Kamerageführte Robotik
KI mischt die Karten neu
Künstliche Intelligenz macht kamerageführte Robotik einfacher, schneller und prozesssicherer. Ein Retrofit-Use-Case aus der Praxis ermöglicht den direkten Vorher/Nachher-Vergleich.
Bild: Vathos GmbHIndustrielle KI entwickelt sich rasant und wird immer praxisnäher eingesetzt. Ein vielversprechendes Einsatzgebiet ist dabei die kamerageführte Robotik. Ihr ermöglicht Künstliche Intelligenz nämlich ein deutliches Plus an Autonomie und Automatisierung. Klassischerweise nutzen Unternehmen bei kamerageführter Robotik regelbasierte Machine-Vision-Software - beispielsweise für Pick&Place-Anwendungen, bei denen Roboter mithilfe von Kameras Objekte identifizieren, greifen und gezielt auf ein Fließband stellen oder in einer Maschine platzieren.
Damit die Roboter die Objekte erkennen können, muss die Machine-Vision-Software in der Regel mit vielen Werten und Einstellungen parametrisiert werden. Dieser Prozess ist nicht nur äußerst aufwendig und langwierig, sondern erfordert auch umfangreiches Knowhow, das die allermeisten Unternehmen nicht besitzen. Ändern sich Anforderungen oder Bedingungen, muss die Software außerdem entsprechend umkonfiguriert werden. Wurde sie z.B. im Sommer bei optimalen Lichtverhältnissen eingestellt, kann der Roboter im Herbst, wenn sich die Sichtbedingungen verschlechtern, die Objekte oft nicht mehr sicher erkennen und greifen.
Bild: Vathos GmbHModerne Software nutzt neuronale Netze
Moderne Machine-Vision-Software funktioniert nicht mehr regelbasiert, sondern nutzt neuronale Netze. Damit ermöglicht sie es Unternehmen, kamerageführte Robotik einfacher, schneller, kostengünstiger und darüber hinaus auch prozesssicherer zu implementieren. Die neuronalen Netze lassen sich mit synthetischen Daten, die aus den CAD-Modellen der zu greifenden Objekte stammen, darauf trainieren, diese Objekte zu erkennen und zu unterscheiden. Die Software analysiert dann beispielsweise mit ihrem neuronalen Netz die Punktewolken aus einem 3D-Sensor und detektiert die Art des Objekts sowie seine exakte Lage im Raum. Diese Informationen werden genutzt, um den Roboter mit großer Präzision zu führen. Damit ermöglichen die neuronalen Netze eine intelligente Steuerung der Roboterarme. Was klassischerweise parametrisiert werden muss, kann sich KI-basierte Machine-Vision-Software also automatisiert selbst aneignen.
Darüber hinaus lassen sich die neuronalen Netze im laufenden Betrieb mit realen Daten kontinuierlich weitertrainieren. Dadurch steigt die Erkennungsrate im Laufe der Zeit weiter. Die Netze passen sich automatisch an veränderte Umgebungsbedingungen wie z.B. andere Lichtverhältnisse an und bewirken damit eine höhere Prozesssicherheit. Unterstützt wird die Software dabei von einer vernetzten IT-Infrastruktur. Der Produktivbetrieb der neuronalen Netze erfolgt auf einem Industrie-PC nah am Roboter, weil die Verzögerungen durch die Übertragung der Daten an eine Cloud und die Rückmeldung der Ergebnisse für taktzeitkritische Anwendungen zu groß wären. Zudem wäre das Risiko von Ausfällen durch instabile Internetverbindungen zu hoch.
Das initiale Training und das Weitertrainieren der neuronalen Netze wird dagegen in einer Cloud durchgeführt, wo dafür ausreichend Rechenleistung zur Verfügung steht. Das kann je nach Datenschutzanforderungen eine Private Cloud oder eine Public Cloud sein. Bei einer bestehenden Internetverbindung werden die Trainingsergebnisse aus der Cloud permanent mit dem Industrie-PC synchronisiert und halten damit die Modelle stets auf dem neusten Stand.
Bestehende Anlage mit KI nachgerüstet
Ein Retrofit-System aus der Praxis verdeutlicht die Vorteile von kamerageführter Robotik mit KI. In diesem konkreten Fall rüstete ein Unternehmen aus der metallverarbeitenden Industrie eine Schweißanlage nachträglich mit einer KI-basierten Machine-Vision-Software aus. Die Anlage ist bereits seit rund zehn Jahren im Einsatz und produziert im Drei-Schicht-Betrieb täglich über 8.000 Teile. In dieser Anlage setzt ein Pick&Place-Roboter Oberteile auf Unterteile, die dann verschweißt werden, und prozessiert dabei 56 verschiedene Komponenten. In der Vergangenheit setzte das Unternehmen dafür ein parametrisiertes 2D-Verfahren ein.
