Die Geschichte der Industrie 4.0 (Teil 2/3)
Die ganze Welt will Industrie 4.0
Nach der Prägung des Begriffs Industrie 4.0 musste er sich auch durchsetzen. Dazu betrieben die Akteure dahinter gezielte Lobbyarbeit - mit Kanzlerin Angela Merkel als wertvolle Unterstützerin. Im zweiten Teil der Artikelserie zur Geschichte des Großtrends Industrie 4.0 blickt Ingo Herbst von der SmartFactory-KL auf die ersten Gehversuche des Konzepts zurück und schildert, wie sich die Weltöffentlichkeit auf den Namen Industrie 4.0 einigte.
Zu den ersten gezielten Versuchen, den Begriff Industrie 4.0 in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu verankern, sagt Professor Wolfgang Wahlster: "Ohne die Kanzlerin Merkel hätten wir es nicht so ohne weiteres geschafft. Sie hat uns sehr unterstützt." Es wurden Kontakte zu Gewerkschaften und Betriebsräten aufgenommen. Und auch große Teile der Industrie standen hinter dem Begriff. In den ersten Jahren war Industrie 4.0 ein eher deutsches Thema. Das begann sich 2014 zu ändern, als die SmartFactory-KL (SF-KL) erstmals eine I40-Anlage auf der Hannover Messe präsentierte. Damit gelang der internationale Durchbruch. "Dann haben wir schrittweise angefangen, das zu exportieren", sagt Wahlster. Die ersten Länder, die Interesse an dem Konzept zeigten, waren die Niederlande, das Baskenland und Tschechien. China und Korea zogen nach. Die USA zögerten zunächst. Der damalige Präsident Barak Obama hatte seinerzeit das Programm 'Manufacturing USA' gestartet. Doch die USA konnten zur Umsetzung nicht auf genügend Facharbeiter zurückgreifen.
Die Industrie mitnehmen
Die Zusammenarbeit von Forschung und Wirtschaft war von Beginn ein Kernelement der SmartFactory-KL. "Forschung im Elfenbeinturm, ohne die Fragen und die Reflektion aus der industriellen Realität, führt in die Sackgasse," sagt Prof. Martin Ruskowski, heute Vorstandsvorsitzender der SF-KL. "Deshalb waren die Demonstratoren, die in Kaiserslautern gebaut wurden, immer Gemeinschaftsprojekte, auch wenn die Finanzierung und die Umsetzung maßgeblich von der Forschung ausging und geht." Sein Vorgänger Zühlke ergänzt: "Wir haben gemerkt, dass wir die Industrie mitnehmen müssen. Es nützt nichts, wenn wir sehr schnell mit der Forschung sind, aber zum Beispiel viele Mittelständler gar nicht mitkommen." Verbunden war damit auch das Signal nach außen: "Die deutsche Industrie ist gemeinsam in der Lage, solche Fortschritte letztendlich auch auf die Straße zu bringen," so Zühlke weiter. Mit dem Erfolg von I40 stiegt die Mitgliederzahl der SF-KL in den Anfangsjahren. "Letztendlich wollten alle etwas von dem Industrie 4.0-Kuchen abhaben, der bei uns gebacken wurde", so Ruskowski. "Aber gute Ergebnisse bringt man nur, wenn alle mitarbeiten. Das haben wir dann systematisiert, indem wir Arbeitsgruppen zu Themen eingerichtet haben, wo die Mitglieder konkret Teile der Gesamtvision Industrie 4.0 in unseren Demonstratoren umsetzen.
