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"Am Anfang wurden wir nicht ernst genommen"

Bietet die Bündelverseilung für Kabel in bewegten Anwendungen Vorteile im Vergleich zur Lagenverseilung, und zahlt sich hier ein erhöhtes Augenmerk auf Qualität aus? Rainer Rössel, verantwortlich für das Kabelgeschäft bei Igus, ist sich dessen sicher und geht im Gespräch mit dem SPS-MAGAZIN auf die Ausrichtung des Unternehmens und seines Portfolios ein.

Herr Rössel, in wie weit sollte man bei der Umsetzung von bewegten Anwendungen auf die Qualität der Leitungen achten?

Rössel: Egal ob in Europa oder in China produziert, Leitungen waren früher eigentlich immer lagenverseilt: In dieser Art sind sie günstig herzustellen und für den Großteil der Anwendungen sehr gut geeignet - mit Ausnahme der bewegten Energiekette. In diesem Bereich war es damals völlig normal, dass der Instandhalter regelmäßig die Kabel an seinen Maschinen tauschen musste. Das waren im Grunde genommen Verschleißteile. Als Igus vor rund 25 Jahren in den Leitungsbereich eingestiegen ist, war der konkrete Auslöser eine Reklamation eines Kunden, in dessen Anwendung die Leitungen dem Bewegungsstress nicht standhielten. Der Kabellieferant hatte den Schaden natürlich gleich der Energiekette zugeschrieben, was letztendlich einer Existenzfrage für uns gleichkam: Ist das Konzept der Energiekette aus Kunststoff der richtige Weg? Ab da ging es für uns darum, zu belegen, dass nicht die Kette die Kabel kaputt macht, sondern der Dauerstress und das vorliegende Kabeldesign. Unser Einstieg in den Leitungsmarkt hatte also weniger mit einem konkreten Business-Plan zu tun, sondern war vielmehr eine direkte Antwort auf die genannte Herausforderung.

Wie war die Reaktion auf dem Markt?

Rössel: Als wir mit unseren Ideen anfingen, wurden wir am Anfang nicht ernst genommen. Im gesamten Kabelmarkt ist das Segment für die Kette ja wirklich überschaubar und die Wettbewerber haben damals deutlich mehr Umsatz mit Leitungen gemacht als Igus insgesamt. Wir haben uns also darauf konzentriert, etwas Neues zu entwickeln, haben experimentiert, getestet und einen Prototypen nach dem anderen gefertigt. Irgendwann haben wir uns den Aufbau klassischer Seile näher angeschaut und schussendlich mit der Bündelverseilung eine bewährte Technik auf die Kabelverseilung übertragen.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie mit dem ersten Produkt zum Kunden gehen konnten?

Rössel: Es waren schon ein bis zwei Jahre. Immer wenn wir Kunden überzeugen konnten, die neuen Leitungen auszuprobieren, sind wir schnell sehr ernst genommen worden und haben uns so mit der Zeit den Ruf des kompetenten Fachmanns erarbeitet. Entsprechend hatte unser Leitungskatalog im Jahr 1994 23 Seiten. Heute sind es 832 mit 1.040 Leitungen ab Lager.

Welche Kompetenz mussten Sie entwickeln, um im Kabelgeschäft erfolgreich zu sein?

Rössel: Die Kabelherstellung ist ja kein klassischer Beruf, und ich hatte damals als junger Elektrikingeneur auch noch nicht wirklich mit Kabeln zu tun gehabt. Da blieb nur eines: das Know-how entwickeln, vor allem durch ausprobieren und testen. Viele glauben, man kann Kabelstress und -lebensdauer berechnen oder simulieren, aber das geht aus meiner Sicht nicht. Die einzelnen Faktoren sind dafür zu unterschiedlich. Wenn man nur einen kleinen Parameter verändert, kann das Ergebnis ein ganz anderes sein. Gerade aus diesem Grund ist es für uns so wichtig zu testen. Denn nur so erhält man Messergebnisse, mit denen man dann die Lebensdauer berechnen kann. Und die am Ende die Grundlage für die Erfahrung und das Know-how sind, das man sich über die Jahre hinweg aufbaut. Aus diesem Grund betreiben wir auch in Köln das mit 1.750qm größte Testlabor der Branche.

Wie viel Potenzial sehen Sie noch für weitere Verbesserungen in der Bündelverseilung?

Rössel: Wie gesagt, es wirken auf die Aufbauten und den Fertigungsprozess der Bündelverseilung viele verschiedene Aspekte ein. Allein die Kombination der Werkstoffe und wie man diese extrudiert, dazu die Art der Verseilrichtung und die prozentuale Höhe der Rückdrehung. Das Spektrum der möglichen Ergebnisse haben wir in einer Versuchsreihe gezeigt: Wir haben beispielsweise eine Leitung 48mal produziert, nur bei der Rückdrehung und der Art und Weise der Isolierung haben wir Nuancen verändert und hervorragende Ergebnisse erzielt. Darüber hinaus hat sich hier gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir produktübergreifend unser Wissen von motion plastics, Hochleistungskunststoffen für bewegte Anwendungen, nutzen können. Denn das hat unmittelbaren Einfluss auf die Lebensdauer einer Leitung.

Legt der Anwender mittlerweile einen größeren Anspruch auf Kabelqualität?

Rössel: Ja. Anlagen werden immer dynamischer und die Verfügbarkeit muss hoch sein. Das hat den Markt verändert. Entsprechend ist die Toleranz für Kabelausfälle deutlich geringer und wir sind mit unserem Qualitätsansatz äußerst erfolgreich.

Warum fertigen Sie ihre Kabel nicht selber?

