Vom MPR I-Lauf bis zum Advanced Planning & Scheduling
Welche Produktionsplanung soll es sein?
Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum. Wieviel Wahrheit steckt in diesem Sinnspruch, wenn es um die Produktionsplanung und -steuerung (PPS) mit ERP-Software geht? Tatsächlich sind viele Unternehmen mit ihren Planungsresultaten nicht zufrieden. Hier anzusetzen lohnt, denn mit der Produktionsplanung steht und fällt die Termintreue, eine bedarfsgerechte Materialversorgung und die Effizienz der Produktion.
Die Basis für eine funktionierende Produktionsplanung und -steuerung, ob mit oder ohne ERP, sind Absatzprognosen und Kundenaufträge, eventuell noch Lageraufträge, hinter denen letztlich aber auch Kundenaufträge stehen. Eine für ein ERP-System verwendbare Absatzprognose muss bis auf die genaue Identnummer des Verkaufsprodukts heruntergebrochen sein. Eine Vorhersage auf aggregierten Produktgruppenebenen ist planerisch nicht verwendbar und muss gegebenenfalls auf Basis von Vergangenheitswerten auf Einzelprodukte verteilt werden. Ähnliches gilt für konfigurierbare Produkte, deren Variantenfestlegung erst bei der Erfassung des konkreten Kundenauftrags entsteht. Wenn dann die Varianten konstruktionsbedingt bereits in den untersten Stücklistenstufen festgelegt werden, ist selbst eine auftragsneutrale Planung von Komponenten und Baugruppen schwierig. Die Konsequenzen sind entweder lange Lieferzeiten, weil keine kundenauftragsneutrale Vorfertigung möglich ist, oder hohe Bestände aufgrund einer Vielzahl an vorgefertigten oder beschafften Komponenten und Baugruppen. Selbst wenn diese erschwerenden Randbedingungen nicht vorliegen, stellt eine Absatzprognose angesichts immer individueller Produkte, kürzerer Lieferzeiten und volatilerer Märkte eine Produktionsplanung mit ERP-Systemen vor steigende Herausforderungen. Dabei kann eine klassische ERP-basierte Absatzplanung zwar helfen, aber deutlich bessere Hebel bieten meist Ansätze, die moderne Möglichkeiten rund um das Internet of Things und Industrie 4.0 nutzen.
Wenn Kundenaufträge stören
Das Zitat eines Fertigers: "Wünschenswert wäre eine Planung für den Vertrieb, die es in Echtzeit ermöglicht unter Berücksichtigung von Materialverfügbarkeit und Auslastung über alle Fertigungsstufen einen entsprechenden Liefertermin zu ermitteln." Da dies in den meisten Unternehmen Wunschdenken ist, werden in der Praxis Liefertermine anhand von Standardlieferzeiten, Online-Bestandsinformationen oder erst nach Rückfragen und aufwändigen Ermittlungen in der Disposition zugesagt. Aber wie sehen die Alternativen aus und was können gängige Module zur Produktionsplanung und -steuerung in den ERP-Systemen? Wie unterscheiden sie sich von Advanced Planning and Scheduling-Tools (APS) und wie grenzen sich beide gegen die Leitstände zur Planung und Steuerung ab, die Manufacturing Execution-Systeme meist mitbringen?
Der Klassiker - PPS im ERP-System
PPS auf ERP-Basis ist der Klassiker unter den IT-gestützten Lösungen zur Produktionsplanung. Da sich die Planbarkeit je nach Art der Komponenten, Baugruppen und Erzeugnisse unterscheidet, unterstützen ERP-Systeme in der Regel drei Verfahren für die Produktionsplanung: die bedarfsgesteuerte Planung mit dem Material Requirements Planning-Verfahren (MRP), die verbrauchsgesteuerte Planung mit Meldebeständen oder stochastischen Bedarfen sowie eine Vorplanung für Leitteile oder eine Baugruppenvorplanung. Alle Verfahren erzeugen Produktions- und Beschaffungsvorschläge mit Menge und Termin. Aus Sicht der Produktionsplanung steht dabei die MRP-Planung im Vordergrund, meist als Batch-Lauf in der Nacht, eventuell noch einmal 'regulär' im Tagesverlauf oder auch als Ad hoc-Planung bei Bedarf. Dabei werden die Auftragsvorschläge durch Rückwärtsterminierung ausgehend vom Bedarfstermin gebildet. Dies kann anhand einer Stücklistenauflösung über eine Vielzahl an Fertigungsstufen mit entsprechender Losbildung auf jeder Stufe erfolgen. Wenn im MRP-Lauf aufgrund (zu) knapper Kunden- oder Bedarfstermine der Starttermin von Produktionsaufträgen in der Vergangenheit liegen, erfolgt zumeist eine automatische Vorwärtsterminierung der betreffenden Aufträge, ausgehend von der 'Heute-Linie' mit verkürzten Pufferzeiten, so dass sich damit theoretisch machbare Fertigstellungstermine und eine rückstandsfreie Planung ergeben.
