Christian Mehrtens von SAP:
"Die Nähe zum Kunden sollte man nicht unterschätzen"
Nach der Covid-19-Krise wird sich das Rad der Digitalisierung schneller drehen, glaubt Christian Mehrtens, Leiter des Mittelstands- und Partnergeschäfts von SAP in Deutschland. Warum damit die Bedeutung der Partner im Manufacturing wächst, welche Partner in Walldorf besonders hoch im Kurs stehen und was Anwender von SAP-Partnern künftig häufiger erwarten können.
SAP setzt mehr als 27 Milliarden Euro jährlich um, die Partner noch weit mehr. Wollen Sie die Bedeutung Ihres Ökosystems mit einigen aktuellen Zahlen illustrieren?
Christian Mehrtens: Das SAP-Ökosystem ist in zweifacher Hinsicht entscheidend: für den Erfolg unseres Konzerns - aber auch genauso für den unserer Kunden. In Zahlen ausgedrückt heißt das: 80 Prozent unserer Neukunden gewinnen wir über unsere Partner, 90 Prozent unserer Kundenprojekte liegen in deren Verantwortung. Allein in Deutschland zählt unser Netzwerk 1.200 Partner, darunter 40 Run-, 300 Resell- und 700 Build-Partner. Insbesondere die Bedeutung der Build-Partner, der Independent Software Vendors oder kürzer ISVs, nimmt zu. Nach Angaben von IDC zahlt sich unser Ökosystem aber auch für unsere Partner aus: Bis zum Jahr 2023 legen sie beispielsweise im Schnitt um 23,4 Prozent zu, wenn sie im Cloud-Business tätig sind. Weil die Covid-19-Krise der Digitalisierung der Unternehmen jetzt noch einen weiteren Schub verpasst, brauchen wir unsere Partner mehr denn je.
Im letzten Jahr hat SAP angekündigt, die Anreize im Ökosystem neu einzustellen. Was versprechen Sie sich vom Programm Next Generation Partnering für die SAP-Anwender?
Mehrtens: Wir rücken damit die Bedürfnisse unserer Kunden noch stärker ins Zentrum unserer Arbeit. Die Kundenzufriedenheit ist inzwischen unsere wichtigste Schlüsselkennzahl. Auch unser Programm Next Generation Partnering zielt darauf ab. Wenn wir die Kundenzufriedenheit verbessern wollen, müssen wir die Qualität der Beratung weiter steigern. Dafür bieten wir unseren Partnern passende Coachings und Weiterbildungsmöglichkeiten. Gleichzeitig sollen unsere Partner für unsere gemeinsamen Kunden das SAP-Portfolio erweitern - mit horizontalen und vertikalen Angeboten oder mit neuen Technologien wie IoT, KI oder Datenanalyse. Im Gegenzug setzen wir alles daran, ihre Umsatzzahlen zu verbessern und sie mit den richtigen Tools und Methodiken zu versorgen. Wir möchten, dass unsere Partner auch jenseits des Resellings und Services mit uns Geschäft machen, wollen gemeinsam noch innovativer werden - und einer der Motoren, um dieses Ziel zu erreichen, heißt Next Generation Partnering. Großartig, wie viele Partner gerade ihr Geschäftsmodell umbauen - wir unterstützen sie dabei.
SAP will Startups ermutigen, ihre Innovationen häufiger über SAP-Software in den Markt zu tragen. Gibt es schon Beispiele, wie das Manufacturing-Portfolio davon profitiert?
Mehrtens: Wir arbeiten über das SAP.iO-Programm mit einem stetig wachsenden Ökosystem von Business-to-Business (B2B)-Startup-Partnern zusammen. Zum Beispiel mit Dust Identity, einem Startup aus Boston. Unternehmen können mit dessen Hilfe ihre globale Lieferkette absichern. Sie können künftig garantieren, dass die Teile, die sie kaufen, keine Fälschungen sind und nicht manipuliert wurden. Für diesen Tracking-Prozess sprüht das Startup Nanodiamantstaub auf die Objekte und erzeugt damit eine nicht klonbare Identitätsschicht. Sind die Objekte mithilfe des Staubs digital identifiziert, können Unternehmen sie in eine Blockchain einbringen. Das bietet allen Stakeholdern weit mehr Sicherheit als RFID-Tags und QR-Codes. Dust Identity nutzt für seine Lösung den Blockchain-as-a-Service von SAP, um Transaktionsinformationen innerhalb einer privaten Blockkette für SAP-Kunden zu speichern. Auf Partner wie Dust Identity sind wir besonders stolz: Mit ihrer Unterstützung können Unternehmen von innovativen Technologien wie Big Data, KI oder eben die Blockchain problemlos profitieren.
