ERP-Rollout im Mittelstand
Prozess oder System anpassen?
Eine ERP-Einführung kann für Mittelständler mit einigen Stolpersteinen verbunden sein. Hilfreich ist es, wenn andere Unternehmen diese Stolpersteine bereits überwunden haben - ein Erfahrungsbericht.
Die Hanselmann & Cie. Technologies (HCT) mit Sitz in Oppenweiler ist ein mittelständischer Tier-2-Lieferant und produziert mechatronische Teile, etwa für die Automobilindustrie. Das Unternehmen wurde von der Hanselmann-Gruppe durch ein 'Carve Out' erworben, indem es aus einer anderen Unternehmensgruppe herausgekauft wurde. Bei der Übernahme des Unternehmens fanden die neuen Verantwortlichen ein in die Jahre gekommenes ERP-System vor. Dieses sollte durch ein unternehmenseigenes, auf die Belange eines Produktionsbetriebes zugeschnittenes und cloudfähiges ERP-System ersetzt werden. Aus dieser Einführung ergaben sich für HCT einige Lessons Learned.
Zielbild vermitteln
Oft scheitert der Rollout einer neuen ERP-Software daran, dass der Fokus zu sehr auf die technischen Aspekte gerichtet wird. Dies wollte HCT vermeiden und holte vor der technischen Umsetzung die Beschäftigten ins Boot, die später mit dem System arbeiten müssen. Das Problem ist dabei weniger der Unwillen der Mitarbeiter, vielmehr sind es fehlende Informationen, aber auch ein nachvollziehbares Zielbild. HCT kommunizierte in unterschiedlichen Kanälen und Formaten, um die Menschen zu überzeugen. Die Key-User des neuen ERP-Systems müssen von Anfang an informiert, in das Projekt integriert und 'on the fly' qualifiziert werden.
Erfolgsfaktor Daten
Unternehmensdaten sind die Basis für Automation, Analysen und die Dokumentation. Die Qualität dieser Daten wiederum ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Einführung eines ERP-Systems. Die Daten müssen aktuell, konsistent und vollständig sein. Wahlloses Datensammeln ist jedoch nicht zielführend. Denn oft stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass relevante Informationen gar nicht oder nicht mit der nötigen Qualität gespeichert wurden. Diese Qualität ergibt sich unter anderem aus dem Verwendungszusammenhang, aus den Prozessen. Es kommt nicht zuletzt auf das Zusammenspiel zwischen Prozess-Knowhow und Datenwissen an. Der Einfluss, den die Datenqualität auf den Erfolg eines Unternehmens hat, ist erheblich. Deshalb durchlaufen die Daten unterschiedliche Qualitätsprozesse. Anhand spezifischer Parameter werden sie einem Leistungstest unterzogen, geprüft, validiert und aktuell gepflegt. Wer die Datenqualität vernachlässigt, nimmt in Kauf, dass das ERP-System nur suboptimal performt. Diese Qualitätssicherung ist zwingend, erzeugt aber wiederum Aufwand.
Ein digitales Eco-System
Die Hanselmann-Gruppe setzt auf ein digitales Eco-System, das damit auch bei HCT den Rahmen der Digitalisierung bildet. Ein wesentlicher Bestandteil davon ist auch das ERP-System. Im Eco-System werden Lösungen miteinander vernetzt, die so offen und flexibel sind, dass sie individuell an zahlreiche Lösungen angepasst werden können. Ein solches digitales Eco-System muss Schritt für Schritt aufgebaut werden. Aus diesem Grund wurden in einer Art agiler Vorgehensweise die Zwischenstadien des Eco-Systems stufenweisen Proof of Concepts unterzogen und im Unternehmen ausgerollt. Die wichtigsten 'Pain Points' konnten so bevorzugt bearbeiten werden. Digitalisierung bedeutet nicht zwingend, teure Hard- und Software beschaffen zu müssen. Eine praktikable Alternative ist 'Software as a Service'. Was wiederum cloudfähige Lösungen voraussetzt, auch beim ERP.
Nicht zu früh live gehen
Beim Übergang in den Live-Betrieb besteht die Gefahr, das ERP-System zu früh einzuführen. Also mit Funktionen, die nicht ausreichend getestet; Key Usern, die unzureichend geschult sowie Daten, die lückenhaft übernommen sind. Daher verfolgte HCT den Plan, das ERP-System erst einzuführen, als alle nötigen Vorbereitungen getroffen worden waren. Auch auf die Gefahr hin, das 'Go-live' verschieben zu müssen. Vor dem endgültigen Betrieb entstanden mehrere Prototypen, die in Testläufen auf ihre Funktionalität und Stabilität geprüft wurden. Und darauf, ob die Anwender erfolgreich mit dem System arbeiten konnten. Mit dem 'Tag X' ist die Einführung eines ERP-Systems jedoch nicht abgeschlossen: Das neue System muss ausführlich dokumentiert werden, hier und da sind noch Anpassungen notwendig, weitere Datenbestände müssen übertragen werden. Auch dafür muss es einen Plan, ein Projekt und die erforderlichen Ressourcen geben. Der Einführung folgt die Phase der Optimierung.
