Auf dem Prüfstand:
WirelessHart im Kontext von Industrie 4.0
Drahtlose Kommunikation bekommt im industriellen Umfeld, insbesondere durch die zunehmende Digitalisierung, Prozess- und Anlagendatenerfassung und Vernetzung eine immer größere Bedeutung. Dieser Artikel beschreibt anhand eines Versuchsstands, welches Potential das drahtlose Kommunikationsprotokoll WirelessHart sowohl aus regelungstechnischer als auch aus Sicht der Industrie-4.0-Idee bietet.
Die angestrebten Entwicklungen rund um den Themenkomplex Industrie 4.0 umfassen aus makroskopischer Sicht eine immer bessere Verknüpfung zwischen Produkten und Dienstleistungen im Hinblick auf die horizontale Vernetzung von Produktionsprozessen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Hinsichtlich der vertikalen Vernetzung gibt es Bestrebungen für alle Unternehmensebenen, angefangen von der Aktor- und Sensorebene bis hin zur Unternehmensplanungsebene eine durchgehende und schnittstellenübergreifende Kommunikation zu schaffen. Außerdem wird angestrebt, Fertigungen von Einzelstücken und Kleinstmengen genauso wie große Losgrößen flexibel zu ermöglichen. Dies erfordert eine große Flexibilität und Modularität von Produktionsanlagen. Zur Realisierung von den zuvor beschriebenen Anforderungen spielen Cyber-physikalische Systeme (CPS) eine zentrale Rolle. Aus mikroskopischer Sicht liegt ein Hauptaugenmerk bei der Umsetzung der Industrie-4.0-Idee auf der Vernetzung innerhalb der Produktion, ein autonomes Auftragsmanagement, einer mengen- oder energieoptimalen Produktion, intelligente Produkte und ein effizientes und einfaches Wartungs- und Störmanagement.
Drahtlose Vernetzung innerhalb der Produktion
Um all diese Anforderungen zu erfüllen, sind eine Vielzahl von Datenübertragungswegen notwendig, was im kabelgebundenen Fall zu einer großen Anzahl von Übertragungsleitungen und -bussen führt. Daraus resultiert ein großer Platzbedarf sowie Installations- und Ressourcenaufwand für Kabeltrassen. Abhilfe schafft die Nutzung von drahtlosen Kommunikationsprotokollen. Drahtlose Kommunikationsprotokolle eignen sich gut für Monitoring und Diagnoseaufgaben, bei denen die Übermittlung von Mess- und Statuswerten zeitunkritisch ist. Jedoch ist es naheliegend, drahtlose Übertragungswege auch für die Rückführung von Messwerten in Prozessregelungen zu nutzen. Einige der zur Übermittlung von Daten verfügbaren Protokolle sind WLAN, ZigBee, Bluetooth, RFID, ISA 100.11a und WirelessHart. In diesem Artikel wird im Weiteren WirelessHart als Übertragungsprotokoll näher betrachtet und auf dessen Stärken sowie Schwachstellen für den Einsatz im geschlossenen Regelkreis und im Kontext zur Industrie 4.0 näher eingegangen. Zunächst wird WirelessHart in der Prozessregelung sowohl simulativ mittels eines Netzwerksimulators als auch an einem realen Versuchsstand untersucht. Das Fließschema des zugrundeliegenden Versuchsstands ist in Abbildung 1 dargestellt. Der abgebildete Anlagenprüfstand besteht aus einem Wasserreservoir, einer Pumpe und einem Stellventil, über das der Durchfluss mess durch den vom überlagerten Regelkreis vorgegebenen Ventilsollwert soll geregelt werden kann (Abbildung 2). Weiterhin befindet sich im System ein Verbraucher. Die Messgröße wird mittels eines kapazitiven Durchflusssensor als mess erfasst. Die Sensoren sind jeweils mit einem WirelessHart-Adapter verbunden, welche die Messwerte an den WirelessHart-Gateway übermitteln. Ebenfalls befindet sich am Ventil ein WirelessHart-Modul zum Empfang von den Messwerten mess. Um die vermaschte Struktur des WirelessHart-Netzwerkes zu veranschaulichen, sind in Abbildung 1 noch vier weitere Feldgeräte eingezeichnet.