SAP nennt die Leonardo-Lösungen ihr Innovations-Portfolio. Nachdem Predictive Maintenance und Quality immer häufiger umgesetzt werden: Welche neueren Ansätze oder Use Cases mit ähnlichem Potenzial beobachten Sie?
Mehrtens: Bei Predictive Maintenance geht es wie bei Predictive Quality um datenbasierte Voraussagen künftiger Ereignisse. Sie sollen Unternehmen dabei unterstützen, bessere Entscheidungen zu treffen. Solche Datenanalysen sind auch für andere Geschäftsprozesse im Manufacturing-Bereich möglich - etwa in Lagerwirtschaft oder Planung.
Es gibt eine Reihe von äußerst spezialisierten SAP-Partnern für die Fertigungsindustrie, insbesondere in der Nähe der Shopfloor-IT. Was zeichnet die Zusammenarbeit zwischen SAP und denjenigen Partnern aus, die ihren Umsatz vor allem auf der Fabrikebene erzielen?
Mehrtens: Im Bereich Manufacturing arbeiten wir eng mit den Implementierungspartnern zusammen. Wir zertifizieren beispielsweise auch deren Schnittstellen, sofern es sich um Mitglieder des SAP PartnerEdge Programms handelt. Der beste Beweis unserer engen Zusammenarbeit sind unsere gemeinsamen Show Cases für die Hannover Messe. Weil uns die Covid-19-Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, entwickeln wir für unseren Standort in Walldorf gerade sogenannte Industry 4.Now-Hubs. Heißt: Wenn sich die Situation wieder entspannt hat, können sich Interessierte diese gemeinsamen Hightech-Lösungen bei uns anschauen. Was unsere Zusammenarbeit vereinfacht? Unsere Lösungen sind offen - das ist auch eine wichtige Voraussetzung für die Open Industry 4.0 Alliance. Wir haben dokumentierte Schnittstellen, daher lassen sich Partneranwendungen nahtlos integrieren. Das ist für die Automotive- oder die Hightech-Industrie beispielsweise längst passiert. Die Partnerschaft mit Shopfloor-IT-Partnern verstehen wir als wichtige Ergänzung. Das reicht von Business-Prozessen des Backoffice, über Supply-Chain-Aspekte bis hin zu Materialflüssen, Kapazitätenplanung, Maschinenintegration oder das Thema Auslastung.
Welche Schwerpunkte setzt SAP bei den nächsten Releases von ME, MII und den produktionsnahen Teilen des Leonardo-Portfolios?
Mehrtens: Zum einen entwickeln wir unser Lösungsportfolio funktionell weiter - für diskrete Fertiger genauso wie für Verfahrenstechniker. Für Hersteller unterschiedlicher Größenordnungen in der Fertigungs- und Prozessindustrie haben wir die Digital Manufacturing Cloud gestartet. Wir zeigen uns bei den Bereitstellungsmöglichkeiten sehr flexibel: Wir bringen die 4.0-Software dorthin, wo der Kunde sie beziehen möchte - in seine Fabrik oder in die Cloud.
Die Schnittstellen rund um das Engineering gelten vielen als zentral für die nächsten Stufen der Industrialisierung. Der digitale Zwilling als Lösungsansatz wird von Unternehmen zu Unternehmen anders interpretiert. Können sie sich mit Ihren Partnern auf ein gemeinsames Verständnis eines Digital Twin einigen?
Mehrtens: Wenn Industrie-4.0-Komponenten wie Maschinen oder Produkte miteinander kommunizieren sollen, brauchen sie eine gemeinsame Sprache. Um die Interoperabilität zu erreichen, setzt SAP auf die Verwaltungsschale, die von der Plattform-Industrie-4.0 definiert wurde. Sie spielt auch für den digitalen Zwilling eine zentrale Rolle. Denn deren Austausch sollte zwischen unterschiedlichen Unternehmen genauso möglich sein wie zwischen verschiedenen Plattformen. Zur Unterstützung haben wir eine Ausprägung der Verwaltungsschale im Open Source umgesetzt. Darauf kann jeder Partner, aber auch jedes andere Unternehmen zugreifen und in die eigenen Produkte einbauen. In der Zusammenarbeit mit unseren Partnern achten wir darauf, dass beide Seiten ihre Vorstellungen des digitalen Zwillings einbringen können. Für uns ist ein gemeinsames Verständnis des Digital Twins ein entscheidendes Erfolgskriterium. Im Bereich Luftfahrt steht bereits ein digitaler Zwilling eines Flugzeugs, mit dem sich die System-Verfügbarkeit, die Ausfallraten und die Zuverlässigkeit genauso simulieren lassen wie Reparaturaufgaben, Stresstests oder die Ersatzteilbevorratung. Die Integration mit unserer SAP S/4 Suite machen solche Produkte für Kunden besonders interessant, weil für solche Simulationen alle Daten verfügbar sein müssen. Unsere Partner bieten komplementäre, teilweise aber auch überlappende Lösungen an, die sie dann bei den Endkunden integrieren.