Rössel: Für uns hat das viel mit Philosophie zu tun. Wir kaufen Leitungen nicht irgendwo zu, sondern lassen sie nach unseren exakten Wünschen und Vorgaben in einer handverlesenen Anzahl von qualifizierten Kabelwerken auf der ganzen Welt fertigen. Dabei geben wir jede Kleinigkeit vor: Welcher Leiter zu nehmen ist; welche Isolations- und Mantelungswerkstoffe eingesetzt werden und von welchem Hersteller diese zu beziehen sind welche Wandstärke und welche Schlaglänge zu fahren ist. Da es eben keine Normen auf Kettenleitungen gibt, müssen wir diese definieren und das bis zur Maschine herunter. Bis ein Kabelwerk für Igus Leitung produzieren darf, bedarf es in aller Regel einer Entwicklungs- und Qualifizierungszeit von zwei bis drei Jahren. Und wenn ein Werk dann qualifiziert ist, wird die Fertigung ständig von uns überwacht. So prüfen wir kontinuierlich 20 Prozent aller gefertigten Leitungen und testen diese wieder im igus Labor und bekommen so auch immer wieder wertvolle Lebensdauerdaten.

Das klingt nach einem nicht unbedeutenden Invest für Ihre Zulieferer.

Rössel: Richtig, aber dieser Invest rentiert sich. Denn sie wissen, wenn sie unsere Anforderungen erfüllen, dann können sie auch für jeden anderen produzieren. Weil soviel Aufwand und gleichzeitig auch Invest von igus in der Qualifizierung eines Werkes steckt, springen wir aber auch nicht ständig zwischen den Anbietern hin und her, sondern sehen die Geschäftsbeziehung als echte dauerhafte Partnerschaft.

Überspitzt formuliert, machen Sie in den Kabelwerken also was sie wollen?

Rössel: Alles, was wir tun, erfolgt natürlich im gegenseitigen Einverständnis. Und die Partnerwerke profitieren von dieser Zusammenarbeit, denn mit unseren Fertigungsansprüchen bringen wir sie oft auf ein ganz neues Qualitäts- und Fertigungslevel. Das hat sich im Markt herumgesprochen und ist zur Referenz geworden. So gibt es gibt keinen Tag, an dem mich nicht irgendein ein Kabelwerk auf dieser Welt anruft.

Warum arbeiten Sie nicht nur mit einem großen Kabelhersteller?

Rössel: Es gibt kein Kabelwerk, das alles kann. Nicht mal mit zwei oder drei Kabelwerken lässt sich die gesamte chainflex Vielfalt abdecken. Der nötige Maschinenpark wäre nicht zu bezahlen und nicht zu unterhalten. So kann jeder Betrieb aufgrund seiner Anlagen, des Know-hows oder seiner Vorgeschichte bestimmte Produkte besonders gut.

Wie stellen Sie sicher, dass die für Sie tätigen Kabelwerke nicht die gleichen Leitungen auch für die Konkurrenz herstellen?

Rössel: Das geht letztendlich nur über gegenseitiges Vertrauen. Unser Ansatz unterscheidet uns in der Kabelbranche. Dort findet sich oftmals ein "Kabelwerk-Hopping", ganz nach dem Motto: Ich habe in diesem Jahr ein Volumen von 1.000.000m einer bestimmten Leitung - wer bietet mir das am günstigsten an? Es gibt unter den Kabelproduzenten viele Familienunternehmen, die froh sind, wenn sie dieses Wettbieten nicht mehr mitmachen müssen. Igus hingegen ist ein Langzeitpartner, der jedes Jahr kontinuierlich mit ihnen wächst. Eine solche Partnerschaft setzt man nicht so einfach aufs Spiel, zumal manche Partner mit igus seit über 20 Jahren zusammen arbeiten.

Eine Idee vom Stahlseil geliehen

Auf Suche nach einer neuartigen Lösung wurde Igus beim Aufbau von Stahlseilen und der Bündelverseilung fündig. Dabei unterscheidet sich die Bündelverseilung deutlich von den bis dahin verwendeten und auch heute noch üblichen lagenverseilten Leitungen. Bei letzteren werden die Adern in mehreren Lagen um das Zentrum der Leitung verseilt, wobei häufig zwischen den Lagen noch Folien oder Vliese eingebracht werden. Der Hauptnachteil dieses kostengünstigen Fertigungsverfahrens liegt darin, dass die Adern bei der Biegung innerhalb des Energiekettenradius besonderen Streck- und Stauchkräften ausgesetzt sind. Diese Kräfte, die auf die Adern einwirken, führen zu den gefürchteten Korkenziehern - besonders bei langen, gleitenden Verfahrwegen. Ganz anders das Verfahren bei der bündelverseilten Leitung: Bei beispielsweise 18 Adern werden diese nicht in zwei Lagen übereinander verseilt, sondern zunächst in sogenannten Dreierbündeln miteinander verseilt. Anschließend werden dann diese insgesamt sechs Bündel mit jeweils drei Adern in einer Gesamtverseilung miteinander verseilt. Durch diese mehrfache Verseilung, die auch mit unterschiedlichen Rückdrehverfahren gefertigt wird, stell Igus sicher, dass eine Überdehnung der einzelnen Adern innerhalb des Kettenradius vermieden wird. Unterstützt wird dies dann zusätzlich durch die zwickelfüllend extrudierten Innen- und Außenmäntel, bei dem die Zwischenräume zwischen den Adern völlig mit dem Mantelwerkstoff ausgefüllt wird. So kann sich die Verseilung nicht aufdrehen.

igus GmbH

Dieser Artikel erschien in SPS-MAGAZIN SPSS 2014 - 19.11.14.
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