Digitalisierung in der Praxis
Geschäftsmodelle im Wandel
Der Trend der Digitalisierung ist keinesfalls neu. Internet of Things (IoT) und Industrie 4.0 werden mittlerweile in fast jedem Unternehmen thematisiert. Künstliche Intelligenz und Machine Learning stehen zwar noch in den Startlöchern, aber die ersten erfolgreichen Implementierungen haben bereits stattgefunden.
Die Vorteile des IoT liegen hauptsächlich darin, dass Informationen in Echtzeit vorliegen. Dadurch kann auch in Echtzeit reagiert werden. Ein Trend, der daraus entsteht: Immer mehr erfolgreiche Muster aus der digitalen Welt werden auf die physische Welt übertragen.
Veränderung im Kundenverhalten
2017 raste Hurrikan Irma auf die USA zu. Die maximale Reichweite eines Teslas betrug zu diesem Zeitpunkt 320km - via Over-The-Air Update hatte jeder Tesla-Fahrer für einen Monat 60 Zusatzkilometer pro Ladung bekommen. Das war möglich, weil Tesla in jedem Auto einen 75kWh-Akku verbaut, aber nur einen 60kWh-Akku verkauft hatte. Das Beispiel verdeutlicht gut, wie Tesla auf ein außerordentliches Event, in dem Fall den Hurrikan Irma, in Echtzeit reagiert hat. Die zusätzlichen 15kWh-Akkus waren von Anfang als digitales Add-on geplant. Auch wenn Tesla diese Aktion eher als Imagekampagne genutzt und die gebotene Zusatzleistung nicht monetarisiert hat, lässt sich erahnen, dass sicher ein Teil der Kunden auch bereit gewesen wäre, für die 60 Mehrkilometer zu zahlen. Ausgangslage solcher Lösungen ist meistens eine starke Veränderung im Kundenverhalten. Die Einführung von Elektroautos führte genau zu so einer Veränderung. Das Befüllen der Akkus in Elektroautos ist heute bei Weitem noch nicht komfortabel. Zum einen ist die Verfügbarkeit von Ladesäulen geringer als die von herkömmlichen Tankstellen, zum anderen ist der Zeitaufwand hoch. Somit entstehen neue Kundenbedürfnisse: zum einen ein Bedürfnis nach mehr Kilometerleistung und zum anderen nach einer schnelleren Ladegeschwindigkeit. Durch das IoT kann eines dieser Kundenbedürfnisse dann adressiert werden, wenn es relevant ist, hier im Falle einer Umweltkatastrophe. Die gezielte Ausarbeitung und Monetarisierung der geänderten Bedürfnisse ist eine Chance, neue Geschäftsmodelle umzusetzen, die es erlauben, sich stärker und langfristiger von der Konkurrenz abzusetzen, als es reine Produkt- oder Prozessinnovationen erlauben würden. Ein weiterer Vorteil digitaler Lösungen ist die Skalierbarkeit.
