Annahmebasierte Geschäftsmodellentwicklung
Prüfstand für Geschäftsideen
Gute Ideen für neue Geschäftsmodelle gibt es viele. Doch welche passt wirklich zu einem Unternehmen? Um das herauszufinden, sollten bereits die Prämissen einer Idee strukturiert geprüft werden. Das daraus entstehende Wissen hilft auch bei der weiteren Planung.
Bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle liegt der Kern der Leistungserbringung in der IT, der Kern des Nutzenversprechens jedoch nicht zwangsläufig. Klickrent ist beispielsweise ein digitaler Marktplatz für den Verleih von Bautechnik. Als Tochter des Zeppelin-Konzerns kannibalisiert diese Lösung jedoch das Geschäft des Mutterkonzerns, da die Plattform den Verleih herstellerunabhängig ermöglicht. Während die Leistungserbringung digital abgewickelt wird, liegt das Nutzenversprechen darin, Technik mieten und vermieten zu können. Dies bedeutet für die Validierung des Geschäftsmodells, dass zunächst nicht die digitale Plattform im Mittelpunkt steht, sondern das Bedürfnis nach Miete oder Vermietung (hier von spezialisierter Bautechnik). Punkte wie diese werden oft übersehen, wenn der beim Fokus starr auf digitalen Lösungen liegt.
Passend zur Strategie
Die Auswahl einer Geschäftsmodell-idee sollte grundsätzlich an die strategische Ausrichtung eines Unternehmens angepasst sein. Je breiter die Streuung, desto mehr hilft das, Krisen und Abschwüngen mittels der Erschließung neuer Absatzmärkte und -kanäle entgegenzuwirken. Gleichzeitig sind diese risikoreicher, weswegen ein sinnvoller Mix an Ideen erstrebenswert ist. Ähnliches gilt für den Zeithorizont: Kurzfristig umsetzbare Ideen lohnen sich vor allem, um das Unternehmen mit dem Vorgehen vertraut zu machen und schnelle Ergebnisse zu erzielen. Je mehr sich das Unternehmen an die Herangehensweise gewöhnt und Erfolge erzielt wurden, desto stärker sollte der Fokus jedoch auf langfristigere und disruptivere Ideen gesetzt werden.
Vier Dimensionen von Geschäftsmodellen
Neben den unternehmensspezifischen existieren eine Vielzahl weiterer Bewertungskriterien für die Geschäftsmodellideen. Nach Gassmann besteht ein Geschäftsmodell aus vier Fragedimensionen: Wer ist der Zielkunde und was sind dessen Bedürfnisse, was ist das Nutzenversprechen und mit Hilfe welcher Produkte und Leistungen wird es erzeugt, wie wird das Nutzenversprechen umgesetzt und warum ist das Geschäftsmodell profitabel? Bezugnehmend auf den Kunden werden beispielsweise die strategische Wichtigkeit des Kundensegments, die Relevanz des Kundenproblems oder das Marktwachstum an sich bewertet. Für das Nutzenversprechen sind Aspekte wie der Mehrwert der Lösung, sowie das Weiterentwicklungs- oder auch Skalierungspotenzial entscheidend. Des Weiteren sollten die Zahlungsbereitschaft des Kunden, das benötigte Investment und zuletzt der Reifegrad der eingesetzten Technologie, der eigene Anteil an der zu erbringenden Wertschöpfung und Synergieeffekte evaluiert werden. Digitale Geschäftsmodellideen haben typischerweise höheres Skalierungspotenzial. Für Unternehmen, deren Kernkompetenz nicht die IT ist, sind stark digitale Lösungen jedoch häufig mit höheren organisatorischen Herausforderungen verbunden. Die Umsetzung dauert dann meist länger und sie erfordert Veränderungswillen im Topmanagement - auch die Unternehmenskultur und der Kompetenzmix der Mitarbeiter können sich verändern.
