Time-Sensitive Networking
Alleinherrscher TSN?
TSN bringt frischen Wind in die industrielle Kommunikation. Es gibt kaum eine der etablierten Nutzerorganisationen, die der Weiterentwicklung des Ethernet-Standards nicht Vorteile im Zusammenspiel mit Feldbus- und Industrial-Ethernet-Protokollen und entsprechende Bedeutung einräumt. Aber wird neben Time-Sensitive Networking überhaupt noch Platz für andere Kommunikationsstandards sein? Das INDUSTRIAL COMMUNICATION JOURNAL hat verschiedene Experten gefragt.
Es führt kein Weg daran vorbei
Auf diese Frage bekommt man, je nachdem, wem man sie stellt, unterschiedliche Antworten. TTTech kann sie aus der Sicht eines Technologieproviders beantworten, der seit vielen Jahren "time-sensitive" Netzwerke entwickelt. Wir haben uns in den vergangenen Monaten besonders intensiv damit beschäftigt, wie man die hohen Anforderungen in der Maschine - Stichwort Highspeed Motion Control und lange Linientopologien - mit TSN erfüllen kann. Vor allem haben wir dabei die Kombination aus TSN und OPC UA unter die Lupe genommen, denn erst sie bringt tatsächliche Interoperabilität für den Endkunden. Die Erkenntnis ist für uns klar: Mit Gigabit-Ethernet, Cut-Through-Verfahren und einer smarten Highspeed-Implementierung lässt OPC UA TSN alle bestehenden Bussysteme hinter sich. Wie schnell sich OPC UA TSN auch auf der Feldebene durchsetzt, bestimmen aber natürlich nicht wir, sondern die großen Automatisierungshersteller, Maschinenbauer und Endkunden. Abseits spezifischer Interessenslagen muss sich die Industrie diese entscheidenden Fragen stellen: Ist es wirklich sinnvoll, dass ein Maschinenbauer ganze Teams dafür braucht, um die gängigen Feldbusstandards zu unterstützen oder dass ein Komponentenhersteller Marktsegmente nicht bedienen kann, weil er die Vielfalt ressourcenseitig nicht stemmen kann? Die IT-Welt zeigt uns bereits heute, dass es einen anderen Weg gibt. Wenn die unisono im IoT-Kontext gepredigte Datendurchgängigkeit Realität werden soll, dann führt wohl kein Weg an OPC UA TSN vorbei.
Kleinster gemeinsamer Nenner
TSN wird die bislang genutzten Protokolle nicht verdrängen, denn TSN ist ein reiner Layer2-Übertragungsmechanismus und besitzt nicht die Eigenschaften über alle technischen Ebenen, etablierte Protokolle wie Ethercat, Profinet IRT oder Sercos III vollständig zu ersetzen. Vielmehr werden die etablierten Protokolle nach und nach TSN als standardisierte Netzwerktechnologie nutzen und die eigenen Protokollmechanismen darauf aufsetzen. So können die bewährten, eigenen Stärken wie beispielsweise die Modellierung von Applikationen und die technische Planung gewahrt werden, die Anwender sehr schätzen und heute nutzen. Die darunter liegende Netzwerktechnik hingegen wird universell von allen Protokollen und Applikationen über die gesamte Automatisierung durchgängig und flexibel nutzbar sein. Weiterhin wird OPC UA, zusammen mit TSN, eine wichtige Rolle spielen. Langfristig ist ein Trend sichtbar, dass sich OPC UA und TSN zu einem "kleinsten gemeinsamen Nenner" in der Automatisierungswelt entwickeln und auch Funktionen höherer Automatisierungsprotokolle standardisiert zusammengeführt werden können, um in der Welt des IIoT und der Industrie 4.0 leicht und frei zugänglich kommunizieren zu können.
