Additive Fertigung und digitale Dienste bei Mapal
"Komplexität und lange Projekte schrecken Kunden ab"
Der Werkzeughersteller Mapal überführt digitale und analoge Innovationen oft sehr früh in marktreife Produkte. Das neue Glockenwerkzeug ließe sich zum Beispiel ohne additive Fertigung gar nicht herstellen. Wie Entwicklungsarbeit mit aktueller Technik funktioniert, hat uns Dr. Dirk Sellmer erzählt, Vice President Research & Development bei Mapal. Wobei er sich für unsere Fragen zur IT-Ausgründung C-Com Giari Fiorucci dazugeholt hat.
Ein Beispiel ist Ihr kürzlich vorgestelltes Glockenwerkzeug, das auf selektives Laserschmelzen setzt, um Gewicht zu sparen. Was bringt das - und was ist überhaupt ein Glockenwerkzeug?
Dr. Dirk Sellmer: Ein Glockenwerkzeug ist ein Werkzeug zur Außenbearbeitung. Es kommt unter anderem bei der Fertigung von Schlauchanschlüssen zum Einsatz. Diese Anschlüsse sind beispielsweise an Turboladern zu finden. Sind die Konturanforderungen an solche Anschlüsse komplex, ist eine hochpräzise Fertigung vonnöten. Auf solche Anforderungen haben wir das Glockenwerkzeug optimal angepasst. Im Fall des Glockenwerkzeugs haben wir innere Hohlräume eingebracht, die für das geringere Gewicht sorgen. Dadurch wird das sogenannte Kippmoment des Werkzeugs reduziert. Je länger und schwerer ein Werkzeug ist, desto weiter wandert der Werkzeugschwerpunkt vom Maschinengreifer des Werkzeugwechslers weg. Das Kippmoment wird größer. Maschinen haben in der Regel ein maximal zulässiges Kippmoment. Möchten Kunden also eine Bearbeitung auf einer kleineren und damit kostengünstigeren Anlage umsetzen, benötigen sie entsprechend leichte Werkzeuge. Werkzeuge mit geringerem Gewicht erzeugen darüber hinaus weniger Schwingungen. In Summe ist bei dem additiv gefertigten Glockenwerkzeug die rotierende Masse geringer und die inneren Hohlräume haben eine dämpfende Funktion. So können höhere Schnittdaten realisiert werden, was wiederum zu einer kürzeren Bearbeitungszeit führt. Die additive Fertigung ermöglicht es aber nicht nur, Werkzeuge deutlich gewichtsärmer zu gestalten. Sie sorgt zudem für geometrische Freiheit. Entsprechend haben wir die Kühlmittelführung optimal gestaltet, was konventionell so nicht möglich gewesen wäre.
Wie verändert sich der Prozess der Preisfindung und der Vertrieb bei solchen Produkten? Vertraut Ihr Markt den Leistungsversprechen, die mit dem 3D-Druck einhergehen?
Sellmer: Wir fertigen Werkzeuge oder Spannfutter nur dann additiv, wenn sich dadurch ein klarer technologischer Mehrwert für den Anwender erschließen lässt. Denn letztendlich möchten unsere Kunden keine besonders innovativ gefertigten Werkzeuge, sondern Lösungen für ihre Anforderungen. Die additive Fertigung ist für uns Mittel zum Zweck.
Stetige Innovation gilt in vielen Firmen als Schutzschirm im weltweiten Wettbewerb. Lassen sich Produkte wie Ihre Glockenwerkzeuge wirksam gegen Plagiate schützen?
Sellmer: Für uns ist der wirksamste Schutzschirm unsere Fertigungserfahrung. Wir haben uns seit 2013 umfassendes Know-how rund um das Produzieren von Werkzeugen und Spannfuttern mit dem 3D-Drucker aufgebaut. Um wirtschaftlich und in entsprechender Qualität additiv zu fertigen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, die mit dieser Erfahrung zu tun haben. Mehrheitlich fertigen wir Sonderlösungen für unsere Kunden additiv. Bei diesen Lösungen sind neben dem Know-how zur additiven Fertigung auch unser tiefes Werkzeug- und Zerspanungswissen gefragt.
Wandeln sich die Anforderungen an Konstrukteure? Ist die Ingenieursausbildung noch zeitgemäß?
Sellmer: Für Konstrukteure ist ganz klar ein Umdenken von der konventionellen Fertigung hin zum 3D-Druck erforderlich. Die additive Fertigung bietet zahlreiche neue Möglichkeiten, wie die belastungsgerechte Konstruktion oder nahezu 100 Prozent Materialausnutzung. Sie hat aber auch Grenzen, wie die Genauigkeit der erzeugten Oberfläche oder die realisierbare Fertigungsgeschwindigkeit. Nur wer sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen kennt und Werkzeuge entsprechend auslegt, kann das große Potenzial erfolgreich bei der Entwicklung von Produkten einsetzen. Hier beobachten wir, dass sich auch die Hochschulen und Universitäten auf die neue Fertigungsart einstellen und ihr Vorlesungsangebot dahingehend erweitern und anpassen. Denn Ingenieure müssen sich mit neuen Disziplinen wie bionischem Design und Topologieoptimierungen auseinandersetzen, um Mehrwerte in neue Konstruktionen implementieren zu können.