An Standards halten
Die Gretchenfrage bei der ERP-Einführung lautet oft: Was muss sich woran anpassen? Das System an die Unternehmensprozesse - oder die Prozesse an das ERP-System? Intuitiv mag es zunächst einleuchtend klingen, dass sich die Software an den Prozess anpassen soll. Das stimmt jedoch nicht zwingend. Heutige ERP-Systeme bilden wesentliche Prozesse mit Branchenstandards ab, die individualisiert werden können. Bei HCT ist das Projektteam davon überzeugt, dass es effizienter ist, die in der ERP-Software angelegten Prozesse zu nutzen und zum künftigen Standard zu machen. Der andere Weg ist nicht nur aufwändiger, sondern birgt auch die Gefahr, dass schlechte Prozesse zementiert und zum Standard erhoben werden. Besser ist es, sich wo immer es geht an Standards zu halten und den Nutzern lieber eine weitere Umgewöhnung zuzumuten.
In 16 Monaten zum Erfolg
HCT befindet sich in einem Transformationsprozess. Die Digitalisierung ist nur ein Teil davon. Sie aufzuschieben, war keine Option. Nicht nur wegen der höheren Effizienz. Sondern auch aufgrund der Gefahr, die Anschlussfähigkeit an Lieferanten und Kunden zu verlieren. Als Tier-2-Lieferant ist HCT Teil einer physischen und zunehmend auch digitalen Lieferkette. Ein mittelstandstaugliches ERP-System ist für die Digitalisierung erfolgskritisch. Nicht nur deshalb sollte man die Herausforderungen der Systemeinführung nicht unterschätzen. Es wird fast immer mehr Zeit und Ressourcen brauchen als ursprünglich geplant. Es gilt, sich darauf einzustellen und aus den Erfahrungen Dritter zu lernen. HCT verbucht die Einführung der neuen ERP-Software innerhalb von 16 Monaten als Erfolg. n Unternehmer, CEO der Hanselmann-Gruppe und Gesellschafter bei Hanselmann & Cie. Technologies. Er ist auch Herausgeber der Edition Hanselmann, die im LOG_X Verlag erscheint. Hanselmann & Cie. Technologies in Oppenweiler.
Eine ERP-Einführung kann für Mittelständler mit einigen Stolpersteinen verbunden sein. Hilfreich ist es, wenn andere Unternehmen diese Stolpersteine bereits überwunden haben - ein Erfahrungsbericht.
Die Hanselmann & Cie. Technologies (HCT) mit Sitz in Oppenweiler ist ein mittelständischer Tier-2-Lieferant und produziert mechatronische Teile, etwa für die Automobilindustrie. Das Unternehmen wurde von der Hanselmann-Gruppe durch ein 'Carve Out' erworben, indem es aus einer anderen Unternehmensgruppe herausgekauft wurde. Bei der Übernahme des Unternehmens fanden die neuen Verantwortlichen ein in die Jahre gekommenes ERP-System vor. Dieses sollte durch ein unternehmenseigenes, auf die Belange eines Produktionsbetriebes zugeschnittenes und cloudfähiges ERP-System ersetzt werden. Aus dieser Einführung ergaben sich für HCT einige Lessons Learned.
Zielbild vermitteln
Oft scheitert der Rollout einer neuen ERP-Software daran, dass der Fokus zu sehr auf die technischen Aspekte gerichtet wird. Dies wollte HCT vermeiden und holte vor der technischen Umsetzung die Beschäftigten ins Boot, die später mit dem System arbeiten müssen. Das Problem ist dabei weniger der Unwillen der Mitarbeiter, vielmehr sind es fehlende Informationen, aber auch ein nachvollziehbares Zielbild. HCT kommunizierte in unterschiedlichen Kanälen und Formaten, um die Menschen zu überzeugen. Die Key-User des neuen ERP-Systems müssen von Anfang an informiert, in das Projekt integriert und 'on the fly' qualifiziert werden.
Hanselmann & Cie. Technologies GmbH
Dieser Artikel erschien in IT&Production 5 (Juni) 2023 - 13.06.23.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com