Vielversprechende Testbeds
Ethernet alleine kann auch mit der Echtzeiterweiterung TSN die bisherigen Protokolle nicht verdrängen. Um eine echte Alternative zu bilden, wird Ethernet TSN daher mit OPC UA kombiniert. Beides sind international anerkannte, offene Standards. Zahlreiche große Automatisierungshersteller arbeiten mittlerweile gemeinsam daran, OPC UA TSN in ihre Produkte und somit in die Fabriken zu bringen. Ein wichtiger Teil dieser Arbeit geschieht in den Testbeds des Industrial Internet Consortiums. Dort werden die OPC-UA-TSN-Prototypen der Hersteller auf Interoperabilität getestet. Die ersten Ergebnisse dieser Testbeds sind sehr vielversprechend. Die erreichten Zykluszeiten haben unsere Erwartungen sogar übertroffen. Auch wenn OPC UA TSN vielversprechend und zukunftsträchtig ist, wäre es jedoch falsch zu sagen, dass OPC UA TSN die klassischen Feldbusse von heute auf morgen ersetzt. Jedoch können wir schon heute sagen, dass es eine große Anzahl an Anwendungsfällen geben wird, in denen es Überschneidungen geben wird. Wenn wir uns zum Beispiel die Controller-zu-Controller-Kommunikation ansehen, so macht dort ein einheitlicher Standard basierend auf OPC UA bereits heute Sinn. Wenn OPC UA TSN etabliert ist, gilt das auch für die zeitkritische Kommunikation auf dieser Ebene. Übrigens wird OPC UA TSN auch die Bandbreitenengpässe bestehender Feldbus- und Industrial-Ethernet-Systeme lösen. Da TSN nichts anderes als eine Erweiterung des bestehenden Ethernet-Standards ist, sind alle Ethernet-Bandbreiten, bis hin zu mehreren GBit/s nutzbar.
Erweitertes Anwendungsspektrum
Neutral betrachtet bringt TSN keine neuen Mechanismen mit, welche nicht von den bisher etablierten Protokollen genutzt werden. Die erreichbare Performace liegt damit auch für TSN-Ethernet je nach Wahl der Parameter in ähnlichen Bereichen. Der Umstieg auf zukünftige Standards dürfte jedoch deutlich eleganter ausfallen. Technologisch gesehen ist TSN zuerst einmal ein standardisierter Werkzeugkasten für Echtzeitkommunikation. Der Grund für das enorme Interesse am Thema liegt unserer Ansicht nach nicht an der Technologie: Mit Bezug auf TSN sowie OPC UA kommen derzeit eine Vielzahl von Entwicklern und -Nutzern zusammen um die zukünftige Anwendung bereits in einem frühen Stadium zu gestalten. Die Standardisierung ist nicht von einem einzelnen Unternehmen oder Konsortium getrieben. Dadurch sind auch die Zuständigkeiten längst noch nicht komplett abgesteckt. Eine große Herausforderung liegt darin, dass die potentielle Anwendung von OPC UA TSN ein weit breiteres Anwendungsspektrum hat, als heutige spezifische Protokolle. Durch TSN werden unserer Einschätzung nach vor allem die Standards auf den unteren Ebenen obsolet, die dazugehörigen Profile, angebunden über natives TSN oder OPC UA sind sicherlich weiterhin nützlich. Nur mit einer weitsichtigen Definition der technischen Parameter, der Anwendungsprofile sowie einem universell einsetzbaren Konzept zu Engineering, Konfiguration und Überwachung entsteht hier wirklicher Mehrwert. Ob die Vision einer herstellerübergreifenden Interoperabilität in zunehmend konvergenten Netzen Realität wird, hängt primär davon ab, wie weit die Akteure sich am gemeinsamen Tisch auf praxisgerechte Anwendungsstandards einigen und diese auch mit Verzicht auf proprietäre Erweiterung umsetzen.
Bewährte Profile für die Semantik
Mit einer Übertragungsrate von 1Gbit wird bei Verwendung der geeigneten Elemente des TSN-Standards die Performance heutiger Feldbusse erreicht und übertroffen. Wenn dafür kostengünstige Hardware und eine einfache Konfigurationslösung zur Verfügung steht, kommen weitere Vorteile wie der transparente Datenzugriff auf die Nutzung von Switches ohne spezielle Erweiterungen zum Tragen. Eine echtzeitfähige Kommunikationsverbindung ist für den Informationsaustausch zwischen Automatisierungskomponenten allerdings noch nicht ausreichend. Wie bei einem Telefongespräch, ist neben einer funktionierenden Verbindung auch eine gemeinsame Sprache erforderlich. Bei den heutigen Feldbuslösungen stellen Gerätemodelle und Applikationsprofile, beispielsweise für Antriebsdaten, IO und Safety die gemeinsame Sprache bzw. Semantik dar. OPC Foundation und VDMA haben deshalb die Arbeit an den sogenannten Companion Specifications gestartet, um die für die herstellerübergreifende Interoperabilität so wichtige Semantik für verschiedene Anwendungsbereiche zu definieren. Ein erstes Ergebnis ist der vor kurzem freigegebene Sercos Companion Standard. Grundsätzlich gehe ich also davon aus, dass die heutigen Kommunikationsprotokolle nur teilweise abgelöst werden. Auf der semantischen Ebene werden weiter die heute bewährten Profile zum Einsatz kommen. Auch auf der Datenübertragungsebene sehe ich eine längere Übergangsphase, in der es darauf ankommt, dass sich die heutigen Feldbusse und TSN optimal ergänzen.
