei Chris Jentner vor zwei Jahren zum Entscheid gereift, seinen Veredelungsbetrieb komplett auf RFID-Technologie umzustellen. Der 45-jährige führt seinen in Pforzheim gelegenen gleichnamigen Galvanikbetrieb, der mit 60 Mitarbeitern neben Lohngalvanik von Kleinauftrag bis Massenware auch Kleingalvanisiergeräte und Badchemikalien beispielsweise für die Schmuckbranche anbietet.
Auf zur digitalen Galvanik
Seit gut fünf Jahren ist dort eine eigenentwickelte Betriebsdatenerfassung im Einsatz. Bei der weitgehend händischen Steuerung der Produktionsprozesse werden Barcode-Scanner eingesetzt. Das soll sich jetzt grundlegend ändern: Gemeinsam mit externen IT-Spezialisten tüftelte Jentner an einem PHP-basierenden und damit Betriebssystem-unabhängigen System zur Einbindung von RFID-Technologie. Erste dafür als Auftragsarbeit in Fernost hergestellte Schreib-/Lese-Module erwiesen sich jedoch als untauglich. Probleme gab es vor allem wegen der in der Galvanik üblichen extremen Rahmenbedingungen. Dazu gehören hohe Feuchtigkeit, Temperaturen bis zu 90° C und der Umgang mit ätzenden Säuren und Laugen. Letztlich übernahm ein deutscher Lieferant die Entwicklung der für die Bäder und Bestückungsarbeitsplätze benötigten Antennen und Knotenpunkte; ebenso kommen von dort die RFID-Chips für Gestelle und Trommeln. Im Ergebnis ließ sich ein größerer Abstand zum Produktionsort realisieren: Gut einen halben Meter hinter den Bädern montiert, gewährleisten die RFID-Module dennoch eine sehr präzise und eindeutige Erkennung. Ein in Testläufen auftretendes Problem der Überlappung von Abstrahlfenstern bei direkt nebeneinander liegenden Prozessbädern konnte indes algorithmisch gelöst werden. So verhindert jetzt die Software über programmierte Filtermechanismen unerwünschte Doppelerkennungen, die zu Fehlinterpretationen führen könnten, sichert durchgängig präzise Signallokalisierungen und ordnet diese eindeutig zu.
Funkgestützte BDE
Seit Juli 2019 läuft das System an einer Pilotanlage im Echtbetrieb. Der geschlossene Workflow beginnt mit der Gestellvorbereitung, wo der per RFID-Armband ausgewiesene Bestücker auch im Nachhinein als verantwortlich identifiziert werden kann. An seinem mit RFID-Antenne ausgestatteten Arbeitsplatz wählt er zunächst ein passendes Leergestell aus und scannt mit einem Barcodescanner den Auftragscode, woraufhin im Menü die jeweiligen Artikel angezeigt werden. Nach Bestückung und Mengeneingabe ins System erfolgt die Übergabe der Auftragsdaten an den RFID-Tag des Gestells, wo damit alle relevanten Daten anliegen - Auftrag und Gestell wurden 'verheiratet' und jetzt druckt der Bestücker nur noch für den Galvaniseur einen Begleitzettel aus. Dieser meldet sich daraufhin seinerseits per RFID-Armband im System an, führt die vorgesehenen Vorbehandlungen wie Entfetten oder Beizen durch und initiiert die im Auftrag hinterlegten Beschichtungsdurchläufe.
Tags bringen Einstellungen mit
Im Bad sorgt ein Gleichrichter für die Umwandlung von Wechsel- in die erforderliche Gleichspannung. Vorteil der RFID-basierten Materialflusssteuerung: Musste früher noch ein Produktionsmitarbeiter anhand eines Plans alle Parameter einstellen, sind an diesem heiklen Prozessschritt nun keine händischen Einstellungen mehr nötig. Vielmehr liefert der RFID-Tag am Gestell oder der Trommel alle erforderlichen Anweisungen wie Volt- bzw. Amperewerte und Beschichtungszeiten, um definierte Schichtdicken präzise zu erreichen. Der Gleichrichter verhindert außerdem den Stromfluss, wenn die Werte im Bad nicht zu den im Tag gespeicherten Auftragsdaten passen oder etwa von der dort auch hinterlegten Bäderreihenfolge bei Mehrfachbeschichtungen abgewichen werden soll. "Wir haben Bad, Antenne und Gleichrichter in unserem System zu einer Einheit verschmolzen", sagt Jentner-Prozessingenieur Marcel Scheidig. "Das versetzt uns in die Lage, elementare Parameter der Bäder wie Temperatur, Leitfähigkeit und pH-Wert automatisch über Messfühler zu überwachen und den Gestellen oder Trommeln mit ihren Aufträgen zuzuordnen." Einen großen Vorteil der automatischen Gleichrichter-Einstellung sieht Scheidig aber gerade auch in der hohen Workflow-Effizienz. So lassen sich wechselnde Galvanisierungsdurchgänge mit ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen jetzt zeitsparend wie aus einem Guss abbilden.