Wenn das Engineering an Bedeutung noch zunimmt, warum hören wir aktuell so wenig von SAP PLM?
Mehrtens: Stille um das Thema SAP PLM? Diesen Eindruck teile ich nicht. Zu unseren PLM-Infotagen kommen hier in Deutschland zwischen 400 und 500 Teilnehmer. Bei den Jahrestagungen der SAP-User gehört PLM traditionell zu den Themen, die am stärksten nachgefragt und diskutiert werden. Bestätigen kann ich aber, dass die Integration des Engineerings in die Geschäftsprozesse zusehends wichtiger wird. Denken Sie nur an die Variantenkonfiguration - also die Möglichkeit, genau das zu bauen, was sich der Kunde wünscht. Wir haben SAP PLM daher überarbeitet. Ergebnis sind zwei neue Produkte. Mit SAP Production Engineering and Operation - oder auch PEO - erweitern wir den digitalen Kern von SAP S/4 Hana. Wir schlagen also eine Brücke vom Engineering zum Manufacturing. Das SAP Engineering Control Center, kurz: ECTR, integriert externe Autorensysteme in die SAP-Umgebung. Dabei kann es sich um mCAD, eCAD oder Simulation handeln. Auf diese Weise können Sie lokal erzeugte Produktdaten und Dokumente unternehmensweit verfügbar machen, strukturiert verwalten oder mit SAP-Objekten verknüpfen.
200 Milliarden US-Dollar Umsatz könnten SAP-Partner in den nächsten fünf Jahren erwirtschaften, beruft sich die SAP auf eine aktuelle Studie. Mit welchen Geschäftsmodellen kommen Ihre Partner auf diese Zahlen, wenn immer mehr Anwender in die Cloud umziehen?
Mehrtens: Wir beobachten im Mittelstand eine immer größere Bereitschaft, in die Cloud zu wechseln. Zumal sich deren Vorzüge jetzt in der Covid-19-Krise besonders deutlich zeigen. Wir gehen davon aus, dass die Unternehmen ihre Investitionen in die Digitalisierung erhöhen - die Mittel werden in Technologien für das Remote Working genauso fließen wie in die digitale Supply Chain, mit der die Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten optimieren können. Die wenigsten Unternehmen stemmen den Umzug in die Cloud jedoch allein, sie brauchen Beratung und Begleitung und damit unsere Partner. Gartner und IDC prognostizieren vor allem jenen Partnern zusätzliches Wachstum, die auf der SAP-Plattform eigene Lösungen entwickeln. Ich ziele beispielsweise auf Apps ab, mit denen Endkunden möglichst einfach komplexe neue Technologien wie KI, Big Data, IoT oder die Blockchain nutzen können. Diese Apps können Partner in unserem App Center hochladen. Partnerlösungen, die unser Portfolio ergänzen, verkauft dann auch unser Vertrieb.
Die 2019 gegründete Open Industry 4.0 Alliance hat nach dem Ausfall der Hannover Messe 2020 ihre wohl wichtigste Präsentationsplattform verloren. Wie geht es denn mit der Initiative voran?
Mehrtens: Natürlich ist es schade, dass die Open Industrie 4.0 Alliance ihre Fortschritte nun nicht in Hannover präsentieren kann. Denn sie hat in den vergangenen Monaten einiges erreicht: Die Zahl ihrer Mitglieder hat sich innerhalb eines Jahres auf nunmehr 55 Mitglieder mehr als vervierfacht. Der Zusammenschluss vieler Unternehmen hat bereits wichtige Leitlinien für die Interoperabilität entwickelt. Momentan diskutiert die Allianz wie viele andere Organisationen und Unternehmen die Idee einer virtuellen Messe. Aber spätestens auf der SPS im November will die Open Industry 4.0 Alliance dann wieder live und vor Ort in Nürnberg ihre Fortschritte präsentieren. Sie ist auf jeden Fall auf einem guten Weg.