Vor- und Nachteile von WirelessHart
Der große Vorteil von WirelessHart ist zunächst, dass sich ein vermaschtes und selbstheilendes Netzwerk ausbildet. Dies bedeutet, sobald ein Übertragungsweg gestört ist, können Messwerte über einen oder mehrere alternative Wege übermittelt werden. Eine weitere Stärke ist, dass die Datenübertragung durch das Scheduling mittels des Netzwerkmanagers, der sich in kommerziellen WirelessHart-Geräten im Gateway befindet, geplant wird. Somit wird sichergestellt, dass jedes Gerät innerhalb bestimmter Zeitfenster Werte übertragen kann. Weiterhin kann jeder Netzwerkteilnehmer als Routing Device agieren und somit kann sich ein WirelessHart-Netzwerk über ein großes Areal ausdehnen und es können Geräte miteinander kommunizieren, deren Signalreichweite zu gering ist, um eine direkte Kommunikation durchzuführen. Nachteile von WirelessHart sind, speziell für regelungstechnische Anwendungen, dass derzeit noch keine Feldgerät-zu-Feldgerät Kommunikation möglich ist. Sämtliche Daten müssen über das Gateway gesendet werden, um schließlich wieder zum Empfangsfeldgerät übermittelt zu werden. Dies ist insbesondere bei dem in diesem Artikel betrachteten Szenario einer dezentralen Durchflussregelung nachteilig, da es hierdurch zu einer größeren durchschnittlichen Übertragungszeit kommt als bei einer direkten Kommunikation zwischen zwei Feldgeräten. Außerdem kann WirelessHart bei der Uplink-Übertragung (Feldgerät zu Gateway) einen Burst einrichten, der es ermöglicht, in immer gleichen Zeitabständen Daten zu übermitteln, aber bei der Downlink-Übertragung geht das nicht. Ein weiterer Nachteil von WirelessHart ist, dass das minimale Übertragungsintervall zwischen zwei nachfolgenden Messwerten bei heutigen kommerziellen WirelessHart-Produkten bei mindestens 1s liegt. Dies ist bei Anlagen problematisch, die im Vergleich zum Sendeintervall von Messwerten eine schnellere Systemdynamik besitzen, wie bei der in diesem Artikel betrachteten Durchflussregelung.
Anforderung an den verwendeten Prozessregler
Wichtige Anforderungen an den Prozessregler sind die Fähigkeit, Paketausfälle zu kompensieren, die bei der drahtlosen Kommunikation durch Interferenzen und sonstige Übertragungsfehler auftreten können. Weiterhin muss ein Regler auf veränderliche Übertragungstotzeiten reagieren, die durch die Auslastung eines drahtlosen Netzwerks oder bei Veränderungen in der Netzwerktopologie zustande kommen können. Außerdem ist eine diskrete und ausreichend langsame Auslegung des Anlagenreglers erforderlich, da neue Messwerte immer erst nach einem großen Zeitintervall durch die drahtlose Übertragungsstrecke am Anlagenregler ankommen. Um diese Anforderungen zu erfüllen, wurde ein Zustandsraummodell der zu regelnden Anlage erstellt. Dieses Modell wird in einem Predictive Outage Controller (POC) genutzt, parallel zum zu regelnden System ausgeführt und schätzt kontinuierlich die Zustände des realen Anlagenprüfstands. Falls ein Paket ausfällt, kann ein vom Modell geschätzter Wert als Ersatz für den verlorenen Messwert genutzt werden. Außerdem ist es möglich, die berücksichtigte Totzeit des Schätzers in ganzen Abtastschritten anzupassen.
Simulation und Messung am Anlagenprüfstand
In diesem Abschnitt werden eine Simulation und eine Messung der entworfenen Regelung mit WirelessHart als Übertragungsprotokoll für die drahtlose Rückführung gezeigt. Die Totzeit wurde in allen Simulationen und Messungen als konstant angenommen. Es wurden Paketausfälle vorgegeben und die Simulation und Messung mit einem PID-Regler mit und ohne die Kompensation von Paketausfällen durchgeführt. Das Resultat aus den Simulationen und Messungen ist in Abbildung 3 zu sehen. Ausgeregelt werden in diesem Beispiel einige Sprünge und eine Rampe. Bei der Rampe entsteht ein Schleppfehler, der durch einen zusätzlichen Integrator im Regler beseitigt werden kann. Durch die hellblaue Linie werden Paketausfälle dargestellt. Immer wenn sie bei fünf ist, treten Paketausfälle auf und bei vier werden Pakete erfolgreich übertragen. Insgesamt fallen in diesem Beispiel 50 Prozent der zu übertragenden Messwerte aus. Die Abtastrate und der Übertragungsintervall von Messwerten beträgt 2s. Es ist zu erkennen, dass es beim traditionellen PID-Regler sowohl bei der Simulation als auch bei der Messung aufgrund der Paketausfälle zu einem Überschwingen kommt (rote und lila Linie). Beim Regelkreis mit einem POC hingegen wird durch die Zustandsschätzung bei Paketausfällen ein Überschwingen verhindert (hellgrüne und orange Linie). Somit ist WirelessHart auch als Übertragungsprotokoll im Regelkreis geeignet.