Ein digitales Produkt-Gedächtnis
In den VDI-Nachrichten vom 20. April 2012 heißt es: "Für die Hannover Messe wurde in Kaiserslautern eine Musterproduktion aufgebaut, in der Schlüsselfinder für einige Besucher in Hannover hergestellt werden. Die Schlüsselfinder sollen zudem eine individuelle Gravur erhalten. Statt den Prozess von einem Leitrechner aus zu steuern, soll gezeigt werden, wie ein digitales Produktgedächtnis die jeweiligen Bearbeitungsmaschinen steuert. Als Produktgedächtnis dient ein RFID-Funkchip." Heute wird diese Idee als Verwaltungsschale (VWS) beziehungsweise Digitaler Zwilling weiterentwickelt. Und das 'Gedächtnis' ist nicht mehr als Chip im Produkt zu finden, sondern jedes Asset wird über Cloudsysteme identifizierbar. Die VWS macht es Softwareagenten perspektivisch möglich, die Produktion zu steuern, denn das Wissen des Produktes über sich selbst ermöglicht die Planung der nächsten Arbeitsschritte. "Vor 10 Jahren gab es die technischen Möglichkeiten von heute noch nicht," sagt Ruskowski. "Da ist relativ viel klassische Automatisierungstechnik verbaut worden. Die Daten physisch im Produkt zu speichern, erwies sich schnell als Sackgasse, weil die Informationen nicht verfügbar sind, wenn das Produkt nicht greifbar ist." Die Idee des 'Produktgedächtnisses' basiert auf den Vorarbeiten von Wolfgang Wahlster, wonach autonome Module mit KI-Elementen (cyber-physische Systeme) sich zu immer neuen und damit flexiblen Produktionssystemen zusammenstellen (lassen) können.
Wortschöpfungen 4.0
Gesellschaftlich hat Industrie 4.0 als Zukunftsprojekt im Rahmen der Hightech-Strategie der Bundesregierung zu einer Art Hype geführt. Stand der Begriff eigentlich für die Digitalisierung der Industrie, rückte zunehmend ins Bewusstsein, dass die Digitalisierung alle Lebensbereiche erfassen wird. Am Anfang dachten die Wissenschaftler klein. "Das waren Sensoren, Aktoren, die wollten wir als kleine Bausteine betrachten," berichtet Zühlke. Aber schnell wurde deutlich, dass smarte Bauteile smarte Module bilden können, und diese letztlich smarte Fabriken. Die Vernetzungs- und Kommunikationsmöglichkeiten sprengten alle Grenzen. "Plötzlich kamen Soziologen, Arbeitswissenschaftler und Betriebswirtschaftler dazu. Das heißt, wir haben uns plötzlich über neue Geschäftsmodelle Gedanken gemacht, über die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, auf die Ausbildung von Mitarbeitern", sagt Zühlke. Smartphones, Computersysteme und Internet vernetzten das gesamte Alltagsleben. So entstanden Wortschöpfungen wie 'Urlaub 4.0', 'Arbeitsrecht 4.0' oder auch 'Logopädie 4.0'. Mit der Uridee von Industrie 4.0 hatte das allerdings nichts mehr zu tun.
Transformation braucht Zeit
In der Industrie wurde auf die technischen Neuerungen anders reagiert. "Zu der Zeit war ich stark mit der Produktentwicklung in der Industrie beschäftigt. Dort ist man in einer relativ kleinen Welt", so Ruskowski. "Jede Firma sieht in der Automatisierungstechnik nur ihre eigenen Produkte. Gerade bei Systemintegratoren fehlte die Kapazität, um sich den großen Überblick zu verschaffen, auch wenn es große Unternehmen waren. Es gab damals die Annahme, I40 könne man kaufen und umsetzen. Aber schnell wurde klar: das gibt es ja alles noch gar nicht und so funktioniert das auch nicht. Das sind Ideen, das ist eine Vision, das ist eine Marschrichtung. Aber schnell wurde den Beschäftigten in die Zielvereinbarungen geschrieben: Industrie 4.0-Lösungen entwickeln. So wurde aus relativ klassischer Automatisierungstechnik mit ein bisschen Digitalisierung in den Firmen zu Industrie 4.0. Dadurch hat der Begriff gelitten." Wolfgang Wahlster sieht in der Erwartung schneller Ergebnisse bis heute ein Risiko. Industrielle Revolutionen bräuchten ihre Zeit. "Die ersten drei haben 50, 60 manchmal 100 Jahre gedauert. Insofern müssen wir der Sache ein bisschen Geduld mitbringen." Die Marke Industrie 4.0 ist gesetzt und mit Deutschland verbunden. "Das Einzige was wir falsch machen können, ist schon von Industrie 5.0 zu sprechen," betont Wahlster." Was die Zukunft für die Industrie 4.0 bereithalten könnte, lesen Sie in Teil drei der Serie.
