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Fließender Fokus

Flüssiglinsen-Technologien im Vergleich

Flüssiglinsen ermöglichen innerhalb von Millisekunden die reproduzierbare Fokussierung von Objekten bei unterschiedlichen Arbeitsabständen. Im Beitrag werden die beiden führenden Technologien Elektrobenetzung und formveränderte Polymerlinsen vorgestellt sowie Vorteile und anwendungsseitige Grenzen diskutiert.

Bild: Corning IncorporatedBild: Corning Incorporated
Funktionsweise Varioptic Linse: Wasser-Öl Grenzfläche ohne angelegte Spannung (l.). Durch Anlegen der Spannung (r.) vergrößert das Wasser seine Oberfläche zur Ringelektrode. Das Öl wird zur Mitte hin verdrängt, so dass sich der Krümmungsradius der Grenzfl

Bild: Edmund Optics GmbHBild: Edmund Optics GmbH

Bild: Optotune AGBild: Optotune AG
Funktionsweise Optotune Linse: Linse im stromlosen Zustand (l.). Ein konstanter Strom durch den Aktuator führt zu einem konstanten Druck auf den Container (r.). Die Krümmung der Membran passt sich der Druckänderung an.

Elektrobenetzung

Die Form eines Wassertropfens auf einer Metalloberfläche wird definiert durch das Verhältnis der Oberflächenspannungen der beteiligten Medien: Wasser, Metall und Luft. Erzeugt man durch das Einführen einer isolierenden Schicht zwischen Metall und Wassertropfen eine Kondensator-ähnliche Struktur und legt eine Spannung zwischen Wasser und Metall an, beobachtet man, dass sich die Form des Tropfens verändert. Mit höherer Spannung strebt der Wassertropfen danach, seine Kontaktfläche zum Metall zu vergrößern. Er wird somit flacher, der Krümmungsradius des Tropfens ändert sich. Der Effekt, dass sich die Benetzungseigenschaft einer Flüssigkeit auf einer Oberfläche mit elektrischen Feldern manipulieren lässt, nennt sich Elektrobenetzung.

Corning Varioptic Flüssiglinsen basieren auf einer versiegelten Zelle mit zwei unmischbaren Flüssigkeiten: einer Wasserlösung und einem elektrisch nicht-leitenden Öl. Die Flüssigkeiten unterscheiden sich in ihrem Brechungsindex, wodurch sich eine Brechkraft ergibt, sobald deren Grenzfläche gekrümmt ist. Beide Flüssigkeiten müssen allerdings identische Massendichten vorweisen. Nur so ist eine sphärische Grenzfläche zwischen den beiden Flüssigkeiten und eine Resistenz bezüglich negativen Einflüssen durch Schwerkraft, Vibrationen und Erschütterungen gewährleistet. Über den Elektrobenetzungseffekt kann durch Variation einer angelegten Spannung die Grenzfläche der beiden Flüssigkeiten manipuliert werden. Veränderungen des elektrostatischen Drucks, der auf die leitende Wasserlösung ausgeübt wird, führen zu einer Änderung des Krümmungsradius der Öl-Wasser Grenzfläche. Dieser Prozess läuft ohne nennenswerte Hysterese innerhalb von 10 bis 50ms ab, und ist für mehr als eine Milliarde Zyklen reproduzierbar. Aufgrund des Kondensator-ähnlichen Aufbaus verbrauchen die Corning Varioptic Flüssiglinsen nur sehr wenig elektrische Leistung, sodass sie auch für batteriegetriebene, mobile Geräte geeignet sind. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich durch den Betrieb der Linse keine Temperaturänderungen ergeben, und somit Veränderungen in der Brechkraft aufgrund von selbst-induzierten thermischen Effekten ausbleiben.

Als herausfordernd erweist sich allerdings, dass die elektrostatische Kraft, welche die Veränderung der Flüssigkeitsgrenzfläche hervorruft, verhältnismäßig schwach ist. Um die Form einer Flüssiglinse zu manipulieren, sind daher hohe Spannungen notwendig, was zu einer Begrenzung der Größe der Flüssiglinsen führt. Derzeit bietet Corning Varioptic drei Autofokuslinsen mit freien Aperturen an (1,6, 2,5 und 3,9mm), welche bei Spannungen von ca. 50 bis 60V betrieben werden. Es stehen verschiedene Treiber zur Verfügung, welche die Spannung bereitstellen. Während die kleinen Aperturen den Einsatz dieser Flüssiglinsen in manchen Anwendungen ausschließt, bieten sie aber den Vorteil, dass sich durch Schwerkraft induzierte Abbildungsfehler im Rahmen halten. Somit ist kaum ein Unterschied in der Bildqualität erkennbar, unabhängig davon, ob man die Linse horizontal oder vertikal betreibt.