Der Umstieg auf SAP Hana soll aufgrund besserer Konnektivität so manche Insellösung und Workaround ersparen. Welche Rückmeldungen zu den Effekten Ihrer Hana-Versionen kommen aus der fertigenden Industrie bei Ihnen an?
Mehrtens: Unsere Kunden streichen vor allem die Echtzeitfähigkeit und schnelle Rechenleistung unserer SAP Hana Datenbank heraus. Sie ermöglicht ihnen Analysen, die sonst viel zu lange dauern würden. Mit einer In-Memory-Datenbank können sie Big Data auf ein neues Level heben. Was bei ihnen ebenfalls gut ankommt: Der direkte Zugriff und dass es keine Indices oder programmierte Aufsummierungen mehr gibt.
Ist eine Lösung für die Frage der indirekten Lizenzen in Sicht?
Mehrtens: SAP bietet Kunden seit vergangenem Jahr mehrere Optionen an, um die indirekte Nutzung, also den Zugriff von Drittsystemen auf SAP-Anwendungen, adäquat abzubilden und zu verrechnen. DSAG-Vorstand Operations/Service & Support Andreas Oczko bescheinigte unserem Unternehmen, dass es ein 'einfaches und transparentes Modell' für 'historisch gewachsene, hochkomplexe, vertragliche Vereinbarungen' gefunden habe. Die Lizenzbedingungen der SAP zu indirekter Nutzung und Digital Access stehen sowohl mit den urheberrechtlichen als auch mit den kartellrechtlichen Vorschriften im Einklang. Die bestehende Interoperabilität mit Angeboten von Drittanbietern wird durch die Lizenzbedingungen der SAP nicht beeinträchtigt.
Die Gretchen-Frage zum Schluss: Nach welchen Kriterien sollte ein Industrieunternehmen unterscheiden, ob es sich an SAP direkt oder einen Partner wendet?
Mehrtens: Abhängig von den jeweils individuellen Anforderungen sollten sich Industrieunternehmen anschauen, welche unserer Partner Spezialisten für ihre Branche sind oder den Geschäftsbereich abdecken, in dem sie Unterstützung brauchen. Denn diese Partner können auf Basis ihrer Expertise kundenspezifische Add-ons für unser Lösungsportfolio bauen. Generell sind unsere Partner viel näher an den Mittelstandskunden dran - auch räumlich. Die Bedeutung der geografischen und kulturellen Nähe zum Kunden sollte man nicht unterschätzen. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen spielt sie eine große Rolle. (ppr)
Nach der Covid-19-Krise wird sich das Rad der Digitalisierung schneller drehen, glaubt Christian Mehrtens, Leiter des Mittelstands- und Partnergeschäfts von SAP in Deutschland. Warum damit die Bedeutung der Partner im Manufacturing wächst, welche Partner in Walldorf besonders hoch im Kurs stehen und was Anwender von SAP-Partnern künftig häufiger erwarten können.
SAP setzt mehr als 27 Milliarden Euro jährlich um, die Partner noch weit mehr. Wollen Sie die Bedeutung Ihres Ökosystems mit einigen aktuellen Zahlen illustrieren?
Christian Mehrtens: Das SAP-Ökosystem ist in zweifacher Hinsicht entscheidend: für den Erfolg unseres Konzerns - aber auch genauso für den unserer Kunden. In Zahlen ausgedrückt heißt das: 80 Prozent unserer Neukunden gewinnen wir über unsere Partner, 90 Prozent unserer Kundenprojekte liegen in deren Verantwortung. Allein in Deutschland zählt unser Netzwerk 1.200 Partner, darunter 40 Run-, 300 Resell- und 700 Build-Partner. Insbesondere die Bedeutung der Build-Partner, der Independent Software Vendors oder kürzer ISVs, nimmt zu. Nach Angaben von IDC zahlt sich unser Ökosystem aber auch für unsere Partner aus: Bis zum Jahr 2023 legen sie beispielsweise im Schnitt um 23,4 Prozent zu, wenn sie im Cloud-Business tätig sind. Weil die Covid-19-Krise der Digitalisierung der Unternehmen jetzt noch einen weiteren Schub verpasst, brauchen wir unsere Partner mehr denn je.
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SAP Deutschland SE & Co. KG
Dieser Artikel erschien in IT&Production 4 (Mai) 2020 - 12.05.20.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com