Das Ende der Automatisierungspyramide?
IT-Architektur für die Smart Factory
Die hierarchisch und funktional aufgebaute Automationspyramide wird den Anforderungen an die IT-Architektur einer Fabrik oft nicht mehr gerecht. Hier könnte sich eine hoch integrierte Systemarchitektur eignen, die entlang der Wertschöpfungskette Entscheidungen in Echtzeit fällen kann - regelbasiert oder auf der Basis von künstlicher Intelligenz.
Die Produktions-, Organisations- und IT-Strukturen sind durch Jahrzehnte alte Muster wie Takt und Band geprägt. Die Lieferzeiten in der Regel durch Monats- oder Wochenzyklen und geringe Variantenvielfalt. Mit dem Auftreten von IT-Anwendungen wie ERP, MES und CNC/SPS-Steuerungen etablierte sich in den 80er-Jahren die Automationspyramide, mit Funktionszuordnungen und Zeithorizonten, um Organisationstrukturen auf IT-Architektur abzubilden. Dabei werden ERP-Planungsläufe in der Regel alle 24 Stunden ausgeführt, Manufacturing Execution Systems (MES) einmal am Tag mit Informationen zu Aufträgen versorgt, die dann autark auf Schichtebene in der Feinplanung manuell weiterplanen. Stammdaten zum Produkt, Auftrag und Maschine werden jeweils separat gepflegt, häufig doppelt und mit der Gefahr von Inkonsistenz. Zustandsinformationen zu Kennzahlen, aktuellen Maschinenzuständen oder WIP-Beständen bleiben auf MES-Ebene oder werden zeitversetzt zurückgemeldet. Rezepturen, Material und maschinenspezifische Parameter werden häufig auf SPS-Ebene direkt gepflegt. Funktionen wie Instandhaltung, Logistik und Qualitätssicherung laufen meist in separaten, selten integrierten IT-Systemen. In jeder Produktion befinden sich pro Standort zwischen 10 bis 50 IT-Systeme bzw. separater Anwendungen, die sich auf Unternehmensebene schnell auf hunderte Applikationen summieren. Die organisatorische Trennung der Verantwortung bzw. Funktionen, führte in den Fachbereichen zu Einführung von stark spezialisierten Anwendungen. Ein integrativer und prozessorientierter Ansatz konnte sich letztlich selten im Entscheidungsprozess durchsetzen. Kein Wunder also, das die Produktion häufig als schwarzes Loch gilt, weil es Transparenz und Flexibilität vermissen lässt.
Kein 'Entweder, oder' mehr
Die Anforderungen an moderne Wertschöpfungssysteme sind um den Faktor 10 bis 100 höhere Reaktionsfähigkeit und millionenfache Variantenvielfalt für kundenindividuelle Produkte mit Losgröße 1 geprägt. Es geht nicht länger um Effizienz oder Flexibilität, sondern um eine Verbindung von beidem. Dies wird nur durch die konsequente Nutzung digitaler Technologien erreicht werden, weil starre Zuordnung von Funktionen und starre Zeithorizonte die Flexibilität zu sehr einschränken. Folgende fünf Design-Regeln gilt es auf diesem Weg zu beachten.
Planung in Echtzeit
Wenn bei Losgröße 1 Lieferzeiten binnen 24 Stunden möglich werden sollen, ist eine Lieferung aus dem Lager kaum mehr möglich. Der Bedarf schlägt unmittelbar auf die Produktion durch. Da passt es nicht mehr, wenn der MRP-Lauf einmal täglich ausgeführt wird. Auch das Anstoßen von Beschaffung und Logistikprozessen muss sofort erfolgen. Eine Trennung von ERP, MRP und MES-Feinplanung ergibt auch wenig Sinn. Stattdessen sollte aumatisiert und regelbasiert im Minuten- oder Stundentakt geplant werden. Für die Planung müssen vorhergesagte Maschinenverfügbarkeiten, gegebenenfalls Energiepreise, Transportzeiten zum Kunden usw. als Parameter berücksichtigt werden.
Integrierte Datenmodelle
Um in der Planung, der Produktionsausführung, Instandhaltung und Qualitätssicherung kontextbezogen Entscheidungen fällen zu können, braucht es ein einheitliches integriertes Modell des digitalen Zwillings. Insbesondere über IT-System- und Prozessgrenzen vereinheitlichte Stammdaten spielen eine zentrale Rolle. Der Aufbau eines konsistenten digitalen Zwillings kann zum Herzstück einer Smart-Factory-Architektur avancieren.
Alle Systeme verknüpfen
Die größte Herausforderung in heutigen Produktionssystemen ist die fehlende Transparenz, um zeitnah Entscheidungen fällen zu können. Die Architektur der Smart Factory zeichnet sich durch eine möglichst vollständige Integration aller beteiligten Systeme aus. So können Informationen zeitnah fließen und schnell Entscheidungen in einem komplexen Umfeld gefällt werden. Durch den Werker, Produktionsverantwortliche oder später durch Algorithmen auf Basis künstlicher Intelligenz. Nur wenn der Kontext hergestellt werden kann, sind Entscheidungen möglich. Solche Entscheidungen können mit dem Paradigma der Pyramide - alle Ebenen sind funktional autark und haben die jeweiligen ausreichenden Informationen - nicht getroffen werden.