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Bild 2 | Funktionsweise Varioptic Linse: Wasser-Öl-Grenzfläche ohne angelegte Spannung (l.). Durch Anlegen der Spannung (r.) vergrößert das Wasser seine Oberfläche zur Ringelektrode. Das Öl wird zur Mitte hin verdrängt, so dass sich der Krümmungsradius de

Formveränderbare Polymerlinsen

Die Produkte von Optotune basieren auf einem mit Flüssigkeit gefüllten Container, der durch eine elastische Polymermembran versiegelt ist. Über einen Aktuator-gesteuerten Ring wird ein Druck auf die Membran ausgeübt, wodurch über den Krümmungsradius - und somit die Brennweite der Linse - die Steuerung der Linse erfolgt. Die elektronisch angesteuerten Linsen reagieren innerhalb von einigen Millisekunden, sind ebenfalls weitestgehend hysteresefrei und arbeiten reproduzierbar über mehr als eine Milliarde Zyklen. Da sie auf stromgesteuerte Aktuatoren zurückgreifen, benötigen sie eine niedrige Betriebsspannung von ca. 5V. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, unterschiedliche Flüssigkeiten zu verwenden. Optotune bietet beispielsweise eine Flüssigkeit mit sehr niedriger Dispersion (Abbezahl ~100), mit welcher praktisch keine chromatischen Aberrationen induziert werden. Es gibt Linsen mit freien Aperturen von 6, 10 oder 16mm.

Den vergleichsweise großen Aperturen stehen allerdings auch Herausforderungen gegenüber. Beim vertikalen Betrieb der Linsen (optische Achse horizontal), führen durch die Schwerkraft verursachte Verformungen der Linse zu Koma-Aberrationen, welche die Bildqualität reduzieren. In welchem Maß dieser Effekt auftritt und kompensiert werden kann, hängt mit der Linsengröße, der Dichte der Flüssigkeit sowie der Membranelastizität zusammen und wurde von Optotune detailliert charakterisiert. Der RMS-Wellenfrontfehler wurde quantitativ erfasst und ist für die individuellen Produktreihen in den jeweiligen Datenblättern zu finden. Da Optotune Linsen tatsächlich elektrische Leistung verbrauchen, ist zu beachten, dass es auch in temperaturkontrollierten Umgebungen zu thermischen Effekten kommen kann, die sich auf die Brechkraft der Linse auswirken. Daher sind die meisten Optotune Produkte mit einem integrierten Temperatursensor ausgestattet. In Kombination mit einer im EEPROM gespeicherten Kalibration lassen sich die Temperaturdrift-bedingten Brechkraftänderungen auf bis zu 0,1 Dioptrien reduzieren, was typischerweise innerhalb der benötigten Tiefenschärfe liegt und somit in der Regel keinen Nachteil darstellt.

Fazit und Ausblick

Die bisherigen Bedenken bei Flüssiglinsen bezüglich Robustheit und Schwerkraft sind nicht länger kritisch. Die Produkte beider Hersteller sind hinreichend charakterisiert, und die relevanten Spezifikationen liegen vor. Durch Temperaturschwankungen induzierte Brennweitenänderungen (und somit Unschärfe) bleiben ein Thema, dem man je nach Anwendung Beachtung schenken sollte. Auf der einen Seite bieten nicht alle Produkte die Möglichkeit einer aktiven Kompensation, auf der anderen Seite ist das aber auch nicht für alle Anwendungen notwendig. Das Portfolio an Objektiven mit integrierten Flüssiglinsen ist derzeit noch nicht vollständig, wächst aber stetig. S- oder C-Mount Objektive mit verschiedenen Festbrennweiten sind von mehreren Herstellern für Sensoren bis zu 1,1" als Standardartikel erhältlich (sowohl mit Optotune als auch Corning Varioptic). Ebenso sind ca. 28 verschiedene telezentrische Objektive auf dem Markt (meist mit Optotune). Auch für die Mikroskopie gibt es verschiedene Produkte von mehreren Herstellern.

Die größten Hürden beim Thema Flüssiglinsen finden sich nach wie vor bei der Integration. Entsprechend gibt es hier viele Entwicklungen, nicht nur von den Flüssiglinsenherstellern selbst. So haben die Kamerahersteller IDS und Pixelink die Treiber für die Corning Varioptic Flüssiglinsen in ihren neuen Autofokus-Kameras integriert. Die Ansteuerung ist über die jeweilige Standardsoftware möglich. Optotune arbeitet bezüglich der Treiber mit Gardasoft zusammen. Es gibt mehrere Möglichkeiten die Flüssiglinsen anzusteuern. Die neueste Generation Flüssiglinsen hat die Treiber bereits in der Linse selbst integriert. Lediglich ein Hirose-Kabel ist hardwareseitig noch notwendig. An dieser Stelle sei auch noch der neue OOCI Standard des EMVA erwähnt. Dort wird derzeit daran gearbeitet, eine standardisierte Schnittstelle zwischen Objektiv und Kamera festzulegen. Neben klassischen Themen wie der Ansteuerung der Blende oder des Zooms geht es dabei auch um die Ansteuerung von Flüssiglinsen.

Edmund Optics GmbH

Dieser Artikel erschien in inVISION 1 (März) 2020 - 17.03.20.
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