Annahmen prüfen
Steht eine Idee, muss sie validiert werden, was oft mit Ungewissheit verbunden ist: Neue Geschäftsmodelle bewegen sich eher außerhalb des Kernbereichs eines Unternehmens, erfordern Änderungen in der Leistungserbringung und erschließen neue Kundensegmente oder bestehende Kunden auf direkterem Weg. Da jedoch nur wenige oder keine Erfahrungswerte bestehen, sind belastbare Prognosen nur schwer möglich. Um in diesem Umfeld Geschäftsmodelle systematisch zu erarbeiten, hat sich die annahmebasierte Geschäftsmodellentwicklung bewährt. Das Ziel ist, die Ungewissheit systematisch zu reduzieren, um die Ideen mit möglichst wenig Aufwand zu überprüfen. Die Methode liefert in einem iterativen Prozess die Grundlage, Ideen an das erworbene Wissen anzupassen, sie unverändert weiterzuverfolgen oder im Zweifel zu stoppen.
Methode mit fünf Phasen
Das Vorgehen richtet sich dabei nach der Überprüfung der jeweils kritischsten Annahmen der Ideen. Neue Geschäftsmodelle basieren häufig auf Annahmen. Diese betreffen beispielsweise interne Aspekte wie die technische Machbarkeit, die benötigten Ressourcen, Umsetzungsdauer oder vorhandene Fähigkeiten. Die wichtigsten Annahmen sollten jedoch immer den späteren Abnehmer betreffen. Generell lässt sich das Vorgehen in fünf Phasen unterteilen.
Bedürfnisse erkennen
Ist eine Idee dokumentiert, empfiehlt sich die Validierung des sogenannten Problem/Solution-Fit: Dabei stellt sich die Frage, ob Kunden ein Bedürfnis am Geschäftsmodell haben. Falls ja, führt dies zur Frage, ob die angedachte Lösung dieses Bedürfnis befriedigen kann - ob prinzipiell Interesse an einer Lösung besteht. In dieser Phase stehen qualitative Aspekte im Vordergrund, denn das Unternehmen muss vom potenziellen Kunden lernen, um eine passende Lösung zu entwickeln. Gleichzeitig verfeinert sich dabei die Segmentierung der Zielgruppen - dabei sollte der Fokus auf der Gruppe mit dem größten Problem oder Bedürfnis liegen.
Interesse am Angebot
Ist dies bestätigt, wird in der Product/Market-Fit-Phase überprüft, ob das konkrete Geschäftsmodell in seiner Gesamtheit auf Kundeninteresse stößt. Dabei sollten die 'Must-haves' sowie die theoretische Machbarkeit der Lösung erarbeitet werden. Dies geschieht mittels Visualisierung, MVPs (Minimum Viable Products) und direkter Kundeninteraktion. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen wiederum in die Lösung ein, die dann erneut geprüft wird.
Zahlungsbereitschaft
An diese Phase schließt sich die Überprüfung des Revenue Models an, also der Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden. Diese erst in dieser Phase zu prüfen, fällt vielen Unternehmen schwer, da es sich aus ihrer Sicht um einen entscheidenden Aspekt handelt. Letztlich ist jedoch das direkte Interesse des Kunden in den ersten beiden Phasen der beste Hinweis darauf, ob ein Geschäftsmodell profitabel sein kann. Erst wenn die Lösung ausgereift genug ist und sich das Angebot klar kommunizieren lässt, kann eine erste belastbare Einschätzung der Zahlungsbereitschaft erfolgen. Ansonsten laufen Unternehmen Gefahr, unspezifische Zustimmung aus den vorherigen Phasen zu stark zu werten und zu viel zu schnell zu riskieren.
Wertschöpfung & Skalierung
Wurden die Zahlungsbereitschaft validiert und Pilotkunden gewonnen, kann in der Value-Delivery-Phase erarbeitet werden, wie die Produktions- und Logistikprozesse, die Zusammenarbeit mit Partnern und die exakte Kostenstruktur aussehen sollen. Im letzten Schritt vor dem eigentlichen Markteintritt, Scaling & KPIs, muss festgelegt werden, wie sich der Erfolg des Geschäftsmodells messen lässt. Dazu können reine finanzielle Kennzahlen zwar ausreichen, häufig haben neue Geschäftsmodelle jedoch strategischen Charakter, weswegen Aspekte wie Synergieeffekte und Skalierungspotenziale ebenfalls eingeordnet und gemessen werden sollten.