Weitere Schnittstellen zu Industrie 4.0
Das soeben vorgestellte Szenario beinhaltet ausschließlich eine Prozessregelung für Daten, die mittels des WirelessHart-Protokolls übertragen werden. Jedoch hat WirelessHart ebenfalls großes Potential zur Umsetzung der Industrie-4.0-Idee. So können beispielsweise gleichzeitig neben den Messwerten für die Prozessregelung, Daten zur Leitwarte und in umgekehrter Richtung Konfigurationsdatensätze zur Prozessregelung übermittelt werden (siehe Abbildung 4). Über eine am WirelessHart-Gateway verfügbare Ethernet-Schnittstelle, kann mittels Hart-IP oder Modbus eine Verbindung zum übergeordneten Unternehmensnetzwerk aufgebaut werden. Dadurch können beispielsweise für das am Anlagenprüfstand genutzte Ventil Betriebsdaten erfasst werden und gegebenenfalls eine vorbeugende Instandhaltung betrieben werden. Bestimmte Prozessdaten können dem Qualitätsmanagement zur Prozessüberwachung bereitgestellt werden. Zusätzlich haben übergeordnete Koordinationsebenen eines Unternehmens die Möglichkeit, ebenfalls Daten über Prozesse, Anlagenauslastungen und Betriebszustände bestimmter Anlagenkomponenten abzufragen und dies völlig ohne zusätzlichen Verdrahtungsaufwand.
Verbesserungspotential von WirelessHart
Zusammenfassend ermöglicht WirelessHart eine sehr zuverlässige Übertragung. Bei der Untersuchung im geschlossenen Regelkreis kam es nur sehr selten zu Paketausfällen. Allerdings könnte die Performance des Systems deutlich verbessert werden, indem eine direkte Feldgerät-zu-Feldgerät-Kommunikation für dezentrale Regelungen und eine dazugehörige Burst-Eigenschaft in der Spezifikation geschaffen wird. Weiterhin ist das Übertragungsintervall zwischen zwei Messwerten von 1s für viele regelungstechnische Anwendungen zu groß. Laut WirelessHart-Spezifikation sind Burst-Intervalle von 0,1, 0,25 und 0,5s zulässig, die aber derzeit aus technischen Gründen in kommerziellen Geräten nicht möglich sind. Durch eine Verkleinerung von Zeitslots und eine effizientere Netzwerkplanung könnten auch diese Zeiten realisiert werden. Außerdem wäre eine Priorisierung nach Echtzeitanforderungen von Übertragungspaketen wünschenswert, insbesondere aus Sicht der Möglichkeiten, die WirelessHart auf dem Gebiet der Industrie 4.0 bietet.
Drahtlose Kommunikation bekommt im industriellen Umfeld, insbesondere durch die zunehmende Digitalisierung, Prozess- und Anlagendatenerfassung und Vernetzung eine immer größere Bedeutung. Dieser Artikel beschreibt anhand eines Versuchsstands, welches Potential das drahtlose Kommunikationsprotokoll WirelessHart sowohl aus regelungstechnischer als auch aus Sicht der Industrie-4.0-Idee bietet.
Die angestrebten Entwicklungen rund um den Themenkomplex Industrie 4.0 umfassen aus makroskopischer Sicht eine immer bessere Verknüpfung zwischen Produkten und Dienstleistungen im Hinblick auf die horizontale Vernetzung von Produktionsprozessen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Hinsichtlich der vertikalen Vernetzung gibt es Bestrebungen für alle Unternehmensebenen, angefangen von der Aktor- und Sensorebene bis hin zur Unternehmensplanungsebene eine durchgehende und schnittstellenübergreifende Kommunikation zu schaffen. Außerdem wird angestrebt, Fertigungen von Einzelstücken und Kleinstmengen genauso wie große Losgrößen flexibel zu ermöglichen. Dies erfordert eine große Flexibilität und Modularität von Produktionsanlagen. Zur Realisierung von den zuvor beschriebenen Anforderungen spielen Cyber-physikalische Systeme (CPS) eine zentrale Rolle. Aus mikroskopischer Sicht liegt ein Hauptaugenmerk bei der Umsetzung der Industrie-4.0-Idee auf der Vernetzung innerhalb der Produktion, ein autonomes Auftragsmanagement, einer mengen- oder energieoptimalen Produktion, intelligente Produkte und ein effizientes und einfaches Wartungs- und Störmanagement.
TU Darmstadt
Dieser Artikel erschien in SPS-MAGAZIN 1+2 2017 - 10.02.17.Für weitere Artikel besuchen Sie www.sps-magazin.de