Seit der Nachrüstung der Anlage mit der KI-basierten Software liefert die Anlage im Vergleich mit dem alten 2D-System über zehn Prozent mehr Output. Das KI-System ermöglicht dem Roboter eine höhere Erkennungsrate und reduziert die Fehlgriffe, da es beispielsweise auch Teile zuverlässig erkennt, die sich nur teilweise im Sichtfeld des Roboters befinden. Das Anlernen von neuen Teilen kann der Maschinenführer mit einigen wenigen Klicks durchführen. Da sie nicht mehr wie früher kompliziert an neue Bauteile angepasst werden muss, hat sich die Umrüstung der Anlage erheblich vereinfacht und beschleunigt.
Zudem hat sich der Programmcode zur Steuerung des Roboters durch die höhere Robustheit des Systems verschlankt. Während das alte System noch zahlreiche Workarounds erforderte, ist der reduzierte Robotercode nun viel einfacher zu warten und spart dadurch Kosten. Hier liegt der wesentliche Vorteil der datengetriebenen KI-Verfahren: Die geringere Parametrisierung eröffnet eine deutlich leichtere und schnelle Inbetriebnahme und spart dadurch Arbeitszeit. Dass schon allein die aktive 3D-Sensorik vorteilhaft ist, zeigt sich daran, dass das Unternehmen die Förderbänder der Anlage nicht mehr so häufig wechseln muss.
Höhere Robustheit der Sensoren
Aktive 3D-Sensoren sind deutlich weniger anfällig für äußere Einflüsse wie beispielsweise zunehmende Verschmutzung durch Öl, welche die Erkennung der Teile bei der Verwendung von 2D-Kameras stören würde. Auch wenn die höhere Robustheit von aktiven 3D-Sensoren bekannt ist, scheuen Unternehmen deren Einsatz in zeitzykluskritischen Anwendungen mit hohem Durchsatz.
Weil parametrisierte 3D-Systeme ohne KI viel größere Datenmengen zur Laufzeit verarbeiten müssen als 2D-Systeme, dauert die Auswertung tendenziell länger, wodurch das System den Greifpunkt nicht schnell genug an den Roboter melden kann. Die künstliche Intelligenz verlagert jetzt aber die rechenintensiven Workloads in den Trainingsprozess. Dadurch kann das System die Teile zur Laufzeit viel schneller erkennen und die Zykluszeit einhalten.
Künstliche Intelligenz macht kamerageführte Robotik einfacher, schneller und prozesssicherer. Ein Retrofit-Use-Case aus der Praxis ermöglicht den direkten Vorher/Nachher-Vergleich.
Bild: Vathos GmbHIndustrielle KI entwickelt sich rasant und wird immer praxisnäher eingesetzt. Ein vielversprechendes Einsatzgebiet ist dabei die kamerageführte Robotik. Ihr ermöglicht Künstliche Intelligenz nämlich ein deutliches Plus an Autonomie und Automatisierung. Klassischerweise nutzen Unternehmen bei kamerageführter Robotik regelbasierte Machine-Vision-Software - beispielsweise für Pick&Place-Anwendungen, bei denen Roboter mithilfe von Kameras Objekte identifizieren, greifen und gezielt auf ein Fließband stellen oder in einer Maschine platzieren.
Damit die Roboter die Objekte erkennen können, muss die Machine-Vision-Software in der Regel mit vielen Werten und Einstellungen parametrisiert werden. Dieser Prozess ist nicht nur äußerst aufwendig und langwierig, sondern erfordert auch umfangreiches Knowhow, das die allermeisten Unternehmen nicht besitzen. Ändern sich Anforderungen oder Bedingungen, muss die Software außerdem entsprechend umkonfiguriert werden. Wurde sie z.B. im Sommer bei optimalen Lichtverhältnissen eingestellt, kann der Roboter im Herbst, wenn sich die Sichtbedingungen verschlechtern, die Objekte oft nicht mehr sicher erkennen und greifen.
Dell GmbH
Dieser Artikel erschien in ROBOTIK UND PRODUKTION 5 (Okt) 2025 - 30.09.25.Für weitere Artikel besuchen Sie www.robotik-produktion.de