Analysedaten nicht mehr trennen
Die Effizienz und Flexibilität der Smart Factory wird im Wesentlichen durch die Reaktionsfähigkeit auf reale Ereignisse als auch auf vorhergesagten Ereignissen basieren. Dafür ist es notwendig, kontinuierlich transaktionale mit zeitbasierten Daten gemeinsam analysieren zu können. Wenn die Maschine Qualitätsprobleme auf Basis von Prozesswerten erkennt bzw. vorhersagt, müssen alle betroffenen Aufträge gegebenenfalls serialisierten Produkte identifiziert, aber auch Instandhaltung oder Logistikprozesse angestoßen werden. In heutigen Architekturen ist eine nahtlose Analyse häufig nicht möglich. Der Kontext zwischen Prozesswerten und Auftrags-/ Materialinformationen muss in der Regel manuell aus verschiedenen Datenbanken herausgesucht werden. Das erfolgt heute meist bei Rückrufen oder anderen Abweichungen, wird aber meist nicht kontinuierlich zur Optimierung genutzt. In aktuellen Architekturen ist Datenanalyse meist auf den Domainexperten im jeweiligen System begrenzt.
Funktionen verteilen
Um die Anforderungen an Simulation, Planung, Prädiktion aber auch Datenerfassung und Analyse flexibel gestalten zu können, bedarf es einer Kombination aus dezentralen Daten und zentralen bzw. Cloud-Strukturen. Insbesondere wenn sich die Wertschöpfungskette immer weiter aufzieht und Lieferanten, Dienstleister oder Logistiker integriert werden müssen, stoßen klassische On-Premise-Architekturen an ihre Grenzen. In vielen Geschäftsmodellen wird der Kunde ein Akteur in der Wertschöpfungskette und muss in Echtzeit eingebunden werden. Soll noch bis eine Stunde vor Auslieferung eine Individualisierung durch den Kunden möglich sein, geht das nicht mehr mit geschlossenen Lösungsarchitekturen.
Zusammenfassung und Fazit
Die Smarte Fabrik benötigt eine hochintegrierte Systemarchitektur, die entlang der Wertschöpfungskette Entscheidungen in Echtzeit und im richtigen Kontext regelbasiert auf Basis von KI-Algorithmen fällen kann. Der digitale Zwilling ist dabei das Schlüsselelement bei Daten- und Prozessintegration. Prozess- und Funktionsverteilung können flexibel gestaltet werden und bedarfsorientiert je nach Latenz, Performance oder Sicherheitsbedürfnis zwischen Edge und Cloud verschoben werden. So können herstellende Unternehmen zu einer Fabrik gelangen, die Effizienz und Flexibilität in einem bislang unerreichbarem Maß kombiniert.
Die hierarchisch und funktional aufgebaute Automationspyramide wird den Anforderungen an die IT-Architektur einer Fabrik oft nicht mehr gerecht. Hier könnte sich eine hoch integrierte Systemarchitektur eignen, die entlang der Wertschöpfungskette Entscheidungen in Echtzeit fällen kann - regelbasiert oder auf der Basis von künstlicher Intelligenz.
Die Produktions-, Organisations- und IT-Strukturen sind durch Jahrzehnte alte Muster wie Takt und Band geprägt. Die Lieferzeiten in der Regel durch Monats- oder Wochenzyklen und geringe Variantenvielfalt. Mit dem Auftreten von IT-Anwendungen wie ERP, MES und CNC/SPS-Steuerungen etablierte sich in den 80er-Jahren die Automationspyramide, mit Funktionszuordnungen und Zeithorizonten, um Organisationstrukturen auf IT-Architektur abzubilden. Dabei werden ERP-Planungsläufe in der Regel alle 24 Stunden ausgeführt, Manufacturing Execution Systems (MES) einmal am Tag mit Informationen zu Aufträgen versorgt, die dann autark auf Schichtebene in der Feinplanung manuell weiterplanen. Stammdaten zum Produkt, Auftrag und Maschine werden jeweils separat gepflegt, häufig doppelt und mit der Gefahr von Inkonsistenz. Zustandsinformationen zu Kennzahlen, aktuellen Maschinenzuständen oder WIP-Beständen bleiben auf MES-Ebene oder werden zeitversetzt zurückgemeldet. Rezepturen, Material und maschinenspezifische Parameter werden häufig auf SPS-Ebene direkt gepflegt. Funktionen wie Instandhaltung, Logistik und Qualitätssicherung laufen meist in separaten, selten integrierten IT-Systemen. In jeder Produktion befinden sich pro Standort zwischen 10 bis 50 IT-Systeme bzw. separater Anwendungen, die sich auf Unternehmensebene schnell auf hunderte Applikationen summieren. Die organisatorische Trennung der Verantwortung bzw. Funktionen, führte in den Fachbereichen zu Einführung von stark spezialisierten Anwendungen. Ein integrativer und prozessorientierter Ansatz konnte sich letztlich selten im Entscheidungsprozess durchsetzen. Kein Wunder also, das die Produktion häufig als schwarzes Loch gilt, weil es Transparenz und Flexibilität vermissen lässt.
Trebing & Himstedt Prozeßautomation
Dieser Artikel erschien in MES Wissen Kompakt (April) 2020 - 08.04.20.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com