Programmierbare Mikroelektronik ersetzt mechanische Systeme
Der Eiffelturm als Leuchtturmprojekt
Aufzugsanlagen sind im Automationszeitalter angekommen: Vermehrt ersetzt programmierbare Mikroelektronik mechanische Systeme - auch bei sicherheitsrelevanten Funktionen. Betreiber und Hersteller sehen sich geringeren Kosten bei mehr Sicherheit gegenüber. Am Beispiel der Schrägaufzüge im Pariser Eiffelturm zeigt TÜV Süd, welche regulatorischen Anforderungen die technischen Möglichkeiten mit sich bringen.
Normative Grundlagen für die funktionale Aufzugssicherheit
• Die Europäische Norm 61508 definiert Anforderungen zur Entwicklung von elektrischen, elektronischen und programmierbaren elektronischen, sicherheitsgerichteten Systemen.
• Die Aufzugsrichtlinie 2014/33 /EU konkretisiert die Anforderungen an die Beschaffenheit der Aufzüge als Voraussetzung für das Inverkehrbringen im Europäischen Wirtschaftsraum.
• Die Betriebssicherheitsverordnung BetrSichV setzt eine Gefährdungsbeurteilung voraus und definiert Betreiberpflichten: Sie verlangt eine beauftragte Person für Aufzugsanlagen, ein Notrufmanagement, eine Prüfung vor erster Inbetriebnahme sowie wiederkehrende Prüfungen nach TRBS1201 - Prüfung von überwachungsbedürftigen Anlagen, in diesem Fall Aufzügen.
• Die Europäische Norm 81-20/50 beschreibt die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen.
Bisher kamen für sicherheitsgerichtete Funktionen oftmals mechanisch-elektrische Bauteile zum Einsatz. Wird bspw. der Geschwindigkeitsgrenzwert eines Aufzugs überschritten, schaltet sich der Antrieb elektrisch ab und die Kabine bremst mechanisch zum Stillstand. Zwar funktionieren mechanische Vorrichtungen auch bei einem Stromausfall und die Sicherheitskreise haben sich aufgrund ihrer Übersichtlichkeit lange Jahre bewährt. Sie unterliegen aber regelmäßig einem zeit- und kostenintensiven Wartungsaufwand und sind mitunter anfällig für unvorhersehbare Störungen wie mechanische Schäden. Zunehmend setzen Hersteller und Betreiber daher auf Systeme auf Halbleiterbasis, die sich wartungsärmer und kostengünstiger betreiben lassen. Statt Relais und Sicherheitsschaltgeräten kommen Mikrokontroller zum Einsatz. Sie lassen sich auf die jeweilige Anwendung in Leistung und Ausstattung individuell anpassen. PESSRAL (Programmable Electronic System in Safety-Related Applications for Lifts) bündeln die Sicherheitsfunktionen auf einem Chip. Die Software-basierten Systeme ermöglichen einen höheren Sicherheitsstandard, da sie auf Gefahrensituationen dynamisch-intelligent reagieren. Den Umständen entsprechend ist ein Notstopp oder eine Sperre nicht immer angemessen. So zeigen Statistiken, dass durch den Einsatz von PESSRAL weniger Personen eingeschlossen werden. Liegt wirklich eine Notsituation vor, ist ein geregeltes Anhalten jedoch garantiert.
Optimierte Wartungszyklen und Fernüberwachung
Über Software realisierte Sicherheitsfunktionen sind insofern materialsparend, als dass für die erforderlichen Logiken weniger Bauteile erforderlich sind, die gewartet werden müssen. Software hat außerdem den Vorteil, dass sie nicht verschleißt bzw. abnutzt, was ebenfalls den Wartungsaufwand verringert. Auf Grundlage von Risikobeurteilungen und Erwartungswerten, wie lange Komponenten und Teilsysteme einer bestimmten Anlage mindestens fehlerfrei arbeiten werden, lassen sich die Wartungs- und Reparaturmaßnahmen und die damit verbundenen Kosten auf lange Sicht planen. Statt dass Techniker anreisen, lässt sich der Aufzug aus der Ferne warten. Diese Remote Services sowie die Vernetzung von physischen mit virtuellen Gegenständen - Stichwort 'Internet der Dinge' (IoT - Internet of Things) - vereinfachen zusätzlich die Instandhaltung: Treten während des Betriebs Anomalien auf, lassen sich diese frühzeitig erkennen.
Funktionale und IT-Sicherheit
Die Gesamtsicherheit eines technischen Systems wie einem Aufzug hängt vom Zusammenspiel mehrerer sicherheitsrelevanter Teilsysteme ab (funktionale Sicherheit). Sicherheitsfunktionen (SiFu) sorgen dafür, dass gefährliche Zustände automatisch erkannt und verarbeitet werden und die Anlage ohne menschliches Zutun zuverlässig in einen sicheren Zustand versetzt wird. Um potenzielle Sicherheitsrisiken zu minimieren, sind die korrekte Funktion aller sicherheitsbezogenen Einzelsysteme sowie risikomindernde Maßnahmen unerlässlich. Dazu gehört, die Softwarefunktionen fehlerfrei auszulegen. In der Automatisierung stehen der Schutz des Menschen vor einem technischen System (funktionale Sicherheit) und der Schutz eines Systems vor Menschen (in diesem Fall IT-Sicherheit) in engem Zusammenhang. Denn die Digitalisierung und Vernetzung führt auch im Hinblick auf die zunehmende Relevanz von Industrie 4.0 zu wechselseitigen Abhängigkeiten. Nicht akzeptable Risiken müssen ausgeschlossen werden, weshalb die Bewertung von Risiken ein zentraler Punkt aller Prozesse in Sicherheitskontexten darstellt. Daher müssen Wartungsfirmen und Betreiber die Cybersicherheit in den Sicherheitskonzepten berücksichtigen. Nur bestimmten Personen darf Zutritt zur physikalischen Aufzugsteuerung gewährt werden. Sicherheitsrelevante Software muss regelmäßig aktualisiert und mit Passwörtern und Authentifizierungen geschützt werden.