IoT-Plattformen und digitale Wertschöpfung
Elektroautos sind im Vergleich zu Autos mit Verbrennungsmotor relativ neu. Als Folge dessen ist klar, dass die oben beschriebene Infrastruktur von Tankstellen der elektronischen Ladeinfrastruktur noch überlegen ist. Ähnliches gilt übrigens für Unternehmen. Ein produzierendes Unternehmen besitzt automatisierte Produktionsstraßen, effiziente Logistikprozesse sowie hoch qualifizierte Mitarbeiter und Experten. Wenn es aber darum geht, neue Technologien einzuführen oder digitale Geschäftsmodelle zu etablieren, kommt es häufig zu Problemen. Das hat viele Gründe. Zum einen ist die notwendige Traktion nicht vorhanden: Es gibt noch keine zuverlässigen Partner, mit denen man seit Jahren zusammenarbeitet, und oftmals fehlen auch die notwendigen Fähigkeiten bei den eigenen Mitarbeitern, die benötigt werden, um erfolgreiche digitale Lösungen einzuführen. Da für viele Unternehmen die IT eine sekundäre, unterstützende Rolle spielt, bringen digitale Geschäftsmodelle noch weitere Veränderungen und Anforderungen mit sich. Denn bei diesen liegt der Kern der Leistungserbringung bei der IT und ist damit automatisch im Fokus der Implementierungsbemühungen. Dabei wird häufig übersehen, dass das nicht zwangsläufig bedeutet, dass die IT auch im Kern des Nutzenversprechens liegt. In diesen Fällen entwickeln Unternehmen typischerweise am Kunden vorbei - damit entstehen technisch beeindruckende Leistungen, die jedoch am Markt nicht honoriert werden. So existieren bereits hunderte IoT-Plattformen für die Realisierung von Industrie 4.0. Jede Plattform besticht durch das ein oder andere spezielle Feature. Zu Beginn ist jedoch meist nicht bekannt, was mit den Daten überhaupt erreicht werden soll. Geht es nur darum, dezentrale Daten zu erfassen und an einer zentralen Stelle zu sammeln und zu visualisieren? Oder soll beim Überschreiten gewisser Schwellwerte ein Prozess ausgelöst werden, wie z.B. die automatische Bestellung von Verschleißteilen oder eine automatische Benachrichtigung an ein Service-Team? Vielleicht ist das Ziel aber auch, auf Basis der Daten und mit Hilfe künstlicher Intelligenz Vorhersagen zu treffen. Im Idealfall entsteht sogar ein digitales Geschäftsmodell.
Digitale Wertschöpfung in der Praxis
In einem Beispiel wurden Rollcontainer digitalisiert, um dem Ziel einer papierlosen Fabrik näherzukommen. Bei der Implementierung hat sich herausgestellt, dass sich aus den generierten Daten ebenfalls die ungefähr zurückgelegte Strecke je Rollcontainer berechnen lässt. Aus diesen Werten konnten die Wartungskosten dieser Container um 30 Prozent gesenkt werden. Das war zu Beginn des Projektes aber in keiner Weise im Fokus. Führt man eine Plattform zur Realisierung von Industrie 4.0 ein, geht es meist um eine ganzheitliche Neuausrichtung der Wertschöpfung. Dabei setzt Industrie 4.0 auf die Integration von Elementen entlang der Wertschöpfungskette (horizontale Integration), auf die datengestützte Integration der Ingenieurleistungen (End-to-End-Engineering) sowie die Integration der Ebenen innerhalb eines Unternehmens (vertikale Integration). Durch die Umsetzung dieser drei Konzepte soll letztendlich der Zielzustand einer intelligenten Fabrik bzw. Smart Factory erreicht werden. Das Potential der Smart Factory geht jedoch weit über das Automatisieren und reine Managen von Produktionsprozessen hinaus. Die vollintegrierten und umfassend vernetzten Produkt/Produktions/Service-Systeme bieten das Potenzial für Technologiesprünge und neue Geschäftsmodelle. Der Automatisierungsgrad in der Produktion ist heute bereits weit fortgeschritten, die übergreifende Vernetzung von Produktionsanlagen dagegen ist häufig kaum bis gar nicht vorhanden.