In welche Strategie ist das Innovationsmanagement bei Mapal eingebettet? Vor welchen Herausforderungen steht Ihr Product Lifecycle Management?
Sellmer: Historisch bedingt ist der Anteil an Sonderwerkzeugen am Gesamtvolumen unserer Produkte immer noch groß. Allerdings hat sich Mapal vom Nischenanbieter mit Sonderwerkzeugen für wenige Branchen zu einem Komplettanbieter entwickelt, der viele Branchen bedient. Für unsere Sonderwerkzeuge haben wir einen sogenannten Lösungsbaukasten, der mit entsprechendem Know-how auf die Kundenanwendung angepasst wird. Für die einzelnen Elemente dieses Baukastens gibt es in der Regel sehr lange Produktlebenszyklen. Das einzelne Sonderwerkzeug hingegen lebt genauso lang wie das damit produzierte Bauteil. Selbstverständlich erfolgen bei langen Laufzeiten immer wieder Upgrades und Anpassungen, damit der Prozess unserer Kunden beispielsweise schneller und sicherer wird. Bei Standardwerkzeugen, die Mapal inzwischen flächendeckend anbietet, herrschen andere Voraussetzungen. Hier sind die Lebenszyklen wesentlich kürzer und der Wettbewerb ungleich höher.
Mit welchen Engineering-Tools arbeiten Ihre Spezialisten?
Sellmer: Wir setzen je nach Anwendung und Produkt ganz unterschiedliche Tools ein. In der Produktauslegungs- und Konstruktionsphase verwenden wir beispielsweise Topologieoptimierungs- und FEM-Strukturanalysetools. Für die Fertigung greifen wir auf Prozesssimulationen und Prozessüberwachungen zurück.
Wenn Sie den Softwareherstellern etwas in den Anforderungskatalog für Ihr nächstes Release schreiben könnten, was würde dort stehen?
Sellmer: Ich spreche jetzt vor allem die Softwareentwickler der Anlagenhersteller an. Um höhere Bauraten zu generieren, geht der Trend in den vergangenen Jahren zu Multi-Laseranlagen. Das bringt bei großvolumigen Bauteilen deutliche Produktivitätssteigerungen. Im Zusammenhang mit den geringen Bauteilvolumina und filigranen Strukturen in unseren Leichtbauwerkzeugen können wir diese Produktivität oft nicht ausnutzen. Es ergeben sich kritische Situationen aufgrund des Wärmemanagements während des Bauprozesses. Diese werden durch längere Abkühlphasen zwischen den Aufschmelzphasen der einzelnen Schichten ausgeglichen. Der Produktivitätsgewinn reduziert sich dadurch deutlich. Die Zuordnung der unterschiedlichen Laserparameter innerhalb eines Bauteils wäre für uns von großem Vorteil. Durch Variation von Schichtstärken und Laserparametern könnten wir größere Bauteilbereiche wesentlich schneller und filigrane Bereiche hingegen mit höherer Qualität bauen. Momentan ist dies nur mit einem wesentlich erhöhten Konstruktions- und Programmieraufwand möglich, der in der Serienfertigung kaum Einsatz findet.
Wie wichtig ist das Feedback aus der Praxis für Ihre Produktentwicklung - und welche Rolle spielt Digitaltechnik beim Informationsrückfluss aus der Fertigung?
Sellmer: Der enge Austausch mit unseren Kunden ist einer unserer Grundsätze und uns sehr wichtig. Wir glauben, dass es der enge Austausch mit den Anwendern unserer Werkzeuge ist, der uns weiteres Entwicklungspotenzial erkennen lässt. Denn sowohl im Sonder- als auch im Standardwerkzeugbereich zielen unsere Produktinnovationen immer auf die Bedürfnisse der Kunden ab. Damit das aber gelingen kann, ist es elementar, den Kunden und seine Aufgaben sowie Bedürfnisse zu kennen und zu verstehen. Nur so können wir ihm mit unseren Produkten einen Mehrwert bieten. Wir müssen unseren Kunden die Lösung anbieten, die ihm das beste Ergebnis liefert. Natürlich ist es dafür wichtig, auch die entsprechenden Daten von unseren Kunden zu kennen.
Seit 2017 vermarkten Sie Ihre eigene Cloudplattform C-Com. Deutlich früher als viele Maschinenbauer, die jetzt mit eigenen Angeboten aufwarten. Welche Erkenntnisse konnte Mapal in diesem Zeitraum gewinnen? Gab es zentrale Missverständnisse oder Erfolgserlebnisse?