Repräsentative Schrägaufzüge
Der Eisenfachwerkturm in Frankreichs Hauptstadt ist nicht nur architektonisch etwas Besonderes, sondern auch fördertechnisch: Zwischen dem Erdgeschoss und der zweiten Etage fahren fünf Aufzüge schräg von den Pfeilern aus in alle vier Himmelsrichtungen mit bis zu mehreren hundert Personen pro Stunde. Von dort aus bis zur Spitze können wiederum zwei 'Duolifte' stündlich über tausend Personen transportieren. Um deren fortwährenden Betrieb zu gewährleisten, wurden die Schrägaufzüge in den vergangenen zehn Jahren unter anderem mit neuen Fahrkörben ausgestattet und mit einer Klimaanlage und einem neuen Antrieb versehen. Derzeit werden Komponenten mit sicherheitsrelevanten Funktionen ausgetauscht bzw. erneuert. Die Sachverständigen von TÜV Süd wurden mit deren Baumusterprüfung beauftragt. PESSRAL soll unter anderem den mechanischen Geschwindigkeitsbegrenzer ersetzen. Er dient als Prototyp für moderne Sicherheitsfunktionen.
Ausblick
Zahlreiche Normen und Sicherheitsanforderungen sowie Richtlinien, die die Zertifizierung von Systemen auf dem europäischen Markt regulieren, haben dafür gesorgt, dass Aufzüge zu den sichersten Transportmitteln gehören. Die Herausforderung besteht bei Sonderanfertigungen wie für den Eiffelturm darin, vorhandene Normen als Prüfgrundlage auf neue Technologien anzuwenden. Die hier gewonnenen Erkenntnisse dienen künftig dazu, die Automatisierungstechnik für die Funktionale Sicherheit von Aufzügen weiterzuentwickeln.
Aufzugsanlagen sind im Automationszeitalter angekommen: Vermehrt ersetzt programmierbare Mikroelektronik mechanische Systeme - auch bei sicherheitsrelevanten Funktionen. Betreiber und Hersteller sehen sich geringeren Kosten bei mehr Sicherheit gegenüber. Am Beispiel der Schrägaufzüge im Pariser Eiffelturm zeigt TÜV Süd, welche regulatorischen Anforderungen die technischen Möglichkeiten mit sich bringen.
Normative Grundlagen für die funktionale Aufzugssicherheit
• Die Europäische Norm 61508 definiert Anforderungen zur Entwicklung von elektrischen, elektronischen und programmierbaren elektronischen, sicherheitsgerichteten Systemen.
• Die Aufzugsrichtlinie 2014/33 /EU konkretisiert die Anforderungen an die Beschaffenheit der Aufzüge als Voraussetzung für das Inverkehrbringen im Europäischen Wirtschaftsraum.
• Die Betriebssicherheitsverordnung BetrSichV setzt eine Gefährdungsbeurteilung voraus und definiert Betreiberpflichten: Sie verlangt eine beauftragte Person für Aufzugsanlagen, ein Notrufmanagement, eine Prüfung vor erster Inbetriebnahme sowie wiederkehrende Prüfungen nach TRBS1201 - Prüfung von überwachungsbedürftigen Anlagen, in diesem Fall Aufzügen.
• Die Europäische Norm 81-20/50 beschreibt die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen.
Bisher kamen für sicherheitsgerichtete Funktionen oftmals mechanisch-elektrische Bauteile zum Einsatz. Wird bspw. der Geschwindigkeitsgrenzwert eines Aufzugs überschritten, schaltet sich der Antrieb elektrisch ab und die Kabine bremst mechanisch zum Stillstand. Zwar funktionieren mechanische Vorrichtungen auch bei einem Stromausfall und die Sicherheitskreise haben sich aufgrund ihrer Übersichtlichkeit lange Jahre bewährt. Sie unterliegen aber regelmäßig einem zeit- und kostenintensiven Wartungsaufwand und sind mitunter anfällig für unvorhersehbare Störungen wie mechanische Schäden. Zunehmend setzen Hersteller und Betreiber daher auf Systeme auf Halbleiterbasis, die sich wartungsärmer und kostengünstiger betreiben lassen. Statt Relais und Sicherheitsschaltgeräten kommen Mikrokontroller zum Einsatz. Sie lassen sich auf die jeweilige Anwendung in Leistung und Ausstattung individuell anpassen. PESSRAL (Programmable Electronic System in Safety-Related Applications for Lifts) bündeln die Sicherheitsfunktionen auf einem Chip. Die Software-basierten Systeme ermöglichen einen höheren Sicherheitsstandard, da sie auf Gefahrensituationen dynamisch-intelligent reagieren. Den Umständen entsprechend ist ein Notstopp oder eine Sperre nicht immer angemessen. So zeigen Statistiken, dass durch den Einsatz von PESSRAL weniger Personen eingeschlossen werden. Liegt wirklich eine Notsituation vor, ist ein geregeltes Anhalten jedoch garantiert.
TÜV SÜD Product Service GmbH
Dieser Artikel erschien in SPS-MAGAZIN 8 August 2020 - 20.08.20.Für weitere Artikel besuchen Sie www.sps-magazin.de