Dilemma Sukzessivplanung
Damit ist der MRP-Lauf zumeist noch nicht beendet. Weil sich in der ERP-Welt das MRP II-Verfahren mit einer Material- und Kapazitätsplanung durchgesetzt hat, beginnt nun das bekannte Dilemma der MRP II-Sukzessivplanung. Denn erst, wenn die Aufträge bereits mengen- und terminmäßig geplant sind, werden Aufträge auf Kapazitäten, also auf Arbeitsplätze, eingelastet. Das heißt, erst wenn die Aufträge terminiert sind, stellt das System fest, ob damit Arbeitsplätze unter- oder überlastet sind und weist dem Planer die Kapazitätssituation aus. Um etwaigen Engpässen vorzubeugen, lassen sich Aufträge verschieben oder mehr Kapazitäten durch Überstunden oder Schichtänderungen schaffen. Die dafür erforderlichen Abstimmungen laufen allerdings meist manuell. Daher wird das Verfahren auch als 'infinite Planung' gegen unbegrenzte Kapazitäten bezeichnet. Eine sogenannte 'finite Planung' gegen begrenzte Kapazitäten ist im Rahmen einer MRP-Sukzessivplanung in der Praxis schon aufgrund der zumeist falschen Terminfenster der Aufträge wenig sinnvoll, selbst wenn das ERP-System einen automatisierten Kapazitätsabgleich unterstützt.
Planung für mehrere Werke
Ein weiteres Problem bei der klassischen Produktionsplanung und -steuerung zeigt sich, wenn Planungen von mehreren Werken harmonisiert werden sollen, denn der MRP-Lauf erfolgt stets werksbezogen. Je nach System kann der Planungsbereich noch um Produktionsbereiche und Lagerorte ausgeweitet oder eingegrenzt werden. Aber wenn Unternehmen im Werksverbund arbeiten, müssen Bedarfe von einem MRP-Lauf an den nächsten übergeben werden. Damit ist eine direkte Transparenz und der Überblick über die Lieferkette kaum mehr gegeben und wechselseitige Lieferbeziehungen können nicht mehr zeitnah abgebildet werden. Für Unternehmen, die extern und intern mit klassischen Kunden-/Lieferantenbeziehungen arbeiten, stellt dies meist kein Problem dar. Unternehmen mit Just-In-Time-Prozessen stoßen damit schnell an Grenzen.
Fortschritt durch APS
In Summe haben die beschriebenen Schwächen des MRP I- und MRP II-Verfahrens zur Entwicklung von fortschrittlicheren Verfahren und Softwarelösungen, sogenannter Advanced Planning and Scheduling-Anwendungen (APS) geführt. Dabei kann man sich akademisch darüber streiten, ob APS-Tools nun eher als ERP-, als Supply Chain-oder eher als MES-Lösungen angesehen werden müssen. Tatsächlich stellen APS-Methoden zum einen eine Erweiterung des klassischen ERP-MRP-II-Ansatzes dar, zum anderen haben sich in der Praxis zwei unterschiedliche Arten von APS-Systemen herauskristallisiert. Eine Reihe von APS-Tools bilden sowohl die ganze Lieferkette über mehrere Standorte und Werke ab und unterstützen darüber hinaus die terminliche Feinplanung und die Kapazitätsplanung von Produktionsressourcen innerhalb eines Standortes.
Feinplanung mit MES
Andere, eher MES-orientierte APS-Anwendungen beschränken sich auf die Feinplanung und Steuerung von Produktionsaufträgen innerhalb eines Werkes, die vorher im ERP-System über einen MRP-Lauf erzeugt wurden. Dabei erfolgt die Planung zumeist separat für einzelne Planungs-/Fertigungsbereiche. Dies geschieht bei nahezu allen Lösungen auf der Basis grafischer Plantafeln oder Leitstände. Unabhängig von der Art der APS-Lösung erfolgt die Bedarfsermittlung immer im Hauptspeicher, um trotz der größeren Datenmengen vertretbare Laufzeiten zu erreichen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu den klassischen MRP I- und MRP II-Verfahren ist, dass die eigentliche Mengen- und Kapazitätsbedarfsermittlung meist nicht mehr auf Basis von Stücklisten- und Arbeitsplänen basiert, sondern mit daraus gebildeten Auftragsnetzstrukturen erfolgt. Erst damit ist eine simultane Planung von Ressourcen wie Material, Maschinen, Personal und Werkzeugen und die Berechnung von Produktionsstartterminen über Standorte und Fertigungsstufen hinweg möglich.