Fiorucci: Die Vernetzung der Fertigung, die Schlagworte Digitalisierung und Industrie 4.0 begegnen uns im Moment auf allen Ebenen und in vielen Bereichen. Zahlreiche Lösungen und Möglichkeiten, um endlich 'digitalisiert' zu fertigen, werden angeboten. Wenn wir jedoch einen Schritt zurücktreten, bleibt die Digitalisierung eines: Ein Mittel zum Zweck. Dem Zweck, effizienter zu fertigen, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, eine bessere Qualität zu erreichen und unter Umständen neue Geschäftsfelder zu erschließen. Daten müssen einen greifbaren Nutzen haben. Das haben wir gelernt. Kunden sind nur bereit, in eine Software zu investieren, wenn sie ein konkretes Problem löst. Hier sind vor allem einfache Lösungen gefragt. Wir beobachten, dass Komplexität und lange Projekte Kunden er- und abschrecken. Vielfach ist es für die Unternehmen einfacher, Schritt für Schritt zu digitalisieren.
Ließen sich über die Plattform in Verbindung mit der neuen Box C-Connect Funktionen ausrollen, die eher klassischen MES-Anwendungen vorbehalten sind?
Fiorucci: Wir haben in keiner Weise vor, ME-Systeme zu kopieren oder zu ersetzen. Mit C-Connect bieten wir lediglich eine vereinfachte Lösung für das Monitoring von Maschinen. Die Maschinenüberwachung ist eine Zusatzfunktion der C-Connect Box. Ihre Hauptaufgabe ist es, Messdaten vom Einstellgerät an die Maschine zu übergeben und werkzeugbezogene Daten wie Standmenge oder Wechselgrund aus der Fertigung in C-Com zurückzuspielen. Inzwischen haben wir mit C-Com einige etablierte Produkte, die am Markt sehr gut ankommen - bei Kunden weltweit. Wir entwickeln unsere bestehenden Produkte kontinuierlich weiter und arbeiten an neuen Lösungen mit neuen Technologien. Beispielsweise haben wir Ende des vergangenen Jahres den Prototypen für eine App vorgestellt, die mit künstlicher Intelligenz arbeitet. Extrem wichtig werden für uns weiterhin Kooperationen mit anderen Unternehmen sein. Diese bauen wir stetig aus, denn Plattformen leben vom Effekt der Netzwerke. (ppr)
Der Werkzeughersteller Mapal überführt digitale und analoge Innovationen oft sehr früh in marktreife Produkte. Das neue Glockenwerkzeug ließe sich zum Beispiel ohne additive Fertigung gar nicht herstellen. Wie Entwicklungsarbeit mit aktueller Technik funktioniert, hat uns Dr. Dirk Sellmer erzählt, Vice President Research & Development bei Mapal. Wobei er sich für unsere Fragen zur IT-Ausgründung C-Com Giari Fiorucci dazugeholt hat.
Ein Beispiel ist Ihr kürzlich vorgestelltes Glockenwerkzeug, das auf selektives Laserschmelzen setzt, um Gewicht zu sparen. Was bringt das - und was ist überhaupt ein Glockenwerkzeug?
Dr. Dirk Sellmer: Ein Glockenwerkzeug ist ein Werkzeug zur Außenbearbeitung. Es kommt unter anderem bei der Fertigung von Schlauchanschlüssen zum Einsatz. Diese Anschlüsse sind beispielsweise an Turboladern zu finden. Sind die Konturanforderungen an solche Anschlüsse komplex, ist eine hochpräzise Fertigung vonnöten. Auf solche Anforderungen haben wir das Glockenwerkzeug optimal angepasst. Im Fall des Glockenwerkzeugs haben wir innere Hohlräume eingebracht, die für das geringere Gewicht sorgen. Dadurch wird das sogenannte Kippmoment des Werkzeugs reduziert. Je länger und schwerer ein Werkzeug ist, desto weiter wandert der Werkzeugschwerpunkt vom Maschinengreifer des Werkzeugwechslers weg. Das Kippmoment wird größer. Maschinen haben in der Regel ein maximal zulässiges Kippmoment. Möchten Kunden also eine Bearbeitung auf einer kleineren und damit kostengünstigeren Anlage umsetzen, benötigen sie entsprechend leichte Werkzeuge. Werkzeuge mit geringerem Gewicht erzeugen darüber hinaus weniger Schwingungen. In Summe ist bei dem additiv gefertigten Glockenwerkzeug die rotierende Masse geringer und die inneren Hohlräume haben eine dämpfende Funktion. So können höhere Schnittdaten realisiert werden, was wiederum zu einer kürzeren Bearbeitungszeit führt. Die additive Fertigung ermöglicht es aber nicht nur, Werkzeuge deutlich gewichtsärmer zu gestalten. Sie sorgt zudem für geometrische Freiheit. Entsprechend haben wir die Kühlmittelführung optimal gestaltet, was konventionell so nicht möglich gewesen wäre.
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MAPAL Fabrik für Präzisionswerkzeuge
Dieser Artikel erschien in IT&Production 4 (Mai) 2020 - 12.05.20.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com