"Der deutsche Schaltanlagenbau ist internationale Spitze"
Herr Scharf, wurden bei der Entwicklung des neuen Kompaktschaltschranks AX ähnlich aufwändige Studien und Kundenbefragungen betrieben wie bei dem im letzten Jahr in den Markt eingeführten Großschranksystem VX25 oder wurden diese Verbesserungen weitestgehend vom einen System auf das andere transponiert?
Uwe Scharf: Das Optimierungspotenzial für das neue Produkt haben wir mit dem gleichen Kundenbeirat ermittelt, mit dem wir beim VX25 bereits zusammengearbeitet haben. Wir denken uns tief in die Wertschöpfungsketten unserer Kunden ein, um die Arbeitsabläufe genauestens zu verstehen. Das beginnt bereits bei der Anlieferung unserer Produkte. Bei der neuen Baureihe führen die Erkenntnisse daraus zum Beispiel dazu, dass wir die Türen und Montageplatten unserer Schaltschränke nicht mehr vormontieren. Denn unsere Recherchen haben ergeben, dass etwa 80 Prozent der Schaltanlagenbauer nach Anlieferung der Schränke zunächst einmal die Türen demontieren, um z.B. Gravuren aufzubringen oder Schalter zu montieren. Gleiches gilt für die Montageplatte, die auch niemand im beengten Raum eines Gehäuses bearbeiten möchte. Das waren für uns wichtige Erkenntnisse. Bei einem Großschaltschrank wie dem VX25 konnten wir so allerdings nicht verfahren, da hier die montierten Türen und Montageplatten deutlich schwerer sind und durch den Verbau die Transportsicherheit sichergestellt wird.
Welche besonderen Herausforderungen hatten Sie bei Ihrer neuen Produktionsstätte hier in Haiger zu bewältigen?
Scharf: Die Taktraten hinzubekommen, bei denen schließlich im Optimum bis zu 9.000 Schränke pro Tag produziert werden sollen, war sicherlich die größte Herausforderung. Wir haben es hier mit sehr komplexen verketteten Anlagen zu tun, wo, überspitzt gesagt, vorne ein Metall-Coil hineingefahren wird und hinten ein Schaltschrank herauskommt. Dabei läuft der Fertigungsprozess mit sehr geringen Puffern und sehr wenig manueller Arbeit ab. Die Produktion wird zentral von Leitrechnern gesteuert. 100 Einzelmaschinen, inklusive der Vernetzung sowie der hohen Taktraten: Das ist schon eine riesige Herausforderung. Wir optimieren jetzt noch die einzelnen Schritte und dieses Thema wird uns auch noch eine Weile begleiten. Das Zulieferkonzept erfolgt praktisch just in time mit minimalen Puffern. Der Warenausgang läuft ja jetzt direkt in unser Global Distribution Center, das heißt das GDC steuert letztendlich die Fabrik. Es kennt alle Aufträge, die europaweit reinkommen, weiß genau, was auf Lager ist und erteilt der Fabrik die Aufträge. Die Fabrik produziert, schiebt die Ware ins GDC und ordert gleichzeitig das Material, das benötigt wird, um weiter produzieren zu können. Da gibt es fast keine manuellen Planungsprozesse mehr. Entweder funktioniert die ganze Kette oder sie funktioniert nicht. Fehlerbehebung muss also sehr schnell und möglichst automatisch passieren. Das ist eben das Wesen der Vernetzung.
Mit Blick auf die Digitalisierung der Fertigung bei Ihren Kunden: Wo steht der Schaltanlagenbau im Frühjahr 2019? Gibt es bei Ihren Kunden noch große Diskrepanzen im Hinblick auf die Bereitschaft, Schritte hin zu mehr Digitalisierung einzuleiten bzw. umzusetzen? Gibt es z.B. einen Unterschied zwischen größeren und kleineren Betrieben?
Scharf: Zunächst einmal denke ich, dass der deutsche Schaltanlagenbau international gesehen absolute Spitze ist - und das betrifft sowohl die großen, als auch die kleineren Betriebe. Die Firmen, die nicht professionell aufgestellt sind, haben die letzten 20 Jahre hier in Deutschland nicht überlebt. Europa ist auch stark. In den USA wird die Industrialisierung gerade neu entdeckt. In Asien gibt es beide Extreme: hervorragende große Betriebe und einen Steuerungsbau, der absolut auf Weltniveau ist, es gibt aber auch das andere Extrem. Da ist der Markt sehr stark geteilt. Trotz des sehr guten Niveaus hier in Deutschland werden aber die Potenziale bei weitem noch nicht voll ausgeschöpft. Wir hatten nicht umsonst in unserem Innovation Center bisher mehr als 9.000 Besucher.
Das heißt der Beratungsbedarf unter den Schaltanlagenbauern ist sehr hoch?
Scharf: Absolut. Die Anzahl der Stunden für die Erstellung von typischen Schaltanlagen bewegt sich etwa zwischen 60 und 30, wobei letzterer Wert von nur wenigen Schaltanlagenbauern erreicht wird. Ein Produktionsbetrieb kommt durch Optimierung aber nicht in einem Schritt von 60 auf 30 Stunden, sondern das geht in der Regel von 60 auf 50 Stunden, dann von 50 auf 35 und das Erreichen des Optimums wird dann immer schwieriger, da dies dann Investitionen in Maschinen, Software sowie die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter erfordert. Um unseren Kunden den Weg zu erleichtern, werden wir gemeinsam mit unserem Schwesterunternehmen Eplan ein eigenständiges Consulting zur Optimierung der Wertschöpfungskette im Schaltanlagenbau aufbauen.
www.rittal.de
Herr Scharf, wurden bei der Entwicklung des neuen Kompaktschaltschranks AX ähnlich aufwändige Studien und Kundenbefragungen betrieben wie bei dem im letzten Jahr in den Markt eingeführten Großschranksystem VX25 oder wurden diese Verbesserungen weitestgehend vom einen System auf das andere transponiert?
Uwe Scharf: Das Optimierungspotenzial für das neue Produkt haben wir mit dem gleichen Kundenbeirat ermittelt, mit dem wir beim VX25 bereits zusammengearbeitet haben. Wir denken uns tief in die Wertschöpfungsketten unserer Kunden ein, um die Arbeitsabläufe genauestens zu verstehen. Das beginnt bereits bei der Anlieferung unserer Produkte. Bei der neuen Baureihe führen die Erkenntnisse daraus zum Beispiel dazu, dass wir die Türen und Montageplatten unserer Schaltschränke nicht mehr vormontieren. Denn unsere Recherchen haben ergeben, dass etwa 80 Prozent der Schaltanlagenbauer nach Anlieferung der Schränke zunächst einmal die Türen demontieren, um z.B. Gravuren aufzubringen oder Schalter zu montieren. Gleiches gilt für die Montageplatte, die auch niemand im beengten Raum eines Gehäuses bearbeiten möchte. Das waren für uns wichtige Erkenntnisse. Bei einem Großschaltschrank wie dem VX25 konnten wir so allerdings nicht verfahren, da hier die montierten Türen und Montageplatten deutlich schwerer sind und durch den Verbau die Transportsicherheit sichergestellt wird.
Rittal GmbH & Co. KG
Dieser Artikel erschien in SCHALTSCHRANKBAU 3 2019 - 23.05.19.Für weitere Artikel besuchen Sie www.schaltschrankbau-magazin.de