Entwicklung einer skalierbaren Lösung
Unternehmen denken oft in Produkten und nicht in Geschäftsmodellen. Meist wird dann nach einem Produkt gesucht, das die gewünschten Features besitzt, anstatt über potenzielle Geschäftsmodelle nachzudenken. Die technische Evaluation ist auch mit zeitlichem Aufwand verbunden. Ist dann die Plattform gefunden und implementiert, gilt das Projekt als erfolgreich. Die entgangenen Opportunitätskosten werden gar nicht erst betrachtet. Kleine Erfolge werden immer erreicht, ob aber auch eine Lösung entsteht, die so einen hohen Nutzen für Kunden hat, dass diese auch bereit sind, dafür zu bezahlen, bleibt fraglich. Und entsteht tatsächlich ein profitabler Service, befinden sich Unternehmen in Abhängigkeit und die Weiterentwicklung ist ein kleiner Teil auf der Roadmap des Produktanbieters. Ein Wechsel wäre dann zwar sinnvoll, aber auf der einen Seite schrecken die hohen Wechselkosten ab und auf der anderen Seite wäre das ursprüngliche Implementierungsprojekt dann ein Fehlschlag statt ein Erfolg. Um das zu umgehen, ist es entscheidend, die technischen Aspekte genau so effektiv und zielgerichtet zu entwickeln, wie für die Beantwortung der in der jeweiligen Phase kritischsten Annahmen benötigt wird. Denn während es bei existierenden Plattformen vor allem darum geht, ein modulares, aber vor allem standardisiertes Produkt zu verkaufen, rückt die individuelle Entwicklung das Wie und Was in den Vordergrund: Was soll den Kunden angeboten werden? Warum ist das sinnvoll und profitabel? Was sind die wichtigsten Elemente? Das führt dazu, dass aus technischer Sicht bereits in ähnlichen Bahnen gedacht wird wie für das Geschäftsmodell an sich. Damit werden nur die Services und Funktionalitäten implementiert, die nachweislich vom Kunden gewünscht wurden. Gleichzeitig besteht, im Gegensatz zur Implementierung einer vollwertigen Plattform, die Möglichkeit, das Projekt bei entsprechender Rückmeldung der Kunden vorzeitig zu stoppen. Das ist mit geringeren Kosten verbunden, als eine vollwertige Lösung einzukaufen, und lässt vor der Skalierung die Möglichkeit zu, auf eine dann nachweislich passende, existierende Lösung zu wechseln oder, falls diese nicht existiert, die eigene Lösung entsprechend skalierbar zu gestalten.
Wandlungsdruck durch Megatrends
In der Textilbranche war es früher üblich, vier Kollektionen pro Jahr zu führen. Zara hat dann den Begriff Fast Fashion eingeführt und perfektioniert: Das Unternehmen kann innerhalb von drei Wochen eine neue Kollektion auf den Markt bringen. Dass das im Sinne der Kunden ist, beweist der rasante Kursanstieg der Inditex-Aktie (Dachfirma von Zara). Dem Unternehmen gelang es, den Wunsch der Konsumenten nach den aktuellsten Outfits gezielt zu befriedigen. Das Vorpreschen von Zara hat die komplette Modeindustrie unter Druck gesetzt. Das wiederum zwingt auch etliche Zulieferer, ihre Aufträge innerhalb weniger Tage statt Monate zu bedienen. Einer dieser Zulieferer hat das wiederum zum Anlass genommen und seine neue Smart Factory transparent für Kunden gemacht. So können Kunden nun flexibel über ein Web Frontend bestellen. Grundlage ist ein Yield-Management-System, ähnlich wie es bei Airlines der Fall ist. Je nach Menge und Lieferzeit und in Abhängigkeit von freien Kapazitäten verändert sich in Echtzeit der Preis. Kunden können nun selbst entscheiden, ob sie auf einen Trend reagieren wollen und für die massiv verkürzte Lieferzeit einen entsprechenden Aufpreis zahlen oder nicht. Da das System mit der Fabrik verbunden ist, werden die Parameterkonfigurationen automatisch an die entsprechenden Maschinen versandt und im Produktionsprozess entsprechend nach vorne oder hinten verschoben, je nach Dringlichkeit, eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Der Kunde bekommt seine Ware in verkürzter Zeit und der Zulieferer wird dafür belohnt, indem er im Idealfall den doppelten Preis erhält. Die Zahlung ist direkt an den Kundennutzen gekoppelt.
Der Trend der Digitalisierung ist keinesfalls neu. Internet of Things (IoT) und Industrie 4.0 werden mittlerweile in fast jedem Unternehmen thematisiert. Künstliche Intelligenz und Machine Learning stehen zwar noch in den Startlöchern, aber die ersten erfolgreichen Implementierungen haben bereits stattgefunden.
Die Vorteile des IoT liegen hauptsächlich darin, dass Informationen in Echtzeit vorliegen. Dadurch kann auch in Echtzeit reagiert werden. Ein Trend, der daraus entsteht: Immer mehr erfolgreiche Muster aus der digitalen Welt werden auf die physische Welt übertragen.
Blu Beyond Gmbh
Dieser Artikel erschien in SPS-MAGAZIN 2 März 2020 - 03.03.20.Für weitere Artikel besuchen Sie www.sps-magazin.de