Mechanismen von TSN nutzen
Nach dem Siegeszug der Feldbusse traten Anfang der 2000er die Ethernet-basierten Echtzeit-Kommunikationssysteme wie Profinet an, die Herrschaft zu übernehmen. Trotz der vielen Vorteile, die Profinet gegenüber den klassischen Feldbussen hat, ist aber auch Profibus noch weit verbreitet und es werden jährlich millionenfach Geräte neu installiert. Erst seit 2015 werden mehr Profinet- als als Profibus-Geräte neu ins Feld gebracht. Wir werden also beide Systeme alleine schon wegen der installierten Basis von rund 70Mio. Geräten noch lange Zeit in den Fabriken sehen. Für uns als Nutzerorganisation ergibt sich daraus auch die Verpflichtung, beide Systeme auf lange Zeit zu pflegen und weiterzuentwickeln. Mit TSN steht nun eine Technologie in den Startlöchern, die ein echtzeitfähiges Standard-Ethernet bieten wird. Jedoch werden hier nur die unteren Ebenen im ISO/OSI-Layer-Modell adressiert, so dass immer auch ein Applikationsprotokoll benötigt wird. Theoretisch ist eine Datenkommunikation ausschließlich über TSN, also Layer 2, möglich. Allerdings müsste hierfür jeder Dateninhalt für jedes einzelne Gerät extra vom Anwender programmiert werden. Dieser Mehraufwand für den Anwender bei der Geräteintegration widerspricht völlig den Bemühungen nach einer umfassenden Standardisierung bei Industrie 4.0. Anwender wollen auf firmenübergreifende Datenschnittstellen zugreifen. Somit sehen wir in TSN eine logische Weiterentwicklung für Profinet. Wir werden die Mechanismen von TSN nutzen und für Profinet verfügbar machen. Somit können wir an Weiterentwicklungen von Ethernet, wie höheren Bandbreiten einfach partizipieren, und Anwendern ein bewährtes leistungsfähiges industrielles Ethernet-System bieten.
TSN bringt frischen Wind in die industrielle Kommunikation. Es gibt kaum eine der etablierten Nutzerorganisationen, die der Weiterentwicklung des Ethernet-Standards nicht Vorteile im Zusammenspiel mit Feldbus- und Industrial-Ethernet-Protokollen und entsprechende Bedeutung einräumt. Aber wird neben Time-Sensitive Networking überhaupt noch Platz für andere Kommunikationsstandards sein? Das INDUSTRIAL COMMUNICATION JOURNAL hat verschiedene Experten gefragt.
Es führt kein Weg daran vorbei
Auf diese Frage bekommt man, je nachdem, wem man sie stellt, unterschiedliche Antworten. TTTech kann sie aus der Sicht eines Technologieproviders beantworten, der seit vielen Jahren "time-sensitive" Netzwerke entwickelt. Wir haben uns in den vergangenen Monaten besonders intensiv damit beschäftigt, wie man die hohen Anforderungen in der Maschine - Stichwort Highspeed Motion Control und lange Linientopologien - mit TSN erfüllen kann. Vor allem haben wir dabei die Kombination aus TSN und OPC UA unter die Lupe genommen, denn erst sie bringt tatsächliche Interoperabilität für den Endkunden. Die Erkenntnis ist für uns klar: Mit Gigabit-Ethernet, Cut-Through-Verfahren und einer smarten Highspeed-Implementierung lässt OPC UA TSN alle bestehenden Bussysteme hinter sich. Wie schnell sich OPC UA TSN auch auf der Feldebene durchsetzt, bestimmen aber natürlich nicht wir, sondern die großen Automatisierungshersteller, Maschinenbauer und Endkunden. Abseits spezifischer Interessenslagen muss sich die Industrie diese entscheidenden Fragen stellen: Ist es wirklich sinnvoll, dass ein Maschinenbauer ganze Teams dafür braucht, um die gängigen Feldbusstandards zu unterstützen oder dass ein Komponentenhersteller Marktsegmente nicht bedienen kann, weil er die Vielfalt ressourcenseitig nicht stemmen kann? Die IT-Welt zeigt uns bereits heute, dass es einen anderen Weg gibt. Wenn die unisono im IoT-Kontext gepredigte Datendurchgängigkeit Realität werden soll, dann führt wohl kein Weg an OPC UA TSN vorbei.
TeDo Verlag GmbH
Dieser Artikel erschien in Industrial Communication Journal 3 2017 - 06.10.17.Für weitere Artikel besuchen Sie www.sps-magazin.de