Nach der Prägung des Begriffs Industrie 4.0 musste er sich auch durchsetzen. Dazu betrieben die Akteure dahinter gezielte Lobbyarbeit - mit Kanzlerin Angela Merkel als wertvolle Unterstützerin. Im zweiten Teil der Artikelserie zur Geschichte des Großtrends Industrie 4.0 blickt Ingo Herbst von der SmartFactory-KL auf die ersten Gehversuche des Konzepts zurück und schildert, wie sich die Weltöffentlichkeit auf den Namen Industrie 4.0 einigte.
Zu den ersten gezielten Versuchen, den Begriff Industrie 4.0 in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu verankern, sagt Professor Wolfgang Wahlster: "Ohne die Kanzlerin Merkel hätten wir es nicht so ohne weiteres geschafft. Sie hat uns sehr unterstützt." Es wurden Kontakte zu Gewerkschaften und Betriebsräten aufgenommen. Und auch große Teile der Industrie standen hinter dem Begriff. In den ersten Jahren war Industrie 4.0 ein eher deutsches Thema. Das begann sich 2014 zu ändern, als die SmartFactory-KL (SF-KL) erstmals eine I40-Anlage auf der Hannover Messe präsentierte. Damit gelang der internationale Durchbruch. "Dann haben wir schrittweise angefangen, das zu exportieren", sagt Wahlster. Die ersten Länder, die Interesse an dem Konzept zeigten, waren die Niederlande, das Baskenland und Tschechien. China und Korea zogen nach. Die USA zögerten zunächst. Der damalige Präsident Barak Obama hatte seinerzeit das Programm 'Manufacturing USA' gestartet. Doch die USA konnten zur Umsetzung nicht auf genügend Facharbeiter zurückgreifen.
Die Industrie mitnehmen
Die Zusammenarbeit von Forschung und Wirtschaft war von Beginn ein Kernelement der SmartFactory-KL. "Forschung im Elfenbeinturm, ohne die Fragen und die Reflektion aus der industriellen Realität, führt in die Sackgasse," sagt Prof. Martin Ruskowski, heute Vorstandsvorsitzender der SF-KL. "Deshalb waren die Demonstratoren, die in Kaiserslautern gebaut wurden, immer Gemeinschaftsprojekte, auch wenn die Finanzierung und die Umsetzung maßgeblich von der Forschung ausging und geht." Sein Vorgänger Zühlke ergänzt: "Wir haben gemerkt, dass wir die Industrie mitnehmen müssen. Es nützt nichts, wenn wir sehr schnell mit der Forschung sind, aber zum Beispiel viele Mittelständler gar nicht mitkommen." Verbunden war damit auch das Signal nach außen: "Die deutsche Industrie ist gemeinsam in der Lage, solche Fortschritte letztendlich auch auf die Straße zu bringen," so Zühlke weiter. Mit dem Erfolg von I40 stiegt die Mitgliederzahl der SF-KL in den Anfangsjahren. "Letztendlich wollten alle etwas von dem Industrie 4.0-Kuchen abhaben, der bei uns gebacken wurde", so Ruskowski. "Aber gute Ergebnisse bringt man nur, wenn alle mitarbeiten. Das haben wir dann systematisiert, indem wir Arbeitsgruppen zu Themen eingerichtet haben, wo die Mitglieder konkret Teile der Gesamtvision Industrie 4.0 in unseren Demonstratoren umsetzen.
Technologie-Initiative SmartFactoryKL e.V.
Dieser Artikel erschien in IT&Production 1 (Februar) 2024 - 07.02.24.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com