Ein Gastbeitrag von Jens Nachtwei
Psychologische Begleitung in der Digitalen Transformation
Jens Nachtwei forscht und lehrt unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Bereichen Ingenieur- und Organisationspsychologie. In einem Gastbeitrag wirft er einen Blick auf das Spannungsfeld zwischen dem Einsatz von künstlicher Intelligenz und den sich daraus ergebenden psychologischen Auswirkungen auf Beschäftigte.

Beschäftigte erleben eine tiefgreifende Transformation. Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht mehr nur Tool, sondern zunehmend Kollege und Konkurrent. Das ruft die Psychologie auf den Plan: Erleben und Verhalten von Beschäftigten dürfen nicht mehr der blinde Fleck im Diskurs sein. Management und HR müssen Beschäftigte psychologisch gut durch diese Transformation begleiten.
Zwischen Anpassung und Angst
Die Digitalisierung in ihrer aktuellen Ausbaustufe KI bringt für Beschäftigte immense Unsicherheiten mit sich. Zunehmend zeigt sich, dass eine diffuse Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung allgegenwärtig ist. Konkrete Furcht vor technologisch bedingter Arbeitslosigkeit ist kein neues Phänomen, jedoch inzwischen prominenter als je zuvor in der Geschichte der Arbeit. Diese Furcht wirkt nicht nur auf die Leistung, sondern auch auf das allgemeine Wohlbefinden.
Besonders in Tätigkeiten mit hoher Automatisierungswahrscheinlichkeit zeigen Mitarbeitende erhöhte Stresssymptome bis hin zu chronifizierten Gesundheitsproblemen. Immerhin ist algorithmisches Management inzwischen Realität und keine Science Fiction mehr. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, dass sie sich kontinuierlich weiterbilden, digitale Kompetenzen erwerben und flexibel auf neue Technologien reagieren.
Doch wie soll ein Mensch, der unter massivem Anpassungsdruck steht, gleichzeitig die Energie für die eigene Weiterbildung und Job Crafting aufbringen? Hier zeigt sich das erste große Dilemma der digitalen Transformation: Beschäftigte werden überfordert, während ihnen gleichzeitig eine Schlüsselrolle im Wandel zugeschrieben wird.
Das Paradoxon der digitalen Autonomie
Ironischerweise wird die digitale Transformation oft mit Versprechen von mehr Autonomie beworben. Doch wie passt das zu den Erfahrungen der Beschäftigten? "Digitale Selbstbestimmung" steht häufig im Widerspruch zu "Digitalem Taylorismus", einer immer kleinteiligeren Überwachung und Steuerung durch Algorithmen. Beschäftigte fühlen sich zunehmend überwacht und fremdbestimmt, was nicht nur ihre Motivation mindert, sondern auch die Identifikation mit ihrem Arbeitsplatz gefährdet.
Dieses Spannungsfeld zwischen Versprechen und Realität verdeutlicht, wie wichtig psychologische Begleitung in diesem Kontext ist. Denn ohne das Gefühl von Kontrolle und Mitbestimmung werden viele Mitarbeitende den digitalen Wandel eher als Bedrohung denn als Chance wahrnehmen. Und wer sich fürchtet, ist gelähmt - und das ist weder im Interesse des Einzelnen noch der Organisation oder der Arbeitsgesellschaft als Ganzes.
Vertrauen: Ein knappes Gut
Inmitten dieses Wandels wird Vertrauen zu einer zentralen psychologischen Ressource - und gleichzeitig zu einem knappen Gut. Führungskräfte und HR (gegebenenfalls auch Chief Digital Officer) stehen vor der Herausforderung, glaubwürdig zu vermitteln, dass neue Technologien keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung darstellen können. Doch genau hier liegt ein Problem: Wenn Beschäftigte Algorithmen als kalt und unnahbar empfinden, der Kollegenkreis durch entsprechende Effizienzsteigerungen schrumpft und maschinelle Entscheidungen als unfair wahrgenommen werden, lässt sich diese hautnahe Erfahrung schwerlich durch visionäre Parolen im Intranet und in Newslettern heilen.
Wie können Unternehmen hier Vertrauen bewahren oder wiedergewinnen? Der Schlüssel liegt nicht nur in gekonnter und transparenter Kommunikation (die auch Unwissen einräumt). Es braucht auch Strukturen, die Mitarbeitenden echte Partizipation ermöglichen, um das Vertrauen nachhaltig zu stärken. Hier ist HR als zentrales Scharnier zwischen organisationalem Auftrag und Wohlbefinden der Belegschaft gefragt.
HR-Management am Limit
Die Aufgabe, Vertrauen zu fördern und den Wandel zu begleiten, fällt also maßgeblich den Personalabteilungen zu. Doch auch hier zeigen sich deutliche Grenzen. Einerseits sollen HR-Abteilungen als Change-Manager agieren und Mitarbeitende fit für die Zukunft machen. Andererseits sind sie selbst oft überfordert. Die Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Top-Managements und den tatsächlichen Bedürfnissen, aber auch Kompetenzen der
Mitarbeitenden stellt HR vor eine immense Herausforderung. Zudem gilt: Nicht wenige HR Professionals haben sich bewusst für dieses Jobprofil entschieden, da sie sich primär für Menschen und weniger für Daten sowie Technologie interessieren. Benötigt wird jedoch beides.