Kreislauf geschlossen
Im abschließenden Prozessschritt erfolgt analog zum Bestückungsvorgang das ebenfalls systemgetrackte Entfernen der nunmehr fertig beschichteten Teile von den Gestellen. Die gesammelten Prozessdaten werden daraufhin an Auftragskalkulation (Stichwort: Nachkalkulation auf Knopfdruck), Materiallogistik und Qualitätssicherung übergeben sowie für Optimierungsprozesse unter enger Beteiligung der Mitarbeiter herangezogen. Die erreichte digitale Vernetzung der Produktionsprozesse via RFID hat bei der JentnerGroup einen entscheidenden Wandel eingeläutet. So haben sich die Durchlaufzeiten halbiert, der Einsatz von teurem Edelmetall konnte um zwölf Prozent reduziert und die Liefertreue um 25 Prozent verbessert werden. Bei der errechneten 18-prozentigen Effizienzsteigerung schlagen Anlageplanung und Auslastungsoptimierung, aber gerade auch die Fehlerminimierung zu Buche. "Das System liefert uns wertvolle und detaillierte Einblicke in unsere gesamte Wertschöpfungskette", betont Jentner. "Das Live-Monitoring und die lückenlose Dokumentation aller Produktionsschritte bieten uns wie auch unseren Kunden ein Höchstmaß an Sicherheit, die in dieser Art und Güte für die Handgalvanik einzigartig ist." Durch die Browserfähigkeit des Systems kann dabei der externe Zugriff über quasi jeden Internet-Zugang erfolgen.
Partner gesucht
Die Ergebnisse haben überzeugt - daher rollt Jentner die neue Technologie schrittweise auf insgesamt 120 galvanische Becken sowie 40 Kontroll-, Aufhänge- und QS-Bereiche aus. Inklusive der Entwicklung wird ihn das Projekt bis zur Mitte 2020 erreichten Endausbaustufe rund 750.000 Euro gekostet haben. Darüber hinaus hat der RFID-Pionier sein Verfahren bereits zum Patent angemeldet. Aktuell sucht er noch Partner, die mit ihm gemeinsam das System weiterentwickeln und auf dem Galvanikmarkt anbieten. Jentners Ziel ist es, einen Industriestandard zu setzen: Kein Auftraggeber soll sich mit weniger Qualität und Transparenz zufrieden geben. Schlussendlich könnte jede Handgalvanik, die auf den RFID-Zug aufspringt, einen gewichtigen Wettbewerbsvorteil in ihre Amortisationsberechnung einfließen lassen.
Mit RFID-Technologie steuert, überwacht und dokumentiert die JentnerGroup die Produktion auf ihren Galvanisierungsstraßen. Schon im Pilotbetrieb verbesserte das System etwa Durchlaufen, Materialeffizienz und Vor-/Nachkalkulationen deutlich. Genug Gründe für Firmeninhaber Chris Jentner, das digitale Verfahren zum Patent anzumelden.
Bildhaft gesehen wird 'oberflächlich' mit banalem, ungenauem bis hin zu schlampigem Handeln gleichgesetzt. Ganz anders aus der Materialsicht, wo der Beschaffenheit von Beschichtungen eine besonders wichtige Bedeutung zukommt. Das gilt beispielsweise für die Medizintechnik, wenn etwa (mikro-)chirurgische Instrumente unzerbrechlich und abriebfrei, aber auch korrosions- und hitzebeständig sein müssen, dabei nicht haftend und keimresistent, möglichst einfach zu reinigen und für eine effiziente Dampfsterilisation geeignet. Wie hier gibt es auch im Automotive-Umfeld oder - noch deutlicher - in der Luft- und Raumfahrt zudem keine Chance für Nachbesserungen. Aber nicht nur in funktioneller, sondern auch in optischer Hinsicht steht die Oberfläche im wahrsten Sinne des Wortes im Vordergrund. Die Qualität der Veredelung über elektrolytische Verfahren ständig zu optimieren, ist daher ein ganz generelles Anliegen. Gleichzeitig stellt die Galvanik keine Ausnahme dar, wenn es um die gebotene Wirtschaftlichkeit geht. So können nur schlanke, automatisierte und fehlerfreie Produktions- bzw. QS-Verfahren die Wettbewerbsfähigkeit langfristig erhalten. Diese nüchterne Erkenntnis ist bei Chris Jentner vor zwei Jahren zum Entscheid gereift, seinen Veredelungsbetrieb komplett auf RFID-Technologie umzustellen. Der 45-jährige führt seinen in Pforzheim gelegenen gleichnamigen Galvanikbetrieb, der mit 60 Mitarbeitern neben Lohngalvanik von Kleinauftrag bis Massenware auch Kleingalvanisiergeräte und Badchemikalien beispielsweise für die Schmuckbranche anbietet.
Jentner Plating Technology GmbH
Dieser Artikel erschien in IT&Production Dezember +Januar 2020 2019 - 13.12.19.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com