Technische Grundlagen
Digitale Geschäftsmodelle bieten oft den Vorteil, dass Aspekte der Leistungsversprechen schnell visualisiert und getestet werden können. Das reicht jedoch häufig nicht aus und kann sogar in die falsche Richtung führen. Entscheidend bei der Validierung digitaler Geschäftsmodelle ist, dass die technischen Grundlagen die geforderte Flexibilität und Modularität bieten. Beispielsweise existieren im Bereich Industrie 4.0 bereits hunderte Plattformen, die eine große Palette an vorgefertigten Funktionen mitbringen. Zu Beginn der Validierung ist oft nur unzureichend bekannt, welche dieser Funktionen für die fertige Lösung entscheidend sind - oder ob vorgefertigte Lösungen überhaupt geeignet sind. Häufig wird dann in Produktkategorien gedacht: Anstatt ein neues Geschäftsmodell zu erarbeiten, wird nach einem vorhandenen Produkt (in Form einer Plattform) gesucht, dass das Gewünschte liefert. Diese technische Evaluation ist bereits mit einigem Zeitaufwand verbunden. Ein häufiger Trugschluss ist zudem die Vorstellung, eine passende Plattform finden und implementieren zu müssen, obwohl die geplante Lösung noch nicht validiert wurde. Häufig wird dann erst nach der Implementierung der Plattform klar, dass die angedachten Angebote und Produkte keinen Abnehmer finden, da die Mehrwerte zu gering sind. Wenn trotzdem sinnvolle Services entstehen, ist man oft fest an eine Plattform gebunden, auch wenn sich die Bedürfnisse und Anforderungen durch die Weiterentwicklung des eigenen Angebots verändern. Ein Wechsel ist dann teuer und kostet Zeit.
Modulare Frameworks
Um das Problem zu umgehen, sollten die technischen Aspekte genauso zielgerichtet entwickelt werden, wie die Idee selbst. Dafür eignen sich eigene modulare Frameworks. Im Zusammenhang mit der Validierung des Geschäftsmodells werden dann nur die Dienste und Funktionalitäten implementiert, die sich Kunden in Spe auch gewünscht haben. Gleichzeitig bietet der Rückgriff auf ein eigenes Framework jederzeit die Möglichkeit, das Projekt mit geringerem Verlust zu stoppen. Wenn die entwickelte Lösung Erfolg hat und skaliert werden soll, können Firmen immer noch auf eine Plattform umziehen - oder die Eigenentwicklung entsprechend skalieren.
Mut zum Scheitern lernen
Zusammenfassend ist es essenziell zu verstehen, dass am Anfang eines neuen Geschäftsmodells große Ungewissheit herrscht. Daran muss das gesamte Vorgehen ausgerichtet sein: vom Konzeptionellen, über die personellen Kompetenzen und organisatorischen Gegebenheiten bis hin zu den technischen Anforderungen. Ein schlankes Vorgehen erleichtert es zudem, dass Projekt bei Bedarf auch abbrechen zu können, um eine andere Idee zu verfolgen. Das wichtigste hierbei: Mut zum Scheitern lernen.
Gute Ideen für neue Geschäftsmodelle gibt es viele. Doch welche passt wirklich zu einem Unternehmen? Um das herauszufinden, sollten bereits die Prämissen einer Idee strukturiert geprüft werden. Das daraus entstehende Wissen hilft auch bei der weiteren Planung.
Bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle liegt der Kern der Leistungserbringung in der IT, der Kern des Nutzenversprechens jedoch nicht zwangsläufig. Klickrent ist beispielsweise ein digitaler Marktplatz für den Verleih von Bautechnik. Als Tochter des Zeppelin-Konzerns kannibalisiert diese Lösung jedoch das Geschäft des Mutterkonzerns, da die Plattform den Verleih herstellerunabhängig ermöglicht. Während die Leistungserbringung digital abgewickelt wird, liegt das Nutzenversprechen darin, Technik mieten und vermieten zu können. Dies bedeutet für die Validierung des Geschäftsmodells, dass zunächst nicht die digitale Plattform im Mittelpunkt steht, sondern das Bedürfnis nach Miete oder Vermietung (hier von spezialisierter Bautechnik). Punkte wie diese werden oft übersehen, wenn der beim Fokus starr auf digitalen Lösungen liegt.
Blu Beyond Gmbh
Dieser Artikel erschien in IT&Production 2 (März) 2020 - 09.03.20.Für weitere Artikel besuchen Sie www.it-production.com