Chancen durch Industrie 4.0 und IoT
Trotz aller Vorteile, die sowohl Supply Chain- als auch MES-orientierte APS-Tools theoretisch im Vergleich zur klassischen ERP-basierten Produktionsplanung bieten, zeigt die Praxis in den Unternehmen die Grenzen der Planbarkeit einer Produktion auf. Denn letztlich müssen immer wieder in Stamm- und Bewegungsdaten gegossene Annahmen getroffen werden über Auftragsdurchlaufzeiten, Maschinenkapazitäten, Komponentenverfügbarkeiten und vieles mehr. Aber das heißt nicht, dass es keine Verbesserungsmöglichkeiten gäbe. Viele Unternehmen verbinden die Begriffe Industrie 4.0 und IoT in erster Linie mit MES- und neuen Cloudanwendungen, aber verlieren dabei die Möglichkeiten und Chancen zur Verbesserung ihrer klassischen Produktionsplanung und -steuerung mit ERP aus den Augen. Allein verbesserte Kommunikationswege und Realtime-Informationen über Bedarfe, Bestände, WIP, Maschinenkapazitäten, Werkzeugverfügbarkeiten, aktuelle Schichtpläne, die OEE et cetera bergen enormes Potential, das viel zu selten im Fokus aktueller Projekte steht. Dabei sind schnelle und verlässliche Lieferterminaussagen mit entsprechender Liefertermineinhaltung, bedarfsgerechte Bestellungen und Abrufe bei Lieferanten und eine planbare, effiziente Produktion nach wie vor die Existenzgrundlage der meisten Industrieunternehmen.
Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum. Wieviel Wahrheit steckt in diesem Sinnspruch, wenn es um die Produktionsplanung und -steuerung (PPS) mit ERP-Software geht? Tatsächlich sind viele Unternehmen mit ihren Planungsresultaten nicht zufrieden. Hier anzusetzen lohnt, denn mit der Produktionsplanung steht und fällt die Termintreue, eine bedarfsgerechte Materialversorgung und die Effizienz der Produktion.
Die Basis für eine funktionierende Produktionsplanung und -steuerung, ob mit oder ohne ERP, sind Absatzprognosen und Kundenaufträge, eventuell noch Lageraufträge, hinter denen letztlich aber auch Kundenaufträge stehen. Eine für ein ERP-System verwendbare Absatzprognose muss bis auf die genaue Identnummer des Verkaufsprodukts heruntergebrochen sein. Eine Vorhersage auf aggregierten Produktgruppenebenen ist planerisch nicht verwendbar und muss gegebenenfalls auf Basis von Vergangenheitswerten auf Einzelprodukte verteilt werden. Ähnliches gilt für konfigurierbare Produkte, deren Variantenfestlegung erst bei der Erfassung des konkreten Kundenauftrags entsteht. Wenn dann die Varianten konstruktionsbedingt bereits in den untersten Stücklistenstufen festgelegt werden, ist selbst eine auftragsneutrale Planung von Komponenten und Baugruppen schwierig. Die Konsequenzen sind entweder lange Lieferzeiten, weil keine kundenauftragsneutrale Vorfertigung möglich ist, oder hohe Bestände aufgrund einer Vielzahl an vorgefertigten oder beschafften Komponenten und Baugruppen. Selbst wenn diese erschwerenden Randbedingungen nicht vorliegen, stellt eine Absatzprognose angesichts immer individueller Produkte, kürzerer Lieferzeiten und volatilerer Märkte eine Produktionsplanung mit ERP-Systemen vor steigende Herausforderungen. Dabei kann eine klassische ERP-basierte Absatzplanung zwar helfen, aber deutlich bessere Hebel bieten meist Ansätze, die moderne Möglichkeiten rund um das Internet of Things und Industrie 4.0 nutzen.
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HIR Hoff Industrie Rationalisierung GmbH
Dieser Artikel erschien in ERP CRM Wissen Kompakt 2017 - 14.12.17.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com