Gerade in dieser Schlüsselfunktion zeigt sich daher: Hier besteht kein rein technologisches Problem, sondern auch ein menschliches und kulturelles. Die Frage, wie Organisationen die psychologischen Dimensionen des Wandels bewältigen, ist mindestens genauso wichtig wie die Einführung neuer Technologien per se.
Ein Blick in die Zukunft: Wohin führt der Weg?
Ohne eine ganzheitliche Betrachtung der digitalen Transformation drohen gravierende Folgen. Ein Verlust an Engagement, Innovationskraft und Loyalität könnte die Folge sein. Doch was kann getan werden, um diese Zukunft zu umschiffen? Der technologische Fokus muss ergänzt werden durch eine stärkere Betonung der menschlichen Dimension. Es braucht keine weiteren "Future Skills"-Listen, sondern konkrete Maßnahmen, um Vertrauen, Resilienz und soziale Interaktion zu fördern. Ein Beispiel: Während Organisationen in Technologien investieren, wird die Bedeutung von Empathie und emotional intelligenter Führung häufig unterschätzt. Doch gerade in unsicheren Zeiten können solche Führungskräfte, die die Ängste ihrer Teams ernst nehmen und sie gezielt stärken, den Unterschied machen. Die gute Nachricht aus der Forschung: Emotionale Intelligenz lässt sich entwickeln.
Dieser Perspektivwechsel jedenfalls ist nicht nur notwendig, sondern überlebenswichtig. Die Digitale Transformation wird nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn sie die psychologischen und sozialen Aspekte genauso ernst nimmt wie die technologischen. Fazit: Digitalisierung human gestalten Die digitale Transformation kann nur gelingen, wenn sie als integrativer Prozess gestaltet wird, der die psychologischen Bedürfnisse sowie das Erleben der Beschäftigten ernst nimmt. Organisationen müssen aufhören, die Einführung neuer Technologien rein technokratisch zu denken, und stattdessen den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Es ist Zeit, die psychologische Begleitung nicht als Randthema, sondern als zentrale Managementaufgabe zu begreifen - denn nur so können Organisationen die digitale Zukunft wirklich gestalten. Wer dieses Management dann genau vollzieht, ist sekundär - nur eine KI sollte es (noch) nicht sein.
Service-Kasten
Mehr als 10.000 verlinkte wissenschaftliche Fachartikel mit Schwerpunkt Arbeitswelt, Digitale Transformation, KI und Automation; vollständige universitäre, praxisnahe Lehrunterlagen zur Mensch-Technik Interaktion zur Verwendung für Schulungen und Workshops sowie ein kurzer Fragebogen (deepR-Q) zur Erfassung der Erwartungen in der Belegschaft hinsichtlich KI: kostenfrei in der stetig wachsenden Bibliothek des Autors unter www.linkedin.com/pulse/bib-jens-nachtwei-nxswf
Jens Nachtwei forscht und lehrt unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Bereichen Ingenieur- und Organisationspsychologie. In einem Gastbeitrag wirft er einen Blick auf das Spannungsfeld zwischen dem Einsatz von künstlicher Intelligenz und den sich daraus ergebenden psychologischen Auswirkungen auf Beschäftigte.

Beschäftigte erleben eine tiefgreifende Transformation. Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht mehr nur Tool, sondern zunehmend Kollege und Konkurrent. Das ruft die Psychologie auf den Plan: Erleben und Verhalten von Beschäftigten dürfen nicht mehr der blinde Fleck im Diskurs sein. Management und HR müssen Beschäftigte psychologisch gut durch diese Transformation begleiten.
Zwischen Anpassung und Angst
Die Digitalisierung in ihrer aktuellen Ausbaustufe KI bringt für Beschäftigte immense Unsicherheiten mit sich. Zunehmend zeigt sich, dass eine diffuse Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung allgegenwärtig ist. Konkrete Furcht vor technologisch bedingter Arbeitslosigkeit ist kein neues Phänomen, jedoch inzwischen prominenter als je zuvor in der Geschichte der Arbeit. Diese Furcht wirkt nicht nur auf die Leistung, sondern auch auf das allgemeine Wohlbefinden.
Besonders in Tätigkeiten mit hoher Automatisierungswahrscheinlichkeit zeigen Mitarbeitende erhöhte Stresssymptome bis hin zu chronifizierten Gesundheitsproblemen. Immerhin ist algorithmisches Management inzwischen Realität und keine Science Fiction mehr. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, dass sie sich kontinuierlich weiterbilden, digitale Kompetenzen erwerben und flexibel auf neue Technologien reagieren.
Doch wie soll ein Mensch, der unter massivem Anpassungsdruck steht, gleichzeitig die Energie für die eigene Weiterbildung und Job Crafting aufbringen? Hier zeigt sich das erste große Dilemma der digitalen Transformation: Beschäftigte werden überfordert, während ihnen gleichzeitig eine Schlüsselrolle im Wandel zugeschrieben wird.
Humboldt-Universität zu Berlin
Dieser Artikel erscheint in www.i40-magazin.de 2025 - 01.12.25.Für weitere Artikel besuchen Sie